"Härte schwand. Auf einmal legt sich Schonung an der Wiesen aufgedecktes Grau. Kleine Wasser ändern die Betonung, Zärtlichkeiten ungenau, greifen nach der Erde aus dem Raum." Frühlingsfan Rilke beschrieb den eifrig herbeigesehnten Umschwung in der Natur einmal mehr so hübsch, dass man spätestens jetzt, nach den ersten Sonnenstunden des Jahres, sicher ist: Der Frühling muss ins Grundgesetz.

Auch mich hat es gepackt. In einem frühlingsinduzierten Anfall von Mopsfidelität wusste ich gestern in der Innenstadt herumzustreichen, begierig zu erfahren, wie es sich so “anfühlt”, endlich einmal wieder ohne Wattejacke am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Die Sonne ließ sich nicht lumpen und gab tatsächlich nicht mehr den luschigen Low-Performer der letzten Monate, Petrus hatte offensichtlich endlich etwas von Zielvereinbarungen mitbekommen. Erste Grüppchen junger Damen mit Sonnenbrillen von der Größe eines Motorradhelm-Visiers strichen in der Fußgängerzone auf der Suche nach Sinn, Schnäppchen und Sexualkontakten herum, während auf mutig geöffneten Freisitzen fröhliche Herren in moonwashed Jeans das Kindergeld versoffen. Die Welt schien wie in ein anderes Licht getaucht. Ich hätte Griechenland retten können, so gut und stark fühlte ich mich.

Trotzdem muss man Vorsicht walten lassen: Einmal ohne Wattejacke macht noch keinen Frühling, genau wie eine Schwalbe noch keinen Sommer bringt. Das hat schließlich nicht nur Deutschlands sportlichste Weinkönigin Andy Möller in seiner Karriere oft schmerzlich erfahren.

Es ist weiß Gott nicht die Schwalbe, die entscheidet, wann Sommer in Deutschland ist, und schon gar nicht Andy Möller, sondern es ist der Familienvater, der den Holzkohlengrill anwirft.

Dann ist wirklich Summer in the City, dann ist Anbrätelzeit.

Wir Deutschen gelten schließlich nicht zu Unrecht als eifrigster Bratmaxe in Europa. Ein Haus, zwei rotbackige Kinder, eine Frau und ein wenig abgehangenes Fleisch, da fehlt nur noch der Holzkohlengrill im Garten, dessen Rauchschwaden dem Nachbarn verraten: Seht her, uns geht’s gut, haben es zu etwas gebracht, scharen Menschen um uns und schüren die Glut.

Vor allem der Mann gerät dabei schnell in Wallung, denn nirgendwo sonst kann er derart ungestraft die letzte Bastion seiner evolutionären Bestimmung verteidigen wie am Feuer. So steht es nun mal geschrieben, so soll es geschehen, seit Prometheus den langen Schachtelhalm zur Hand genommen und an Helios’ Sonnenwagen entzündet hatte.

Ich liebe männliche Riten. Sind sie doch oft entwaffnend sympathisch, konservativ und ergebnisorientiert. Auch wenn heute das Tier längst nicht mehr erlegt werden muss, sondern im Supermarkt erworbenes Grillgut auf dem Rost brutzelt: Wer es am Samstagabend schafft, in seinem Garten Schwiegereltern und Sippschaft um die heilige Feuerstätte zu scharen, der hat Cojones, der ist auch Papst und der ist Deutschland. Am besten alles zugleich.

Der Mann fühlt sich wohl am Grill

Trotz der tiefschwarzen Rauchschwaden, in denen er üblicherweise verschwindet, trotz merkwürdiger Gewandung mit der Schürze oder dem Küchenhandtuch an den Lenden, trotz des gewissen Restrisikos mit dem Spiritus am offenen Feuer. Hier geht es ihm einfach gut. Und das ist nur zu verständlich: Überall wird er heutzutage mit hingeschleppt – in den Supermarkt, zum Elternabend, in den Kreißsaal, zum Tamponsholen. Aber nur hier am Grill darf er (und ausschließlich er) die Bierflasche abwechselnd zum Schlund und zur Holzkohle führen.

Lange Zeit galt nicht zu Unrecht die Vermutung, dass es sich beim Grill um die letzte feminismusfreie Zone des befriedeten Mannes handele.

Doch auch hier scheint sich ein Wandel anzubahnen, denn eine Umfrage der Krombacher Brauerei zu den Grillgewohnheiten der Deutschen brachte ans Licht, dass 60,5 % der Männer meinen, ihre Partnerin könne besser grillen als rückwärts einparken (33,2 %) oder etwa die Abseitsregel erklären (6,3 %). Ah ja.

Die Traumfrau des deutschen Mannes darf man sich ergo als virtuos rückwärts ausparkende Dame vorstellen, die mit nichts als einer Schürze bekleidet am Grill die Abseitsregel erklärt.

Woraus speist sich jedoch diese nahezu erotisierende Brutzel-Fetischisierung der Deutschen noch?

Hierzu liefert der deutsche Grillmeister Peter Dölker Aufschluss, der erklärt: “Es ist unglaublich, was man alles auf den Grill legen kann. Man kann im Prinzip alles grillen: Man muss nur die richtige Temperatur haben, es gut vorbereiten und hinterher bearbeiten. Und dann ist der Fantasie keine Grenze gesetzt.” Das kann auch die Krombacher Grill-Studie bestätigen: Auf die Frage, was  – oder besser wen – man, abgesehen von Wurst oder Fleisch, gerne einmal auf den Grill legen wolle, wurden mit 44,9 % die Nachbarn am häufigsten genannt. Der Chef oder die Schwiegermutter schnitten mit jeweils gut 27 Prozent deutlich besser ab. Für Gimmlitztal stünden die Ergebnisse noch aus.

Doch wie oft sollte man eigentlich – wie oft ist normal? Halten es da die Deutschen wirklich mit Luther und dessen populären Ratschlag “In der Woche zwier, schaden weder ihm noch ihr”?

Die Gesetzesempfehlungen des Landes zur Problematik der Fleischeslust lassen einigen Interpretationsspielraum offen:

So folgt z. B. das Landgericht Aachen tatsächlich dem Lutherschen Diktum und legt fest: Zwei mal im Monat zwischen 17:00 und 22:00 Uhr im hinteren Teil des Gartens. Wem das zu anstrengend vorkommt, der sollte besser nach Oldenburg ziehen, denn dort heißt es schnöde: vier mal im Jahr, bis 24:00 Uhr. Einen akzeptablen Mittelweg scheint man in Bonn gefunden zu haben, denn da schlägt das Arbeitsgericht vor:  zwischen April und September höchstens einmal im Monat, wobei die Nachbarn vorher informiert werden sollten.

Die amtlich verordneten Gepflogenheiten Leipzigs wagte ich dann doch noch nicht zu recherchieren, denn “wohl zögert auch das alte Herz. Und atmet noch nicht frei, Es bangt und sorgt: Es ist erst März, Und März ist noch nicht Mai” (Fontane)

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