Sie durchlebte ein Wechselbad der Gefühle: In den Wochen vor ihrem gewaltsamen Tod vor knapp einem Jahr schrieb Jessica S., die von ihrem Ex-Partner Marcus K. brutal ermordet worden sein soll, mit einem anderen Mann. Die zweifache Mutter vertraute ihm an, wie unglücklich sie sich in ihrer Beziehung fühlte. Davon berichtete am Dienstag die Ermittlungsführerin der Kripo im Prozess vor dem Landgericht.
Hier muss sich der 41-jährige Fliesenleger Marcus K. wegen Mordes verantworten: Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft erstach der Leipziger seine Ex-Partnerin Jessica S. (30) im Mai 2024 in der gemeinsamen Paunsdorfer Wohnung mit einem Messer während ihres Schlafs, weil er die von ihr angekündigte Trennung nicht akzeptiert habe. Er streitet dies ab, spricht von einer Art Notwehr-Unfall im Gerangel.
Jessica S. hatte Angst, die Trennung durchzuziehen
Nun befasst sich das Gericht mit der Vorgeschichte. Ein Baustein sind tausende Chatnachrichten, die seit Frühjahr 2024 Einblick in eine zerrüttete Beziehung geben. Mitte Februar habe Jessica S. begonnen, mit Andreas P. (Name geändert) zu chatten, mit dem sie schon 2022 kurz in Kontakt war. Am 1. März 2024 folgte das erste Treffen: So erklärte es eine 38-jährige Kriminalhauptkommissarin, die den Mordfall im August 2024 übernahm.
In der Kommunikation, die ab März über WhatsApp stattfand, vertraute Jessica S. gegenüber Andreas P. an, dass sie sich in einer unglücklichen Beziehung befinde, aus der sie nicht so leicht herauskäme. Offenbar plagte die 30-jährige Modeverkäuferin trotz erloschener Gefühle für Marcus K. das schlechte Gewissen, aber auch Angst vor dem Neuanfang, der Reaktion der Kinder. Sie hatte mit Marcus K. einen fünfjährigen Sohn und zudem eine Tochter (10) in die Verbindung mitgebracht, für die der Angeklagte wie ein Vater war, ein Mann, den das Mädchen selbstverständlich „Papa“ nannte.
Zugleich gab das spätere Opfer im Chat mit Andreas P. intimste Details preis, beschrieb Sexualvorlieben Marcus K.s, die sie ablehnte. Neben anderen Themen sei auch dies ein Punkt gewesen, der bei dem Paunsdorfer Paar zum Krach führte.
Angeklagter soll Szene gemacht und Suizid angedroht haben
Zwischen Jessica S. und Andreas P. bahnten sich dagegen Gefühle an: „Ich finde das toll mit dir, du tust mir einfach gut und ich mag dich tatsächlich sehr“, heißt es in einer Sprachnachricht Jessicas vom 16. April 2024, die im Gerichtssaal abgespielt wurde. Tage später hätten sich die beiden erstmals geküsst. Trotzdem habe sich Jessica abwartend verhalten, zunächst unabhängig werden wollen: „Sie wollte erst mal keine neue Beziehung, auch wenn sie Gefühle für ihn hegte, sich vielleicht später auf was Neues einlassen. Er hat auch Verständnis gehabt, das war mein Eindruck“, sagte die Ermittlungsführerin am Dienstag.
Aus Jessicas Chats mit Andreas P. wurde deutlich, dass die lebensfrohe Verkäuferin unsicher war. Ihre Hemmschwelle, den Absprung zu wagen, die Aufgabe dessen, was man sich jahrelang aufgebaut hatte: All dies bereitete ihr Kummer, auch wenn Andreas P. ihr dringend zur Trennung riet. Am 22. April teilte Jessica S. ihm mit, dass sie ihrem Partner am Nachmittag tatsächlich das Ende der Beziehung eröffnet hatte. Er habe geweint, ihr Vorwürfe gemacht, mit Suizid gedroht.
Doch für Jessica war der Weg unumkehrbar: Sie fand eine Wohnung in der Nähe, die sie im August hätte beziehen können, plante ihre Zukunft. Im Chat mit Andreas P. beklagte sie, dass Marcus sich nach der Trennung eng an sie heranschmiss, sie nicht mehr alleinlassen wolle, teils beleidigend sei.
Letztes Lebenszeichen am Abend
Am Abend des 20. Mai 2024 meldete sich Jessica S. bei Andreas P. von der heimischen Couch im Wohnzimmer aus, wo sie schlief. Es sollte das letzte Lebenszeichen sein: Nach einem Essen mit ihrer Mutter und dem Stiefvater in einem Gartenlokal an jenem Pfingstmontag sei es abends wieder zum Streit mit Marcus gekommen, teilte Jessica mit. Um 21:51 Uhr versandte sie die letzte Nachricht an Andreas P., schaltete das Handy dann in den Flugmodus.
Als Andreas P. sich nach 07:00 Uhr am 21. Mai meldete, reagierte sie nicht mehr. Der Vater eines 6-jährigen Jungen sorgte sich, versuchte Jessicas Arbeitgeber zu erreichen, kontaktierte einen befreundeten Polizisten, was er tun solle. Doch Jessica S. war zu dieser Zeit laut Anklage bereits tot, da Marcus K. sie mit einem Messerstich in die rechte Halsseite getötet haben soll. Die 30-Jährige verblutete, die mutmaßliche Mordwaffe gilt bis heute als verschwunden.
Hinweise, dass Jessica Angst vor Gewalt oder gar einer Tötung durch Marcus K. hatte, habe sie aus dem Chat konkret nicht herausgelesen, so die Ermittlungsführerin. Allerdings sollen Personen aus Jessicas Freundeskreis in der Befragung bei der Kripo von Übergriffen berichtet haben.
Der Prozess wird fortgesetzt.
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