Noch immer gibt es kein Urteil: Im Prozess gegen den Grünen-Politiker und Ex-Stadtrat Jürgen Kasek stellte dessen Verteidigung am Montag einen Befangenheitsantrag gegen Amtsrichterin Ute Fritsch. Der Juristin wird unter anderem vorgeworfen, sie gehe von falschen Annahmen aus und habe Beweisanträge vorschnell abgelehnt. Die Frage, ob sich Kasek der Verleumdung eines Staatsanwalts schuldig gemacht hat, bleibt vorerst offen.

Auch der dritte Verhandlungstag im Leipziger Amtsgericht brachte keine Klarheit, ob Ex-Stadtrat Jürgen Kasek wegen der mutmaßlichen Verleumdung eines Staatsanwalts verurteilt wird. Vielmehr äußerte die Verteidigung am Montag Zweifel, ob Amtsrichterin Ute Fritsch den Fall noch neutral behandelt: „Es hat sich der Eindruck verfestigt, dass die Besorgnis der Befangenheit besteht“, sagte Rechtsanwältin Christiane Götschel, die Jürgen Kasek im Prozess vertritt.

Kessel sorgte für Empörung und massive Reaktionen

Die Anklage wirft dem 44-jährigen Grünen-Politiker und früherem Leipziger Stadtrat vor, einen Staatsanwalt vor zwei Jahren verleumdet zu haben. Hintergrund war der „Tag X“: Kurz nach Verurteilung der Studentin Lina E. und weiterer Personen war eine Soli-Demonstration in der Südvorstadt wegen eines befürchteten Eskalationspotenzials verboten worden. Kasek fungierte damals als Leiter einer neu angemeldeten Versammlung.

Aus der Menschenmasse wurden Einsatzkräfte mit Böllern, Flaschen und Steinen attackiert, Beamte verletzt. Die Polizei kesselte rund 1.300 Personen auf dem Heinrich-Schütz-Platz am Kant-Gymnasium ein. Die oft Minderjährigen mussten bis zu elf Stunden und vielfach ohne Toilette, Nahrung, Wasser und Decken in der Umschließung ausharren, was im Nachgang als inhuman und unverhältnismäßig kritisiert wurde.

Anklage sieht wahrheitswidrige Aussagen

Doch war auch ein Staatsanwalt, der wegen des Verdachts auf Straftaten vor Ort war, Teil des Kessels, gar ein „Agent Provocateur“, der zu Straftaten anstachelt? Kommentare von Jürgen Kasek, die dieser während der öffentlichen Debatten auf Twitter (heute: X) verfasste, scheinen dies aus Sicht der Chemnitzer Staatsanwaltschaft zumindest nahezulegen.

So schrieb Kasek am 20. Juni beispielsweise: „Mitten im schwarzen Block dabei, der für die Eskalation sorgte ein Staatsanwalt. Wäre mir neu, dass Staatsanwälte Straftaten (hier Vermummung) begehen dürfen …“ (originaler Wortlaut). An anderer Stelle hieß es, der Justizmitarbeiter, „der mutmaßlich die Reihe von rechtswidrigen Maßnahmen zum #Leipziger Kessel festlegte, begab sich vorher vermummt im Schwarzen Block Outfit in die Versammlung, die wegen Vermummung aufgelöst wurde …“

Eine Reihe Polizist*innen hat eine große Gruppe Menschen eingeschlossen.
Der Polizeikessel am 3. Juni 2023 auf dem Heinrich-Schütz-Platz. Foto: LZ

Tatsächlich gab der heute 37-jährige Staatsanwalt in seiner Zeugenaussage vor zwei Wochen an, dass er zur Koordination prozessualer Maßnahmen wegen Straftaten ab etwa 19:30 Uhr zugegen war und sich auf Rat der Polizei eine Sturmhaube zum Schutz seiner Identität aufzog.

Im Kessel sei er aber entgegen von Kaseks Tweets nie gewesen: „Denken Sie wirklich, dass man da freiwillig als Polizist oder Staatsanwalt reingeht? Ich bin nicht lebensmüde“, sagte er aus. Auch sei er erst lange nach Bildung des Kessels eingetroffen.

Laut Kasek war es eine „allgemeine Unmutsbekundung“

Die Chemnitzer Staatsanwaltschaft hatte gegen Kasek Ermittlungen eingeleitet. Dieser äußerte inzwischen Bedauern, beruft sich zugleich darauf, den Namen des Staatsanwalts weder genannt noch dessen Identität gekannt zu haben. Er habe nie auf seine Person gezielt, sondern sprach von einer „allgemeinen Unmutsbekundung“, nachdem er sich wegen der Verletzung von Grundrechten „verarscht“ gefühlt habe.

Der heute 37 Jahre alte Staatsanwalt war später mit Namen, Foto und persönlichen Daten im Netz „gedoxxt“ worden, bekam zeitweise verstärkten Polizeischutz. Kürzlich wurde ein Sozialarbeiter in diesem Kontext erstinstanzlich verurteilt, der Berufungsprozess steht noch aus.

Richterin warnt vor unterstellter Falschaussage

Doch Kaseks Verteidigerin Christiane Götschel kritisierte unter anderem, dass das Gericht fälschlich annehmen würde, ihr Mandant sei für die Bloßstellung des Staatsanwalts im Netz verantwortlich. Beweisanträge der Verteidigung seien zudem vorschnell zurückgewiesen worden.

Am Morgen lehnte die Richterin es zunächst ab, den Leipziger Polizeipräsidenten René Demmler und Oberstaatsanwalt Ricardo Schulz anzuhören. Auch ein weiterer, neu gestellter Beweisantrag der Verteidigerin stieß auf Skepsis. Dieser sollte nach ihrer Lesart Aussagen des Staatsanwalts zu seiner Position am Ort des Geschehens womöglich widerlegen.

Amtsrichterin Fritsch quittierte den Vorstoß mit Staunen: Der implizierte Vorwurf einer uneidlichen Falschaussage könne, sofern er sich als unhaltbar erweist, wiederum die Kriterien einer Verleumdung oder üblen Nachrede erfüllen, sagte sie. „Wenn dieser Beweisantrag nicht zurückgenommen wird, könnte das Folgen haben, die niemand will.“

Die Verteidigung hielt dennoch vorerst an ihrem Plan fest und zählte schlussendlich eine Reihe von Punkten auf, die dafür sprächen, Amtsrichterin Fritsch wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Bis hierüber entschieden ist, setzte die Juristin einen weiteren Verhandlungstag an. Neuer Termin: 27. Juni.

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