Sachen gibt es. Zum Beispiel verdienen hiesige Menschen ihren Unterhalt damit, dass sie anderen Menschen kleine charmante Genussorte in Leipzig zeigen. Wer hätte das gedacht, damals, als mein Vater der Meinung war, wenn man nicht jahrelang in Dreck und Kodder gerobbt hätte, würde man verhungern. Tanner traf Franziska Mauersberger, während er aß und sie essfreudiges Volk an ihm vorbei schob.

Guten Tag, Franziska Mauersberger. Ich sehe Dich hier gerade mit einer Menschenherde über die Karl-Heine-Straße flanieren. Dabei trägst Du ein Namensschild mit “Eat The World” und Deinem Namen drauf. Was machst Du denn hier gerade?

Hallo Volly, schöne Überraschung, dich hier sitzen zu sehen. Nun ja, ich mache, mit meinen Leuten im Schlepptau, eine kulinarisch kulturelle Stadtführung durch Plagwitz, die geht insgesamt drei Stunden lang. Unterwegs halten wir hier und da und lassen uns majestätisch verköstigen. Wir kommen nämlich gerade vom Café Albert, wo wir leckere Paninini mit Ziegenkäse und Feigensoße probiert haben. Da das Café aber nicht größer als ein Wohnzimmer ist, haben wir draußen auf dem Freisitz, gegenüber dem Westwerk unsere Kostproben eingenommen. So konnte ich unseren Gästen anschaulich über die Geschichte des Industriekomplexes erzählen, von seiner Historie als ehemaliges Depot für die Leipziger Pferdebahn und später als Standort der Firma Schuhmann & Co, die Armaturen und Wasserstandsgeräte hergestellt hat.

Aber auch von der heutigen Nutzung der großen Halle als Ausstellungsfläche für Kunstprojekte habe ich natürlich erzählt. Manchmal, wenn offen ist und noch genug Zeit bleibt, gehen wir in die Räume des Faltbootverleihs vor Ort, das ist vor allem für die männlichen Gäste interessant. Wir hatten auf der letzten Tour eine private Gruppe, die unbedingt ein Gruppenfoto zu acht in dem S/W Automaten vor dem Westwerk machen wollte. Die jungen Männer und ihre Kollegin haben sich mit ihren Oberkörpern in die kleine Kabine reingezwängt, während einige Beine rausgestreckt waren, Rucksäcke und Taschen draußen lagen. Das Ergebnis: am Ende kam tatsächlich ein gutes Bild heraus – doch leider nur mit einer Abbildung der Dame, die in der Mitte der Gruppe brav auf dem Stuhl gesessen hatte.

Kannst Du uns ein bisschen etwas zum Konzept von Eat The World erzählen?

Neulich hatte ich eine ältere Dame auf der Tour, die interessiert auf mein Namensschild guckte und danach direkt in mein Gesicht. Plötzlich sagte sie zu mir “Ihr Name ist aber merkwürdig.” Da war ich etwas baff, denn so außergewöhnlich ist der ja nun nicht gerade. Doch sie meinte eher den Namen der Firma Eat the world (ETW)- zu Deutsch: “Iss die Welt”. Also die Welt essen wir nicht. Wir kosten uns durch die Südvorstadt und Plagwitz. Weitere Stadtteile werden demnächst dazu kommen. Sieben kulinarische Stationen werden jeweils besucht, kleine inhaberbetreute Läden, gastronomische Einrichtungen, in denen mit Herzblut gearbeitet und nachhaltig zubereitet wird. Dabei gehen wir oftmals Wege abseits der Hauptstraße an Orte, die manch Leipziger nicht einmal kennt. Diese kleinen Läden zu unterstützen, welche sich gegen Fastfood-Ketten behaupten, das ist unser Anliegen. Wir Gästeführer von ETW dienen quasi als Multiplikatoren, machen bekannt und betreiben somit Verkaufsförderung auf angenehme Art und Weise.

Das gefällt mir. Was bekommen aber die Gäste genau?

Unsere Gäste bekommen ihre Kostproben immer frisch zubereitet serviert. Darum gilt es auch, möglichst zum vereinbarten Zeitpunkt an den Stationen zu erscheinen. Für Vegetarier, Veganer, Schwangere oder Gäste mit diversen Nahrungsmittelunverträglichkeiten gibt es immer eine geeignete spezielle Alternative, sollte jedoch vorher mitgeteilt werden, damit wir es rechtzeitig bestellen können. Damit unsere Gäste bei einem späteren Besuch der Stadt oder des Viertels wieder zu den Restaurants und Geschäften finden, wird zur Tour immer das obligatorische Begleitheft mit den Adressen und Telefonnummern unserer Partner gereicht, bestückt mit einer kleinen roten und durchaus nützlichen Serviette.

Wie bist Du denn zur kulinarischen Stadtführerin geworden? Wir kennen uns ja schon einige Monde lang – aber als Führerin von Leuten habe ich Dich eigentlich nicht wirklich gesehen.

Wirst du jetzt aber öfter, denn ich bin als Gästeführerin mit dem Fahrrad unterwegs, zu Fuß, mit dem Segway, in der Party Tram und natürlich auch im Bus, letztens sogar im Trabi. Was für eine Fahrt, abenteuerlich, sage ich dir! Seit 2011 arbeitete ich im Nebengewerbe bereits als Guide und seit Ende Mai dieses Jahres sogar hauptberuflich mit IHK Zertifikat auf Deutsch, Englisch und Französisch. Zur kulinarischen Tour bin ich gekommen als ich eine Gruppe Touristen im Bus begleitete, die vorher mit Eat the world in der Südvorstadt unterwegs war. Bei der Übergabe lernte ich meine neue Chefin Ina Thyrolf kennen, die als Franchisenehmerin die culture & food Touren in Leipzig organisiert. Mir gefiel das Konzept mit Gästen in kleinen Cafés und Geschäften einzukehren und auf dem Weg dahin auf bauliche Schönheiten oder interessante Orte zu verweisen, auf Anhieb sehr gut. Vor allem, da diese Art Stadtführung eine lockere Atmosphäre bietet. Während der Essenspausen gibt es prima Gelegenheiten, mit den Gästen ins Gespräch zu kommen.

Wenn ich zum Beispiel die Liste der Plagwitz-Touren sehe, dann sind da recht viele ausgebucht. Wer ist denn da Euer Publikum? Was für Leute lassen sich führen? Gourmets? Megaschnitzeliker? Junggesellinnenabschiederinnen?

Dass so viele teilnehmen, freut uns natürlich riesig. Uns besuchen in Plagwitz Neugierige, die mal was von dem hippen Stadtteil oder allgemein von der Westkultur gehört haben, aber auch Zugezogene buchen die Tour sowie Leipzigrückkehrer, ein ausgewogenes Publikum also. Ein Großteil unserer Gäste ist darüber hinaus Wiederholungstäter. Bereits aus anderen deutschen Großstädten wie Hamburg, Münster, Berlin, Dresden und Potsdam kennen manche unsere culture & food Touren. Und weil sie so begeistert waren, steht eben auch irgendwann Leipzig auf dem Plan. Das Konzept kommt sehr gut an. Wer zum Beispiel schon mal in Berlin war, eine charmante Führung dort mitgemacht hat, kommt mit der Erwartung etwas ähnlich Gutes hier zu erleben, nach Leipzig.

Manche der Gäste haben früher in der Gegend gewohnt, sind nach der Wende weggezogen, weil es so trist war und nun möchten sie gern sehen, was sich in ihrem ehemaligen Stadtteil getan hat. “Kaum wiederzuerkennen” staunen die meisten von ihnen. Denkt man nur an den Karl-Heine-Kanal, der 1996 von Angela Merkel, damals noch Bundesumweltministerin, als touristischer Wasserweg eingeweiht wurde oder an die sanierten Buntgarnwerke, eines der größten europäischen, bewohnten Industriedenkmäler aus der Gründerzeit. Kluge Leute kommen zu uns, und selbstverständlich hungrige Gäste – vom Vegetarier angefangen über den bekennenden Fleischliebhaber, zuckersüße Leckermäulchen und Hobbyköche.

Um solch ein Angebot wie Eat The World zu etablieren braucht es ja eine gewisse Quirligkeit der Stadt. In Leisnig würde das Konzept ja nicht funktionieren. Wie weit ist Leipzig noch zu treiben? Irgendwann ist der Druck ja auch zu groß, dann explodiert ja alles. Wie siehst Du die derzeitige Aufwärtsspirale der Stadt ganz persönlich?

Die nötige Lebendigkeit besitzt unsere Stadt auf jeden Fall. Kulturell ist immer was los, siehe Wave Gotik Treffen, Stadtfest oder gerade eben erst das Bachfest. Außerordentlich gut hat mir neulich, im Rahmen dieses Festes, das für jedermann kostenlos zugängliche Jazz Konzert auf dem Marktplatz mit der Norwegerin Tine Thing Helseth an der Trompete gefallen. Jetzt könnte ich ins Schwärmen kommen. Jedoch empfand ich den zum Stadtfest inszenierten Sternenlauf von als Löwen bezeichneten Installationen aus verschiedenen Stadtvierteln zum Augustusplatz ehrlich gesagt als ein wenig zu viel Trara. Die Stadt schmückt sich mit Superlativen und der Kultur, die langsam durch den Hype verschwindet. Was bedeutet denn aufwärts? Meinst du etwa damit, dass es mehr Einwohner, Wohnkomplexe, Einkaufszentren und Hotels gibt, dass mehr Touristen kommen, Leipzig international in aller Munde ist? Letzteres ist natürlich gut für meinen Beruf.

Nun ja, ich meine die immensen Zuzugszahlen, Franziska.

10.000 Zuzügler jedes Jahr, ja, da frage ich mich schon, wo das hinführt. Immer mehr Freiflächen verschwinden und kriegsbedingte Baulücken werden mit architektonischen Schuhkartons geschlossen. Außer im Musikviertel, da sind ganz spannende Neubauten errichtet worden. Es wird langsam eng in Leipzig. Mich persönlich zieht es an meinen freien Tagen zum Ausgleich ins beschauliche Umland, zum Beispiel nach Grimma, oder allgemein mit dem Rad ins Obstland Sachsen – um mal wieder den Bogen zum Essen zu machen. Nur so am Rande, während man am Stadthafen Leipzig 3 Euro für eine kleine Cola bezahlt, bekommt man zum Straßenfest in Grimma eine Bratwurst plus eine leckere Erdbeerbowle für insgesamt einen Euro.

Danke, Franziska für Deine Antworten – und immer geschmackvolle Wissbegierige hinter Dir.

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