Ich bin ja einer dieser Zeitgenossen, die sich ihr Lesefutter noch in Zeiten besorgten, in denen eine 2015 auf dem Titel ein 100-prozentiges Zeichen dafür war, echte Science Fiction in die Hand zu bekommen. Daran wurde ich jüngst etwas unverhofft erinnert, als ich die geschenkte "Bild"-Zeitung zum Leipziger Jubiläum an dieser Stelle beschmökerte. Da gab's auch einen Beitrag von Sven Janszky, Trendforscher seines Zeichens.

Er betreibt hier in Leipzig seine Denkfabrik “2b Ahead”, bewirbt sich auch gern selbst mit “Deutschlands innovativste Denkfabrik”. Ich hab den Beitrag lieber nicht besprochen. Das hätte zu sehr wie eine Rezension jener herrlich verkorksten utopischen Romane aus den 1950er Jahren gewirkt, als es nur so von Robotern, rollenden Straßen, fliegenden Autos und derlei Quatsch wimmelte.

So ein bisschen wirkte auch Janszkys Vision für 2115: Zwei Millionen Einwohner in Leipzig, Halle ist eingemeindet, fliegende Autos kamen auch drin vor – können sich aber “nur die ganz Reichen” leisten, “ein Massentrend sind sie nicht”.

Besonders ärgerlich fand ich die Behauptung, “nur noch einige denkmalgeschütze Gebäude” wären übrig. “Andere wie die Oper, wurden abgerissen und durch gedruckte Häuser ersetzt. Wolkenkratzer gibt es aber nur wenige …”

Kann ja sein, dass die “Bild”-Truppe hier ein bisschen nachgeholfen hat. Fliegende Autos klingen immer gut. Aber gerade das mit den abgerissenen Denkmalen hat mich – na ja, nicht richtig verärgert, eher verstört. Wie kann man heute noch so dumme Visionen entwickeln? Ich gucke mich um und sehe, dass sich dieses kleine, nette Leipzig anders entwickelt. Nicht klug und auch nicht gut, eher widerborstig, gegen zähe Widerstände. Aber so ein bisschen ist ja sichtbar, wohin sich das entwickeln könnte – wenn nicht wieder die falschen Utopien die Reserven auffressen.

“Welche Reserven, Leolein? Du hast doch alle Quarkbällchen allein gefuttert ..”

“Geb ich ja zu, Schätzchen. Dafür hungere ich heute abend ein bisschen. Nach dem Abendbrot …”

“Wollten wir nicht noch ein bisschen grillen?”

“Das zählt doch nicht, Schnuckiputz. Da sind wir doch an der frischen Luft.”

Fliegende Autos wird es nicht geben. Da bin ich mir als alter SF-Fan sicher. Und zwar nicht, weil das technisch nicht möglich wäre, sondern weil sie in der deutschen StVO schlicht keine Fluggenehmigung bekommen werden. In Leipzig schon gar nicht. Denn bei einem bin ich mir sicher: Auch in 100 Jahren werden noch Straßenbahnen durch Leipzig fahren und Drähte über der Straße hängen. Da werden auch keine Amazon-Päckchen-Drohnen fliegen.

Autos wird es noch geben. Aber die werden anders aussehen als heute: kleiner, wendiger, platzsparender. Und sowieso: elektrisch. Das wird dann ungefähr so aussehen, wie Stanislaw Lem sich mal die Städte der Zukunft vorgestellt hat. Und ein paar Reiche werden vielleicht noch mit so einem großen Diesel-Oldtimer von 2015 rumfahren. Mit Sonderplakette und Sondersteuer. Reinster Luxus.

Die meisten Leipziger – und ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich Janszkys zwei Millionen ernst nehmen soll – werden aber nicht mit dem Auto fahren, sondern mit Straßenbahn, S-Bahn usw. Nur werden die Fahrzeuge anders aussehen als heute – größer, viel mehr wie die Tokioer U-Bahn. Ferngesteuert sowieso. Ich frage mich sowieso heute schon in den ganzen Minuten, Stunden und Tagen, die ich an bekloppt geschalteten Ampeln herumstehe, warum es eine Stadt wie Leipzig nicht fertig kriegt, den ganzen Verkehr von einem Super-Verkehrscomputer steuern zu lassen. Einem, der Verstand genug hat, Kreuzungen frei zu geben, wenn minutenlang kein Auto kommt, der Straßenbahnen so fahren lässt, dass sie unterwegs nicht gleich Viertelstunden an Verspätung einsammeln, sondern – ähäm – jetzt sag ich mal was Freches: pünktlich kommen.

“Das mit dem bekloppt war auch frech, Leo. So was sagt man nicht.”

“Zu Ampeln schon. Das sagen alle.”

“Ich nicht, das müsstest du eigentlich wissen.”

“Du hattest ja auch eine gute Erziehung, Mausi. Ich bin hier nur der Bursche mit dem Badetuch.”

Und ich weiß, wann die Straßenbahnen dann fahren: Nämlich genau zu der Zeit, die im Fahrplan ausgedruckt ist. Und auch zur ausgedruckten Zeit losfahren. Und nicht fünf Minuten dumm rumstehen am Hauptbahnhof oder anderen bekloppten Plätzen, die ich mir beim Dumm-Rumstehen nun wirklich schon oft und lange genug angeguckt habe.

“Das war jetzt schon wieder ein bekloppt, Dickerchen.”

“Tschuldigung. Is mir so rausgerutscht.”

“Du hast es immer viel zu eilig, mein Lieber. Du bist zu ungeduldig. Das ist dein Problem.”

“Später werde ich bestimmt mal ganz gemütlich.”

“Wie gemütlich? Wie ein Löwe im Zoo?”

“Eher wie ein Bär mit Honigfass, denk ich …”

Und so geht mein Traum weiter: Dass das so kommt, da bin ich mir sicher. Zahlreiche deutsche U-Bahnbetreiber testen schon die fahrerlose Bahn. Da ist es nur eine Frage der Zeit, wann das auch bei Straßenbahnen so sein wird – oder S-Bahnen, die ja im Leipziger City-Tunnel auch gern rumstehen, wenn zu viele Fahrräder im Zug sind. Was für mich schon heute heißt: Die nächste Zuggeneration wird schon anders aussehen. Und der Wilhelm-Leuschner-Platz wird übrigens umbenannt. Fällt mir grade so ein. Am 28. Januar 2030. Dann bekommt er den Namen Kurt-Biedenkopf-Platz, weil dann alle begriffen haben, dass Leipzig abgekotzt hätte ohne City-Tunnel.

“Leo!”

“Autsch.”

“Das war jetzt ernst gemeint.”

Ohne Biedenkopf hätte es den nun einmal nicht gegeben. “Aufs Geld ge … lacht”, werden dann viele Leipziger sagen, weil sie froh sind, dass das Ding da ist und die Züge im 3-Minuten-Takt durchfahren. Hab ich 3-Minuten-Takt geschrieben?

Hab ich. Mit Zügen ohne Fahrer geht das. Eher stehen dann – wie in Japan – tapfere Uniformierte mit weißen Handschuhen an der Bahnsteigkante und halten die Leute zurück, wenn der Wagen zu voll ist. Denn der nächste Zug nach Halle fährt ja nicht in einer halben Stunde (wenn überhaupt), sondern in 10 Minuten.

2030, das denk ich schon, hat Leipzig wirklich eine S-Bahn, die den Namen verdient hat. Halle auch. Aber die beiden Städte werden sich nie vereinigen. Dazu sind die Temperamente zu verschieden. Frag mal einer die Hallenser! Nie im Leben.

“Und die Hallenserinnen?”

“Das ist was anderes. Aber die heiraten auch lieber nach Frankfurt oder Berlin.”

“Woher weißt du das?”

“Aus Erfahrung, Schätzchen. Meine ganze Kumpels in Halle sind solo, weil ihre Miezen alle weggeheiratet haben.”

Aber verschmelzen werden Leipzig und Halle. Und an der S-Bahnstrecke nach Halle wird es mindestens fünf neue Haltepunkte geben, wenn nicht zehn.

Hab ich schon erzählt, dass sich das Gleisnetz der Straßenbahn um mindestens 100 Kilometer verlängert? Und dass die wichtigsten Linien auch im 3-Minuten-Takt fahren? Janszky erzählt von vielen Einwohnern mit “asiatischen Gesichtszügen”. Das ist eine Untertreibung. Leipzig wird dann so bunt aussehen wie – sagen wir mal – heute schon New York, London oder Paris. Und die Oberbürgermeisterin heißt dann Wai Lin. Oder Uhura. Wäre das schön.

“Autsch!”

“Das hast du jetzt aber verdient.”

“Nie im Leben, Mausiputzi!”

Eigentlich ist es auch nur eine Frage der Zeit, wann die ersten Chinesen hier ihre Fabriken bauen. Alle schön entlang der S-Bahnstecke. Platz ist da ja. Ich merk schon richtig, wie die Dröppelknaben von Legida jetzt ganz blass werden. Ist ja nicht ihre Zukunft, die ich hier aufmale, sondern wahrscheinlich sogar die richtige. Die, die kommt. Nicht die, die hätte gewesen sein sollen.

Na gut. Ich kann mich irren, was den Hang der aktuell regierenden Sachsen zu prähistorischen Entwicklungsständen betrifft.

Wir können auch so eine Welt bekommen wie bei Bradbury in “Fahrenheit 451”. Das ist die Welt, die unsere Innenminister gern haben wollen. Und die Schnarchnasen vom Geheimdienst. Aber das Thema mach ich jetzt nicht auf. Muss ja noch einen Grill putzen und Gemüsespieße stecken.

“Und deine Würstchen?”

“Du weißt genau, dass du mich heute nicht an die Fleischtheke gelassen hast.”

“War doch nur ein Stupser, Leolein.”

“Ich weiß, was deine Stupser bedeuten, Mausi.”

“Und was bedeuten sie?”

“Dass Würstchen am Sonntagabend ganz schrecklich ungesund sind.”

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Das diesen Artikel zierende Foto bringt übrigens ein Problem auf den Punkt, in dem das ganze Trauerspiel um den Radverkehr in Leipzig (und vermutlich nicht nur hier) sichtbar wird. Fahrräder und Fußgänger werden zu einer Teilmenge der Verkehrsteilnehmer subsummiert, die sich offensichtlich prinzipiell von anderen (motorisierten) Verkehrsteilnehmern unterscheidet. Das aber ist Unsinn! Fahrräder sind Fahrzeuge (und keine Gehhilfen, auch wenn manche sich sehr langsam bewegen) und gehören als solche auf die Straße (und nicht auf Fußwege und Fußgängerübergänge). Wer etwas anderes sagt, redet der Autofahrerlobby das Wort, die die Straße für sich allein haben will. Nur unter bestimmten Umständen (z. B. auf Autobahnen oder bei vorhandenen und benutzbaren Radwegen, die eine echte Alternative zur Straße sind – also nicht ins Nirgendwo führen oder so schmal sind, dass ein Überholen nicht möglich ist, etc. p.p….) kann man Radfahrern die Benutzung der Straße verwehren…

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