Was machte Martin Luther eigentlich am 28. Mai 1517? Die Frage muss man ja mal stellen dürfen, wenn der Festgottesdienst zum Reformationsjubiläum am Sonntag, 28. Mai, auf den Elbwiesen in Lutherstadt Wittenberg stattfindet. Die Deutsche Bahn rechnet mit mehr als 100.000 Anreisenden zu diesem Höhepunkt des Jubiläumsjahrs „500 Jahre Reformation“.

An diesem Tag sollen allein mit dem Zug über 100.000 Besucher an- und abreisen, teilt die Bahn mit, die zu dieser Gelegenheit etwas macht, was eigentlich für den Bahnverkehr in Mitteldeutschland zukunftsweisend wäre: Zur Bewältigung dieser enormen logistischen Herausforderung wird die Deutsche Bahn, offizieller Mobilitäts- und Logistikdienstleister des Reformationsjubiläums, quasi ein „S-Bahnnetz für einen Tag“ schaffen. Die Deutsche Bahn wird dazu Fahrzeuge aus dem gesamten Bundesgebiet nach Mitteldeutschland bringen, um insgesamt rund 260 Zugfahrten anzubieten.

Alexander Kaczmarek, Konzernbevollmächtigter der DB für das Land Berlin und Koordinator für das Verkehrsangebot der DB zum Reformationsjubiläum: „Wir werden über 100.000 Besucher innerhalb weniger Stunden zuverlässig auf der Schiene nach Wittenberg bringen. Das ist die umfangreichste Verkehrsleistung der Bahn seit dem Mauerfall 1989 – eine Herausforderung, der wir uns gerne stellen. Schließlich steht die Deutsche Bahn für umweltfreundliche Mobilität und unterstützt die Nachhaltigkeitsziele des Reformationsjubiläums.“

Luther hätte gestaunt.

Er musste noch zu Fuß, mit Wagen oder Pferd reisen. Und dabei hatte er es oft genug genauso eilig wie wir heute. Aber was machte er an diesem 28. Mai? Es war ein Montag. Bestimmt wissen es die Lutherforscher. Bestimmt gibt es irgendwo ein Vorlesungsverzeichnis, das zeigt, welche Vorlesung der junge Bibelprofessor Dr. Martin Luther an diesem Tag hielt.

Dass er in diesen Maitagen längst auf dem Weg war, das vorzubereiten, was er dann im September und Oktober tat, ist bekannt. Davon erzählen Nachschriften seiner Vorlesungen, in denen er sich hauptsächlich mit den Psalmen und den Paulusbriefen beschäftigte. Gerade die Briefe an die Römer wurden für ihn irgendwann zwischen 1512 und 1517 zum Erweckungserlebnis, das meist als Turmerlebnis in die Luther-Biografien eingeht.

Oder war er am 28. Mai gar nicht in Wittenberg? Seit 1514 war er auch noch Provinzialvikar der Augustiner, musste also viel und häufig reisen, um die Konvente der Brüder zu besuchen und zu visitieren.

Oder genoss er den Tag am Ufer der Elbe? Freute sich mal, einfach Mensch sein zu dürfen, ein Stündchen ohne Hader. Denn er haderte schon lange. In den Vorlesungsnachschriften ist dieses Hadern nachzulesen. Denn gerade bei seiner Beschäftigung mit Paulus merkte er, dass er sich – wenn er diesen Paulus ernst nahm – mit der existierenden Kirche anlegen musste. Denn gerade bei Paulus ist diese Absage an alle Riten und Hierarchien unübersehbar: Nicht durch Riten oder Opfer wird der Mensch befreit, sondern allein durch Glaube. Die Gnade Gottes hat er schon. Die ist ihm quasi in die Wiege gelegt.

Schon 1516 war Luther mit Auftritten gegen den Ablass hervorgetreten. Denn seit 1516 zog der Ablass-Zirkus des Johannes Tetzel direkt vor der Nase des sächsischen Kurfürsten Friedrich der Weise durch die benachbarten Lande. 1515 hatte der Papst den neuen Ablass verkündet, mit dem auch Geld für den gigantischen Petersdom in Rom gesammelt werden sollte.

Aber für Luther vertrug sich das nicht im Mindesten mit dem, was er bei Paulus las. „Bruder Martinus brachte Leben in die Bude“, schreibt Joachim Köhler in seiner Luther-Biografie. „Damit hatte der Mann aus Mansfeld kurfürstlichen Respekt gewonnen, aber auch für Verstimmung gesorgt. Schließlich profitierte man in Wittenberg von der käuflichen Sündenvergebung.“

Alljährlich wurde Friedrichs Reliquiensammlung öffentlich präsentiert – und wer zu diesem Anlass nach Wittenberg pilgerte, konnte sich eine Menge Ablass kaufen.

Köhler schildert es sehr plastisch: Tatsächlich ging es hier um frühkapitalistische Konkurrenz. Und Luther sorgte mit seinem Auftritt in Sachen Ablasshandel vor Friedrich erst einmal für Verstimmung. Aber Luther war nicht allein. Denn noch zog auch sein Freund und Vorgesetzter Johann von Staupitz (der ihn auch nach Wittenberg geholt hatte) die Fäden. Und augenscheinlich war es Staupitz, der den Kurfürsten überredete, diesen jungen Heißsporn Luther etwas unternehmen zu lassen gegen den Ablasshandel. „Der Pfeil zielte ins Herz der römischen Geldbeschaffung“, schreibt Köhler.

Und er wurde nicht erst am 31. Oktober abgeschossen. Und über Nacht hat sich Luther die Thesen auch nicht ausgedacht. Im Sommer, als seine Studenten mal Ferien machten, setzte er sich hin und las die „Instructio Summarium“ des Mainzer Erzbischofs Albrecht, in der die Anweisungen für die reisenden Ablassprediger niedergelegt waren. Wer angreifen wollte, musste die Argumente seines Gegners kennen. Im September muss er zum ersten Mal seine Argumente in Thesenform diskutiert haben – vorerst im Wittenberger Kollegenkreis. Aber auch das Ausformulieren der endgültigen 95 Thesen und ihre Veröffentlichung am 31. Oktober müssen mit Kenntnis sowohl von Staupitz als auch des Kurfürsten erfolgt sein. Denn ohne dessen zumindest stillschweigende Zustimmung hätte so ein deutlicher Angriff gegen den ämterhäufenden Kardinal und seinen sächsischen Ablasssammler Tetzel nicht erfolgen können.

Und an den Papst haben sie garantiert alle drei gedacht, Staupitz zuallererst. Hier wollte man ein Zeichen setzen und ging ganz großes Risiko. Wohl wissend. Denn damit war auch schon 100 Jahre zuvor Jan Hus gescheitert. Und dass der Papst Kenntnis von diesem Angriff bekommen würde war sicher, spätestens, seit die Thesen auch an Kardinal Albrecht abgeschickt worden waren. Mächtige Männer können verdammt zickig werden, wenn es um ihren Geldbeutel geht. Dann gehen sie über Leichen.

Eigentlich hatte Luther gehofft, in Albrecht sogar einen Verbündeten zu finden. Der Mann war auch als Humanist bekannt. Aber es kam anders. Wie so oft, wenn es auch um Geld geht.

Wenn also am 28. Mai in Wittenberg gefeiert wird, feiert man eigentliche eine Art Vorstadium dessen, was dann im Herbst passierte, einen couragierten Theologieprofessor, der seinen Zuhörern zeigte, dass in den alten Paulusbriefen eine gehörige Menge Sprengstoff steckte. Aber auch ein Stück Hoffnung, aus dem depressiven Zustand der Zeit herauszukommen. Es war nur nicht klar, wie das geschehen könnte.

Aber das ist ja meistens so, wenn die alten Eliten die Karre erst mal in den Schlamm gefahren haben.

Der Verkauf der Sonder-Tickets für den 28. Mai 2017 für die Shuttle-Züge beginnt übrigens am 1. Februar um 9 Uhr und ist ausschließlich auf der Website des Vereins Reformationsjubiläum 2017 möglich, teilt die Bahn noch mit.

www.r2017.org/anreise

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