Immer, wenn er gefragt wurde, wie er gegen die vielen Pöbeleien, Falschmeldungen und Hasspostings in seinem weltumspannenden Netzwerk Facebook vorgehen wolle, druckste Mark Zuckerberg herum, redete sich raus, verniedlichte das Problem und versprach dann ein bisschen Besserung. Aber der Brief, den Facebook dann gegen das geplante Anti-Hass-Gesetz des deutschen Justizministers kursieren ließ, entlarvte die ganze Ignoranz des Riesenkonzerns.

Noch im Juni und damit vor der Sommerpause soll das mit dem Namen Netzwerkdurchsetzungsgesetz bezeichnete Gesetz gegen Hasskommentare im Internet beschlossen werden. Damit will das Bundesjustizministerium insbesondere gegen wüste Beschimpfungen, menschenverachtende Aussagen oder beispielsweise bewusste Falschmeldungen in sozialen Netzwerken vorgehen.

Nachdem sich aufgrund der Gefahren für Meinungsfreiheit bereits starker Widerstand durch Verbände, Juristen sowie die Zivilgesellschaft gegen den Gesetzesvorstoß geregt hatte, hat sich nun Facebook als ein Hauptadressat öffentlich geäußert und den Justizminister aufgefordert, das Gesetz zurückzuziehen, weil es mit deutschem und europäischem Recht nicht vereinbar sei, allerdings auch keine eigenen Pflichten in diesem Kontext anerkannt.

Dass gerade Medien und Journalisten die Gefahren des Gesetzes kritisieren, ist verständlich. Zumindest zur Hälfte. Denn die Befürchtung liegt nah, dass sich der Staat mit dem Gesetz Zensurrechte sichert, die tatsächlich tief in die Presse- und Meinungsfreiheit eingreifen – mit der es aufgrund aktueller Medienentwicklungen eh schon nicht weit her ist.

Und das hat mit Facebook zu tun.

Facebook hat sich hier mit den Falschen (scheinbar) verbrüdert. Denn dass überhaupt über die Flut von Hasskommentaren und deren Einfluss auf das gesellschaftliche Klima debattiert wird, hat damit zu tun, dass Leute wie Mark Zuckerberg die soziale Dimension ihrs Tuns nie begriffen haben.

Ernst zu nehmende Kollegen meinen, dass er es wohl begriffen habe und ganz bewusst alle Schleusen und Kontrollebenen geöffnet habe.

Kann sein. Das wäre dann Zynismus in Vollendung. Die man den gierigen Tech-Unternehmern aus dem Silicon Valley durchaus zutrauen kann. Sie reden zwar immer davon, die Welt modernisieren und revolutionieren zu wollen, gar die dritte Welt (Indien zum Beispiel) aus ihrem Internet-Schlummer erwecken zu wollen. Aber in ihren Ideen kennen sie keine Grenzen. Sie agieren genauso wie die großen amerikanischen Banken vor (und leider auch wieder nach) der Finanzkrise von 2008: Sie reißen alle Korrektive und Regularien nieder, die andere mühsam aufgerichtet haben, um das Anarchische und Rücksichtslose, das menschlicher Gier innewohnt, zu bremsen und einzuschachteln. Und damit zu verhindern, dass pure menschliche Gier die Welt wieder in den Abgrund stürzt wie 1929.

Dasselbe Denken steckt hinter der milliardenschweren Expansionsoffensive der IT-Giganten aus den USA. Gerade Facebook hat – und kaum einer scheint das richtig gemerkt zu haben – alle Arbeitsmodelle freier Medien zerstört. Es hat ihre Werbeumsätze an sich gerissen, weil es mit den Daten der Nutzer etwas macht, was sich kein deutsches Medienunternehmen erlauben darf. Es hat auch die Reichweiten der Medien zerstört, indem es sich quasi selbst zum gigantischen Publisher von Allem und Jedem entwickelt hat. Und es hat dabei alles niedergetrampelt, was sich seriöse Medien in den vergangenen Jahrzehnten als Pressekodex und Handlungsrahmen auferlegt haben.

Einige Medien halten sich nicht immer dran – das ist bekannt. Die rasseln regelmäßig mit dem Deutschen Presserat zusammen.

Aber für Facebook gilt: Facebook hält sich überhaupt nicht daran. Es tut so, als würden alle Veröffentlichungsregeln in Deutschland für dieses Offshore-Unternehmen mit dem europäischen Sitz in Irland nicht gelten. Nur notgedrungen lässt man von Armadas von Putzkolonnen das Allerschlimmste vom Allerschlimmen aus Facebook-Seiten entfernen.

Mit dem Brief gegen das geplante Gesetz aber hat der Konzern deutlich gemacht, dass ihm demokratische und soziale Spielregeln, die eine friedliche Kommunikation unter Menschen erst möglich machen, piepegal sind.

Nur wer ein bisschen aufpasst, weiß, dass diese Verrohung der Diskussion, die zuerst auf Facebook stattgefunden hat, mittlerweile auch in die Kommentarspalten vieler, vieler einst seriöser Zeitungen geschwappt ist. Denn die Honks unter unseren Mitmenschen verstehen so etwas als Signal. Man darf auch an den mit Statistik sehr eigenwillig jonglierenden Herrn Sarrazin aus der SPD denken: „Muss man doch mal sagen dürfen …“

Nein. Muss man nicht. Denn das ist die Zerstörung einer ehrlichen Diskussion, bei der beide Seiten anerkennen, dass eben nicht gelogen, getrickst und verdreht wird. Wer lügt, fliegt raus. Wer pöbelt, fliegt raus.

Die meisten Menschen sind einigermaßen gebildet, um verinnerlicht zu haben, dass man andere Menschen nicht anschreit, nicht beleidigt und auch nicht lügt. Deswegen haben wirklich seriöse Medien Moderatoren, die alle Kommentatoren, die sich nicht an die Regeln halten, darauf hinweisen und die Kommunikation in zivilisierte Bahnen lenken.
Sie haben auch ihre Erfahrungen gesammelt, was passiert, wenn man einen dieser Pöbler erst einmal richtig machen lässt. So etwas wirkt geradezu magisch auf andere Pöbler, die ruckzuck auftauchen und die ganze Diskussion an sich reißen. Das geht fast automatisch und aus einer klugen Leserdiskussion wird ein einziges wüstes Geschimpfe und Geschrei.

Genau das, was bei Facebook eben nicht nur auf einzelnen Seiten passiert, wo die Nutzer einfach mal (weil es ja augenscheinlich niemanden stört) die Sau rauslassen, sondern in ganzen Netzwerken. Die Facebook-Struktur ist geradezu geschaffen, um solche Hass- und Empörungswellen so richtig zu unterstützen und zu verstärken. Was natürlich ganze Gesellschaften verändert, wenn sich immer mehr Menschen nur noch über Facebook ihre Nachrichten über die Welt holen.

„Natürlich ist es richtig und anerkennenswert, dass der Staat sich dem Problem der zunehmenden Hassbotschaften im Netz stellt und dazu auch gesetzgeberisch eingreifen will“, erklärt nun Andreas Eichhorst, Vorstand der Verbraucherzentrale Sachsen. „Die Stellungnahme von Facebook jedoch entbehrt jeglicher Einsicht in die eigene Verantwortung, zuallererst selbst gegen Hasskultur vorzugehen und etwa Kodizes für die Nutzung zu schaffen.“

Man sieht: Der Vorstand der Verbraucherzentrale formuliert es noch zurückhaltend. Er unterstellt Mark Zuckerberg noch nicht, dass er diese soziale Zerstörung der gesellschaftlichen Wahrnehmung nicht gewollt hat. Dass er es einfach noch nicht begriffen hat. Aber so ein Gefühl, was da in Zuckerbergs Strategieabteilung abgeht, hat er schon.

„Während Facebook etwa Bilder mit ansatzweise sexistischen Darstellungen aus eigenem Antrieb entfernt und damit zeigt, dass eigenes Aktivwerden durchaus möglich ist, bleiben Hasskommentare unverschont“, stellt Eichhorst fest. „Damit zeigt Facebook einmal mehr, dass ihm die Nutzerzahl im Zweifel mehr bedeutet als die moralische Verantwortung für eine ethisch-soziale Kultur in sozialen Netzwerken, die heute eine extrem hohe Bedeutung für das soziale Gefüge der Menschen darstellen.“

Es ist die Denkweise dieses IT-Konzerns, der gern alles an sich reißen will, was auf dem Markt zu holen ist. Dabei sind ihm die scheinbar so soften ethischen Standards, wie sie zum Beispiel in Europa gelten, sichtlich egal. Und auch die Konsequenzen, die es hat, wenn er seine (im Grunde primitive) Idee eines allumfassenden Netzwerks, in dem sämtliche Nutzerdaten erfasst, ausgewertet und in neue Geschäftsfelder umgemünzt werden, immer weiter treibt.

Dass er damit eine gewisse All-Macht bekommt, das hat er im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf gemerkt – auch wenn er erst ganz vehement abgestritten hat, dass sein Netzwerk in diesem Wahlkampf wohl für den größten Teil der Lügen und Falschinformationen verantwortlich war. Obwohl ja keiner verantwortlich war – das weist er ja immer wieder von sich.

Und dass ihm diese All-Macht nicht fremd ist, machte er deutlich, als er nun schon mehrfach andeutete, in die Politik gehen zu wollen. Schlimm genug. Aber auch das ist amerikanisch, auch wenn es bislang eher die Bosse von Banken und alten Großkonzernen sind, die in Washington gern Politik nach ihrem Gusto machen wollen, sie nicht nur kaufen, sondern auch gleich noch Ministerposten besetzen und Gesetze schreiben. Mit Zuckerberg wäre dann auch einer dabei, der gleichzeitig auch noch die mächtigste Meinungsmaschine der Welt besitzt und sie zu gebrauchen (oder missbrauchen) weiß.

Denn diese Maschine ist nicht nur ideal, um Meinung zu machen – sie kann auch alle Nutzer durchleuchten und gezielt manipulieren. Eine Geschichte, die nach dem US-Präsidentschaftswahlkampf ja schon kurz die Medien beschäftigt: Hatte Trump die Möglichkeiten, die Wahl derart beeinflussen zu lassen?

Die Antwort war nicht eindeutig. Aber die ausgefeilten Instrumente, wie heute schon individualisierte Werbekampagnen auf Facebook gefahren werden können, deutet darauf hin, dass dieser Art Manipulation einer ganzen Gesellschaft Tür und Tor geöffnet sind.

Und dann ein Konzernchef, der so tut, als hörte er davon das erste Mal und er sei total überrascht …

Die Arbeit von Publishern ist nicht immer einfach. Aber so verwaschen, wie Facebook tut, sind die Grenzen nicht.

Anfang April haben sich zahlreiche Vertreter der Zivilgesellschaft, der Wissenschaft sowie Verbände in einer Erklärung zusammengetan, die ausdrücklich für den Erhalt der Meinungsfreiheit und gegen Hassbotschaften im Netz eintritt. Die Verbraucherzentrale Sachsen hat die Deklaration für Meinungsfreiheit mit unterzeichnet, betont Eichhorst noch.

Erstaunlich, dass es so eine Deklaration überhaupt braucht.

Aber Fakt ist auch, dass es Facebooks Gier war und ist, die die Regierungen erst auf die Idee gebracht haben, jetzt müsste gegen den Hass ein richtiges Gesetz her. Das es nicht brauchen würde, wenn die Gier riesiger Konzerne nicht allzu bereit wäre, jede Regel menschlichen Zusammenlebens aus reinem Profitinteresse zu ignorieren und niederzurennen. Das hat mit Meinungsfreiheit nichts mehr zu tun, sondern eben nur noch mit entfesselter Gier.

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