Die Königin 90, aber der Prince tot. En passant stirbt mal wieder so eine richtige Ladung Flüchtlinge im Mittelmeer, aber das hat keine Titelseiten-Qualität mehr. Wir wollen uns ja nicht langweilen. Auch Thomas de Maizière lehnte das offensichtlich für sich ab und unternahm einen – aus seiner Sicht – sehr erfolgreichen „Schlag gegen Rechts“ im sächsischen Freital. Wenn manche hier nur von der berühmten Spitze des Eisbergs raunten, hatten sie sicher nicht den Innenminister gemeint, auf keinen Fall aber den Justizminister Heiko Maas.

Denn ein Eisberg ist dieser ganz offensichtlich nicht, im Gegenteil: Der ist sogar offiziell verliebt, wie die Zeitschrift BUNTE jetzt endlich für etwas Geld mitteilen durfte.

Schneller, immer schneller, dreht sich das bunte Rad der Nachrichten um uns, immer lauter tickt der Newsticker. Vielleicht bräuchten die meisten mittlerweile eher einen Newstacker, um alle Nachrichten zusammenzutackern, um sie dann mit großem Schwung return to sender …

Aber das ist Wunschdenken.

Ein paar länger geltende Wahrheiten aus diesem Wust zu extrahieren, wird jedenfalls nicht einfacher. Aber es kann gelingen. Denn auch in dieser Woche gilt: Selbst Politiker müssen das hinnehmen, was auch der Rest der Welt zu schlucken hat: Lesen allein macht nicht schlau. Man muss auch die richtigen Schlüsse aus dem Gelesenen ziehen.

Wolfgang Schäuble aber kann das. Das hat er gerade erneut bravourös bewiesen. Ganz offensichtlich scheint dem Minister das grauenhafte späte Grass-Gedicht „Schamlos“ in die Hände gefallen zu sein. Ein Elaborat, welches zeigt, dass auch Greisengeilheit das Zeug zum Straftatbestand besitzen kann:  „Wie Tiere / Leckten wir uns / Und fanden später – / Satt und matt – / Mit selbiger Zunge / Zivil geordnete Wörter, / Einander die Welt zu erklären: / Den Anstieg der Benzinpreise, / Die Mängel im Rentensystem, / Das Unbegreifliche / Der letzten Beethoven-Quartette.“

Dabei ist nicht nur erfreulich, dass auch Politiker sich an etwas Lyrik heranwagen und überdies dabei auch politisch (zumindest offiziell) auf der anderen Seiten Lungernde zu erhören scheinen, sondern auch die unmittelbaren Folgen für die Bevölkerung können sich sehen lassen: Schäuble, dem selbst der Krebsgang seit einiger Zeit verwehrt ist, zieht für die Klientel, die zumindest theoretisch die künftige Rentnergeneration stellen wird, den knallharten Schluss: Die von Grass postkoital imaginierten „Mängel im Rentensystem“ bestünden vor allem im zu frühen Renteneintritts-Alter, deshalb sei dringend angeraten: Ab jetzt Rente erst ab 70!

Wer nun deswegen den schwer schwäbelnden Finanzminister unrealistisch oder hartherzig zu nennen wagt, urteilt vorschnell, weil er dabei die durchaus vorhandene  – wenn auch leicht im Verborgenen blühende – weiche, soziale Ader Schäubles übersieht.

Und diese sorgt sich vermutlich in erster Linie um die deutsche Ehe – vor allem um die deutsche Ehe NACH Renteneintritt, die bekanntlich immer öfter auf tönernen Füßen zu stehen beginnt. Schließlich erkennen nicht wenige Eheleute erst nach den turbulenten Jahrzehnten der Erwerbstätigkeit, wen sie da überhaupt geheiratet haben. Dass das verhängnisvoll sein kann, zeigen die Zahlen der Ehescheidungen der über Sechzigjährigen auf nur zu beredte Weise.

Entgegen Günter Grass’ Annahme nämlich beginnen viele Neurentner nicht wie wild, einander wie „Tiere zu lecken“, um sich später mittels „zivil geordneter Wörter das Unbegreifliche der Beethoven-Quartette“ zu erklären. Im Gegenteil: Viele nutzen selbige Zunge viel öfter, um vorwiegend maulend über Benzinpreise zu schimpfen oder über die Mängel des Rentensystems. Manche beginnen sogar, Marmeladengläser zu beschriften und sich Blousons in geriatrischen Pastelltönen anzuschaffen. Dass dies dem Ehepartner nicht verborgen bleiben kann, wenn er diesem Terror nun 24 Stunden ausgesetzt ist, liegt auf der Hand.

Schäuble, der schlaue Fuchs, hat dies natürlich rascher erkannt als viele seiner politischen Mitstreiter und Gegner, die sich immer noch um eine schlüssige Rentenlösung herumdrücken.

Deshalb: Nicht verzagen und auf Wolle Schäuble hören. Auch Froschperspektive ist nicht zu unterschätzen. Ein bisschen Konsequenz allerdings sollte dann aber auch für die Politikerzunft mitschwingen, oder? Wenn die Grenze mit 70 benannt ist, dann aber auch schnellstmöglich alle raus aus der Politik, die drüber sind.

Beim Intelligenzquotienten funktioniert das doch bei vielen schon ganz gut. 😉

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar