"Dynamisch warten! Aktiv sitzen! Entschlossen schlafen!", so stand es an eine Hauswand gesprüht, neulich irgendwo in Berlin. Keine Frage. Das war lustig. Als aktive Passivrauchererin mit wenig Sitzfleisch weiß ich sogar von Leuten, die nicht nur entschlossen, sondern entschlossen miteinander schlafen.

Wenn man aber wieder aufwacht und ein bisschen länger allein über den ersten dieser drei heiteren Imperative nachsinnt, dann scheint dieser den Finger eher in eine der schwelendsten Wunden unserer Zeit zu legen:

“Dynamisch warten!” Es ist ja nicht so, dass dies nicht tatsächlich von uns des Öfteren gefordert werden würde.

Dabei fällt vielen schon das ‚einfache Warten’ schwer. Auch ich bin nicht besonders gut darin. Auf Rolltreppen zum Beispiel ertappe ich mich immer wieder mit einem bei Gunther von Hagen ausstellungswürdigen Maximalpuls, wenn Passanten unmittelbar nach dem Betreten der fahrenden Stufen sedierten Flusspferden gleich auf Beförderung hoffen. Nicht genug, dass sich da Assoziationen zum Wirtschaftsleben aufdrängen, es kommt für mich dann fast einer narzisstischen Kränkung gleich, dass andere über meine Zeit bestimmen. Und seien dies nur wenige Minuten.

Aber auch anderenorts wird mit oder ohne Warteschleifenmusik viel von uns verlangt: Warten auf die Bahn, Warten auf die Zusage des Arbeitgebers, Warten auf den Richtigen, Warten, dass der Falsche wieder verschwindet, Warten auf Nachwuchs im englischen Königshaus, Warten auf einen Befund, Warten auf die Angehörigen im Altersheim, Warten auf den Steuerbescheid, Warten auf das Ende des NSU-Prozesses. Nirgendwo sonst sind wir so ausgeliefert wie beim Warten. Es ist nicht leicht zu akzeptieren, dass wir eine Situation nicht (mehr) beeinflussen zu können.

Dabei können Warte-Arten in ganz unterschiedlichen Farben daherleuchten

Warteobjekt und – motivation spielen eben eine wesentliche Rolle. Deshalb kann Warten auch als durchaus romantisch empfunden werden, immer dann nämlich, wenn man jenen Zustand als wärmendes Gefühl der Sehnsucht nach dem (Un-)möglichen begreift.

Zu dumm nur: Meistens ist das auf Rolltreppen oder in harten Warteschalen auf  Flughäfen nicht der Fall.

Trotz aller Pein aber, die wir hierzu mannigfaltig aus dem Erfahrungsrepertoire holen können, fällt das bisher Beschriebene nur unter die Rubrik “Warten für Anfänger”.

Das ist auch gut so, denn der Fortgeschrittenenkurs ist nicht von Interesse für uns. Wir wollen es ja gar nicht lernen, das Warten. Es erscheint uns nicht mehr zeitgemäß. Der Säugling vokalisiert und schreit, wenn er nicht gleich bekommt, was seinen Saugreflex befriedigt und wesentlich weiterentwickelt will die Wirtschaft den erwachsenen Konsumenten schließlich nicht haben.

Einer Generation, die schon mit der medialen Muttermilch eingetrichtert bekommen hat: “Du willst es? Du kriegst es!” ist eben schlecht beizubringen, dass gut Ding auch manchmal Weile haben will.

Freddy Mercurys Hymne “I want it all and I want it now” ist und bleibt der Soundtrack des Zeitgeists. Dass man den Queen-Frontmann bezeichnender Weise schon nicht mehr fragen kann, wie gut ihm das persönlich bekommen ist, fällt auch keinem so gern auf.

Außerdem sind die Fortgeschrittenenkurse fürs Warten schon überfüllt.

Dort sitzt nämlich der Asylbewerber und lässt andere Saiten an sich aufziehen. So ein fremdbestimmtes, existenzentscheidendes Wartenmüssen von Flüchtlingen im deutschen Asylverfahren, das ist schon ein anderes Kaliber.

Ja. Vom Flüchtling lernen heißt warten lernen. Warten aufs Schiff, Warten auf den Asylbescheid, später heißt es Warten auf die Genehmigung für die nächste Stufe des Deutschkurses, damit es weitergehen kann. Mit der Arbeit. Mit der Familie.

Leider offenbart sich hierin allergrößte Absurdität

Menschen, die sich bei jeder Verspätung der Deutschen Bahn wutschnaubend die “ihnen zustehende” Entschädigung doppelt im Bordbistro abholen, entscheiden über Lebenswege anderer Menschen bzw. über deren Stagnation, indem sie deren Lebenszeit mit Endlosdebatten und Hinhalteverfahren zerschreddern, während man anderen predigt, wie man Geduldsfäden spinnt.

Das ist ebenso traurig wie zynisch. Warum dann nicht gleich ins Asylbewerberheim einen Satz Ratgeberliteratur werfen? “Sorge dich nicht, lebe!”

Solange eine Politik der Bürokratie auch nur einen einzigen notwendigen Akt der Menschlichkeit als Gebot der Stunde niederwalzt oder verzögert, können wir getrost mit dem Trend gehen und uns Sprüche wie: “Alles im Griff auf dem sinkenden Schiff!” oder “Ignoranz formte diesen wunderschönen Körper.” aufs T-Shirt drucken lassen.

Da ich jedoch weder ein solches Bodytuning herbeisehne noch eine mit den Jahren wachsende  Hoffnung hege, der Mitmensch werde sich schon ändern, gilt es also einmal mehr, beim schwächsten Glied der Gesellschaft anzusetzen – bei sich selber:

Fortan benutze ich keine Rolltreppen mehr und lauf Treppen. Und helfe ein paar anderen die Stufen hoch. Sofort. Ganz ohne Wartezeit.

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