Corona verhindert derzeit vieles – auch das Verlegen neuer Stolpersteine. Auch Josef Weißmann soll einen bekommen. Er wurde in Auschwitz ermordet. „Für ihn soll ein Stolperstein gesetzt werden, wenn das wieder möglich ist“, erzählt Annelis Tienelt. „Und da werden auch die Nachkommen des Sohnes aus Amerika kommen. Der wurde von einer Familie Matthes aus Leipzig in der Pfaffendorfer Straße in den letzten Monaten des Krieges versteckt und ist nach dem Krieg nach Amerika ausgewandert.“

Es ist einer jener unbekannt gebliebenen Fälle, bei denen auch einige Leipzigerinnen und Leipziger damals halfen, als die Hilfsbereitschaft auch sie selbst in Gefahr bringen konnte. Aber gibt es denn noch Nachkommen dieser hilfsbereiten Familie?

Ein Foto soll helfen, eventuelle Nachkommen der Familie Matthes zu finden.

Aber was ist über diese Geschichte überhaupt bekannt?

Ursula Grothe wird 1923 in Leipzig geboren und wohnte bis zur Übersiedlung nach Holland 1945 in der Hermann-Meyer-Straße 30. Jan Deelstra, ein junger Holländer, arbeitete (kein Zwangsarbeiter) bei einem Friseur in den Meyer’schen Häusern und wohnte in der Ratzelstraße 99. Die beiden verliebten und verlobten sich 1944. Das ältere Ehepaar auf dem Foto ist die Familie Matthes.

Ursula Grothe hatte sich mit Frau Weißmann angefreundet, die gemieden wurde, weil ihr Mann, Josef Weißmann, Jude war. Josef Weißmann war als Oberingenieur in der ATG tätig. Er wurde im Konzentrationslager Auschwitz umgebracht. Der Sohn – der nach der Definition der Nationalsozialisten „Halbjude“ Gerd Weißmann – floh in den letzten Kriegsmonaten aus einem Arbeitslager. Da eine Unterbringung im Haus seiner Mutter in der Bamberger Straße zu gefährlich war, suchten sie in der Familie Grothe nach einem Versteck und Jan Deelstra brachte ihn zur Familie Matthes.

Gerd Weißmann emigrierte nach dem Krieg in die USA.

1945 organisierte Jan Deelstra den Rücktransport der ehemaligen Zwangsarbeiter nach Holland und nahm seine Frau Ursula Grothe mit. Sie bekam ein Kind. Ihr Mann musste seinen Wehrdienst in Indonesien ableisten, erzählt Annelies Tienelt. Zu dieser Zeit war Indonesien noch Kolonie. Ursula Grothe wurde nun als Deutsche angefeindet.

Doch da schrieben ehemalige holländische Zwangsarbeiter, die im Leipziger Westen gearbeitet hatten, einen Brief an die Zeitung und schilderten, wie Frau Grothe die Zwangsarbeiter mit Brot unterstützt hat, dass sie in der Konsumverkaufsstelle, wo sie gearbeitet hat, gestohlen hatte.

Der Eintrag im Leipziger Adressbuch von 1942:"Ernst Clemens Matthes, Streichriemen, Pfaffendorfer Straße 18". Quelle: SLUB, Historische Adressbücher
Der Eintrag im Leipziger Adressbuch von 1942: „Ernst Clemens Matthes, Streichriemen, Pfaffendorfer Straße 18“. Quelle: SLUB, Historische Adressbücher

Gerd Weißmann in den USA blieb mit Familie Deelstra in Verbindung.

Nun soll in Leipzig ein Stolperstein für Josef Weißmann gesetzt werden, wenn eine Anreise der Nachkommen aus den USA wieder möglich ist. Gerd Weißmann und auch Jan Deelstra waren mehrfach in Leipzig und haben in den Archiven geforscht.

„Die Nachkommen in den USA wären interessiert, sich mit eventuellen Nachkommen der Familie Matthes zu treffen“, schreibt uns Annelis Tienelt. „Es gibt nur einen einzigen Anhaltspunkt. Frau Matthes ist im August 1945 gestorben. Laut den Archiven gibt es nur eine Frau Matthes, die in dieser Zeit in Leipzig gestorben ist und zwar in der Pfaffendorfer Straße 18. Im Gartenhaus wäre eine Unterbringung möglich gewesen. Herr Matthes hat Streichriemen hergestellt.“

Und dort ist er tatsächlich zu finden im Adressbuch von 1942: Ernst Clemens Matthes, Streichriemen, Pfaffendorfer Straße 18. Und auch im letzten Leipziger Adressbuch, das noch 1949 erschien (die nächsten gab es erst wieder nach der deutschen Einheit), ist Ernst Clemens Matthes unter dieser Adresse noch zu finden.

„Alle Spuren, die wir insgesamt verfolgt haben, waren nicht die richtigen“, so Annelis Tienelt.

Das oben abgebildete Foto, auf dem Ernst Clemens Matthes links und seine Frau auf der rechten Seite zu sehen sind, soll jetzt helfen.

„Vielleicht kann sich doch noch jemand an die Familie erinnern“, schreibt Annelis Tienelt. „Also zusammengefasst: Herr Deelstra sucht für die Nachkommen von Herrn Gerd Weismann Nachkommen der Familie Matthes und ist auch selbst interessiert, weil sein Vater beteiligt war. Es geht um Leser, die etwas zur Familie Matthes in der Pfaffendorfer Straße beitragen könnten.“

Wer also Hinweise zu Ernst Clemens Matthes, seiner Familie und seinen möglichen Nachkommen hat, kann jetzt helfen. Nutzen Sie einfach die Redaktionsadresse, wenn Sie etwas gefunden haben, das eventuell beiträgt, mögliche Nachkommen des Streichriemen-Herstellers aus der Pfaffendorfer Straße zu finden: redaktion@l-iz.de

Hinweis der Redaktion in eigener Sache

Seit der „Coronakrise“ haben wir unser Archiv für alle Leser geöffnet. Es gibt also seither auch für Nichtabonnenten unter anderem alle Artikel der LEIPZIGER ZEITUNG aus den letzten Jahren zusätzlich auf L-IZ.de über die tagesaktuellen Berichte hinaus ganz ohne Paywall zu entdecken.

Unterstützen Sie lokalen/regionalen Journalismus und so unsere tägliche Arbeit vor Ort in Leipzig. Mit dem Abschluss eines Freikäufer-Abonnements (zur Abonnentenseite) sichern Sie den täglichen, frei verfügbaren Zugang zu wichtigen Informationen in Leipzig und unsere Arbeit für Sie.

Vielen Dank dafür.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar