Sachsen hat eine Menge Probleme in der polizeilichen Ermittlungsarbeit. Darauf wies in seinen Büchern schon Jürgen Roth immer wieder hin. Gerade bei der Ermittlung schwer wiegender Wirtschaftsdelikte und Straftaten aus dem Bereich Organisierte Kriminalität fehlen Ermittler und Einsatzstrukturen. Und das trifft auch auf den ganzen Bereich Prostitution zu, über den Sachsens Regierung praktisch nichts weiß.

Das bestätigt jetzt die Antwort des sächsischen Innenministers auf eine Große Anfrage der Grünen-Fraktion. Die Antwort sei ernüchternd und lege die Vermutung nahe: Die Staatsregierung nimmt Menschenhandel, Zwangsprostitution und Prostitution in Sachsen nicht ernst, kommentiert die rechtspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Eva Jähnigen, die Antwort.

“Wer Menschenhandel bekämpfen will, braucht umfassende Faktenkenntnis”, sagt sie. “Aber genau diese Erkenntnisse werden gar nicht gesucht. Dass im Laufe der Jahre 2006 bis 2014 nur 141 Tatverdächtige wegen Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung ermittelt wurden, bedeutet vor allem eins: Die Dunkelziffer muss deutlich höher sein. Das lässt schon Sachsens geographische Lage vermuten. Menschenhandel ist ein Kontrolldelikt. Wer nichts tut, wird keinen Menschenhandel feststellen können.”

Aber wer sich erinnert: Die Personalstärke der Polizei reicht gerade einmal dazu, um ab und zu einen Kontrollzug durchs Drogenmilieu zu machen und dabei lauter kleine Fische zu fangen. Wer aber die kriminellen Netzwerke ausforschen will, die von Drogenverkauf, Prostitution und Menschenhandel leben, der braucht entsprechend ausgestattete Abteilungen.

Aus der Antwort von Innenminister Markus Ulbig ist sogar ersichtlich, wo die Staatsregierung gewaltige Wissensdefizite hat.

Verglichen mit der Anzahl der eingeleiteten Verfahren sei die Anzahl der Verurteilungen erstaunlich gering, so Jähnigen.  Von den 141 Tatverdächtigen wurden lediglich 23 verurteilt. Dies spreche für erhebliche Schwierigkeiten bei der Beweiserhebung. Und diese Schwierigkeiten bestehen nun einmal, wenn es dazu keine umfassende polizeiliche Strukturermittlung gibt.

“Insbesondere der Menschenhandel verlangt den Einsatz der Strafverfolgungsbehörden. Die ermittelten Fälle von Menschenhandel sind in Sachsen (2009: 5 Fälle, 2013: 25 Fälle) auffallend niedrig. Bayern, als Flächenland mit vergleichbarer geographischer Lage, ermittelte im gleichen Zeitraum 2013 zumindest 29 Fälle, Berlin sogar 84”, so Jähnigen. “Völlig unverständlich ist auch, dass sich zwar die Betreuung der Opfer durch die Fachberatungsstelle KOBRAnet oft förderlich auf die Aussagebereitschaft auswirkt, aber die Mitarbeiterinnen nicht bei allen in Sachsen bekannt gewordenen Fällen von den Ermittlungsbehörden zurate gezogen werden.”

“Wir schätzen die Arbeit von KOBRAnet sehr und begrüßen die Zusammenarbeit mit der Polizei. Zweifelhaft ist, ob die finanzielle Ausstattung mit zwei Stellen ausreichend ist”, so Jähnigen in politisch vorsichtiger Untertreibung. Die Ausstattung ist eindeutig zu gering. Und die magere Ausstattung der Beratungsstellen hat auch in diesem Themenfeld ihr Pendant in einer viel zu geringen Personal- und Ressourcenausstattung für die Landespolizei, die keineswegs systematisch ermitteln, sondern immer nur punktuell zugreifen kann. Das reduziert logischerweise auch den Wissensstand erheblich.

“Ingesamt offenbart die Große Anfrage vor allem große Wissenslücken der Staatsregierung”, stellt Jähnigen fest. “Im Bereich des Menschenhandels zum Zweck sexueller Ausbeutung hat die Staatsregierung weder Erkenntnisse zu Kontrollen durch die sächsische Polizei noch zu Durchsuchungen durch andere Behörden. Demnach hat die Staatsregierung auch keine Ahnung davon, wie effizient im Freistaat Sachsen die Strafverfolgung in diesem Deliktfeld überhaupt ist.”

Die Unkenntnis spricht wohl eher nicht für ein einigermaßen effizientes Erfassen der Gegebenheiten. Eine spezialisierte Polizeiabteilung gibt es augenscheinlich auch nicht, obwohl Sachsens Grenzen ja nun anerkanntermaßen sperrangelweit offen stehen. Reagiert hat der zuständige Minister darauf bis heute nicht.

“Ob es Zeugenschutzmaßnahmen im Rahmen von Ermittlungs- und Strafverfahren wegen Menschenhandels gibt, konnte die Staatsregierung ebenso wenig beantworten, wie die Frage, wie die Aufklärungsquote erhöht und die Strafverfolgung von Täterinnen und Tätern erleichtern werden könne. Geklärt werden muss, warum die Beweiserhebung und -verwertung so schwierig ist und wie das geändert werden kann”, sagt Jähnigen. Vielleicht sollte sie ihren Fraktionskollegen Valentin Lippmann dazu fragen. Polizeiliche Aufklärung braucht nun einmal entsprechend ausgestattete Kriminalpolizei. Doch die Kürzungsorgie, die seit 2012 unterm Label “Polizeireform 2020” durchgezogen wird, hat auch vor dem, was manche Politiker so lax “Wasserkopf” nennen, nicht halt gemacht. Es geht nicht nur um Einsatzpolizisten in Revieren und Polizeistationen, sondern auch um die Ausstattung der Kriminalpolizei. Und die hat unter den Personalkürzungen genauso gelitten.

Die Grünen weisen darauf hin, dass es auch anders geht. So verfügen die Beamten in der Berliner Spezialdienststelle zur Bekämpfung des Menschenhandels über eine spezielle Ausbildung. Die sächsischen Bediensteten hingegen seien weder spezifisch geschult, noch gebe es entsprechende Spezialabteilungen in den Polizeidirektionen.

“Dies ist unumgänglich, um im Bereich Menschenhandel und Zwangsprostitution handlungsfähig zu sein”, sagt Jähnigen. Aber das braucht nun einmal auch genug ausgebildete Kriminalpolizisten. Aber warum sollte ein Minister hier reagieren, wenn er über das eigentliche Beobachtungsfeld nichts weiß?

“Für den Bereich Prostitution liegen keine verlässlichen Zahlen zur Anzahl der in Sachsen tätigen weiblichen, männlichen und transsexuellen Prostituierten im allgemeinen und dem Umfang der Straßenprostitution im Besonderen vor. Auch kann die Staatsregierung keine Aussagen zur Anzahl von Prostitutionsstätten oder über die Entwicklung der Prostitution in Sachsen in den vergangenen 15 Jahren treffen”, zählt Jähnigen auf. “Antworten auf die Fragen, wie hoch der Anteil ausländischer und minderjähriger Prostituierter ist, bleibt sie ebenso schuldig. Folglich konnte die Staatsregierung auch keine Angaben machen, wie viele Prostituierte in einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung tätig und wie viele krankenversichert sind.”

Es existieren zwar Zahlen. Aber die sind löcherig wie ein Schweizer Käse. Denn die öffentlichen Kassen verzeichnen durchaus Einnahmen durch Prostitution – allerdings mit hohen regionalen Unterschieden, die aus Jähnigens Sicht nicht verständlich sind: “Während in Chemnitz über 4.000 Prostituierte am Düsseldorfer Verfahren teilgenommen haben, sind es in Dresden nur 260 und in Leipzig 968. Zwar sind einzelne Prostituierte mehrfach gezählt worden, u.a. weil sie ihre Dienste an wechselnden Orten anbieten, nichtsdestoweniger machen die Zahlen unterschiedliche Herangehensweisen der Behörden deutlich.”

Beim Düsseldorfer Verfahren wird eine pauschale Steuer erhoben, die als eine Vorauszahlung auf die Einkommens- und Umsatzsteuerschuld angerechnet wird.

Und nicht nur bei Aufklärung mangelt es. Bei Schutz und Beratung der Prostituierten tat der Freistaat bislang auch so, als ginge ihn das Thema gar nichts an. Aber es scheint sich was zu ändern, stellt die Grünen-Abgeordnete fest.

“In Sachsen existieren – anders als in Ländern wie Berlin, Hamburg, Bremen, Bayern oder Hessen – keine spezifischen Beratungsstellen für Prostituierte, weder zu Risiken beim Einstieg noch zum Ausstieg noch bei sonstigem Beratungsbedarf. Die Staatsregierung plant jedoch nicht, in absehbarer Zukunft derartige Beratungen anzubieten”, kommentiert Jähnigen. Und ergänzt: “Um die Situation von legalen Prostituierten zu verbessern, haben andere Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Niedersachsen und künftig Mecklenburg-Vorpommern sog. Runde Tische ins Leben gerufen. Sie sollen ressortübergreifend Maßnahmen in diesem Bereich koordinieren. Der in anderen Bundesländern praktizierte Runde Tisch zur Verbesserung der Situation legaler Prostituierter wäre auch für Sachsen ein wichtiger Schritt. Nicht zuletzt sollten die Beratungsstellen finanziell solide ausgestattet werden.”

Sie sieht die Landesregierung beim Thema Prostitution noch im Schlafmodus. Immerhin wird gerade eine Novellierung des Prostitutionsgesetzes diskutiert, die auch Länder und Kommunen in die Pflicht nimmt. Nur wie sollen die arbeiten, wenn selbst die grundlegenden Daten fehlen?

Sollte das Prostituiertengesetz so in Kraft treten, wie es jetzt vorliegt, habe dies auch Auswirkungen auf die Länder und Kommunen, stellt Eva Jähnigen fest. So müssten Kommunen künftig Bordelle genehmigen und Prostituierte registrieren. Außerdem sei eine jährliche Gesundheitsberatung Pflicht, für Prostituierte unter 21 Jahren sogar eine halbjährliche. Können Prostituierte kein Deutsch, müssen sie in ihrer Muttersprache informiert werden.

“Wie zum Beispiel die im Gesetz vorgesehene Kondompflicht für Freier überprüft werden soll, ist nicht nur der Deutschen Polizeigewerkschaft schleierhaft”, so die Abgeordnete. “Dennoch sieht die Staatsregierung bisher nicht die Notwendigkeit, sich mit der landesrechtlichen Umsetzung auseinanderzusetzen.”

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