Über ein Jahr nach dem gewaltsamen Tod der 30-jährigen Jessica S. in Leipzig-Paunsdorf steht der Prozess gegen den Ex-Partner des Opfers kurz vor seinem Ende. Die Anklage will Marcus K. wegen Mordes lebenslang hinter Schloss und Riegel sehen. Am Donnerstag standen die letzten Plädoyers auf dem Programm, darunter jene der Verteidigung. Ende nächster Woche soll nach mehreren Monaten das Urteil fallen.
Für die Staatsanwaltschaft war es ein kaltblütig geplanter Mord, für die Verteidigung ein minderschwerer Fall des Totschlags: Im Prozess gegen den mutmaßlichen Frauenmörder Marcus K. (41) sind Donnerstag am Landgericht Leipzig die letzten Plädoyers gehalten worden. Einigkeit bestand, dass die zweifache Mutter Jessica S. durch einen Messerstich ihr Leben mit gerade einmal 30 Jahren verlor.
Angeklagter soll Opfer Recht auf eigenes Leben verwehrt haben
Doch laut Strafverteidiger Markus Czempik könne über den genauen Ablauf des Geschehens nur spekuliert werden: „Wir waren alle nicht dabei, wir wissen alle nicht, was passiert ist“, sagte der Rechtsanwalt mehrfach in seinem Schlussvortrag.
Damit stellte er sich gegen die Sicht der Anklagebehörde, wonach sein Mandant wohl am frühen Morgen des 21. Mai 2024 mit einem Messer in die rechte Halsseite seiner Ex-Partnerin Jessica S. gestochen hatte, während sie auf dem Sofa im Wohnzimmer der noch gemeinsam genutzten Wohnung in Paunsdorf schlief.
Die Modeverkäuferin verblutete, hinterlässt zwei Kinder, Eltern und Geschwister. Motiv der grausigen Tat soll gewesen sein, dass sich die Frau vier Wochen zuvor nach langen Spannungen in der völlig zerrütteten Beziehung von Marcus K. getrennt und den Auszug angekündigt hatte, ihre Zukunft für sich plante. Offenbar war sie zuletzt auch neu verliebt.
Anwälte zeichnen differenziertes Bild von Opfer und Angeklagtem
Die Verteidigung versuchte, das Bild eines kaltblütigen Mörders zu entkräften: So habe Marcus K. nicht nur um die Beziehung gekämpft, sondern sich auch jahrelang ins Zeug gelegt, indem er Jessica zur Arbeit fuhr, die Kinder wegbrachte und abholte, sich neben seiner anstrengenden Selbständigkeit als Fliesenleger um Hund, Katze und Familienunternehmungen kümmerte.
Die als lebenslustig und kreativ beschriebene Jessica S., die eine Tochter (heute 11) in die Beziehung zu Marcus K. mitgebracht hatte und später einen gemeinsamen Sohn (heute 5) gebar, habe auch andere Seiten gehabt: So habe sie dominant und beleidigend sein können, sei ihrem Partner manchmal bei Gesprächen über den Mund gefahren und habe dessen Finanzkraft für Schönheits-OPs genutzt. Fest stehe, dass es auch kurz vor ihrem Tod noch einmal mächtigen Krach am Vorabend gab.
Verteidigung plädiert auf fünf Jahre Haft
Doch was geschah in der Tatnacht? Fasste der Angeklagte da einen Mordplan, wie Staatsanwältin Vanessa Fink in ihrem Plädoyer annahm? Die Blutspuren würden laut Anwalt Czempik jedenfalls eher für die Version des Angeklagten sprechen. Der hatte behauptet, es sei unbeabsichtigt zum tödlichen Stich gekommen, als er Jessica S. ein Messer habe abnehmen wollen, das sie ihm bedrohlich vorgehalten habe.
Aus Sicht der Verteidigung seien Zweifel an einem heimtückischen Mord aus niedrigen Beweggründen angebracht. Ein „dynamisches Geschehen“ könne nicht ausgeschlossen werden, führte Co-Verteidiger Tom Hanke aus. Zudem habe die Staatsanwaltschaft die Niedergeschlagenheit, Traurigkeit und Suizidgedanken des Angeklagten vorschnell abgetan.
Es ergäbe auch keinen Sinn, dass Marcus K. eine gezielte Tat begangen haben soll, während der Sohn und die Stieftochter in der Wohnung waren: Im Falle einer rationalen Planung müsste er die Kinder doch als potenzielle Zeugen vorab aus dem Haus gebracht haben. Der Antrag der Verteidigung: fünf Jahre Haft wegen Totschlags im minderschweren Fall.
„Heimtückisch und gezielt ein Leben ausgelöscht“
Zuvor hatte Nebenklage-Vertreter Curt-Matthias Engel mit Blick auf die Tatversion Marcus K.s von einem „Schlag ins Gesicht der Familie“ gesprochen. Dank akribischer Spurensicherung am Tatort sei nur ein einziger Ablauf plausibel, so der Anwalt, der sich im Prozess für die Mutter der Getöteten einsetzt: „Das war nichts, was aus irgendeiner Situation heraus passiert ist, das war planvoll.“ Marcus K. habe „heimtückisch und gezielt ein Leben ausgelöscht.“
Irgendwann in der Nacht müsse Marcus K. aus dem Schlafzimmer in die Stube geschlichen sein, habe sich dem Opfer genähert und kraftvoll zugestochen. Danach habe er keineswegs den Notruf gewählt, sondern sich zielsicher ins Bad bewegt, das Blut abgewaschen und die Kinder anschließend samt Rucksack mit Bargeld zu seiner Mutter gebracht.
Angeklagter zahlt Hinterbliebenengeld, Urteil am 20. Juni
Die versuche heute, die mutterlosen Enkel großzuziehen, ihnen eine Zukunft zu ermöglichen. Auch wenn es am Strafmaß nichts ändert, seien der Auftritt des Angeklagten und das zusätzliche Leid der Familie von Jessica unerträglich: „Es wäre schlauer gewesen, Sie hätten Ihr Tatverhalten eingestanden und gezeigt, dass es Ihnen leidtut“, wandte sich Engel zur Anklagebank. Der Nebenklage-Anwalt forderte ebenso wie die Staatsanwaltschaft eine Verurteilung wegen Mordes.
Bereits am vorherigen Prozesstag wurde bekannt, dass Marcus K. seiner bald 12-jährigen Stieftochter 12.500 Euro Hinterbliebenengeld zugesagt habe. Die Summe für das Mädchen, das laut Anwältin mit einer posttraumatischen Belastungsstörung kämpft, soll bereits geflossen sein.
In seinem Schlusswort äußerte der Angeklagte fast flüsternd: „Ich möchte sagen, dass es mir sehr leidtut. Ich wollte nicht, dass es so ausartet.“
Ihr Urteil wird die Strafkammer am 20. Juni um 8:30 Uhr verkünden.
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