Seit vielen Jahren war und ist das rechtsextreme, sogenannte „Bombengedenken“ am 13. Februar in Dresden ein Stelldichein derjenigen, die gern von deutschem „Schuldkult“ reden oder auch mal das Bombardement der Alliierten auf die sächsische Landeshauptstadt als „Holocaust“ bezeichnen. Darunter in der Vergangenheit schon so illustre Gäste wie 2011 Björn Höcke, heute Frontmann des extremen Flügels in der AfD.

17:50 Uhr: Doch auf dem Heimweg …

Geschaut haben wir, aber bis kurz vor 18 Uhr nicht viel gefunden. Die Polizei kreist in Dresden, aber ansonsten ist deutlich Ruhe eingekehrt. Auch wir machen uns auf den Heimweg nach Leipzig nach einem bitterkalten Tag in Dresden. Als kurzes Fazit bleibt wohl: nicht viel los in diesem Jahr bei den Rechtsextremen. Die immergleichen Schallplatten wurden gespielt, jene, die mit einem wĂĽrdigen Gedenken an die Toten des II. Weltkrieges wenig bis nichts zu tun haben.

Der Gegenprotest war laut und am Ende wurde noch eine Runde getanzt. Kein Vergleich jedenfalls zu den Jahren, als in Dresden noch mehrere Tausend Neonazis durch die sächsische Landeshauptstadt zogen – und die meisten Dresdner dabei still zuschauten.

Auch auf dem Altmarkt war beim stillen Gedenken unter Anwesenheit von Ministerpräsident Michael Kretschmer nicht viel los – der MDR spricht von ein paar Dutzend Beteiligten, welche in Gedenken an die Opfer des II. Weltkrieges Blumen niederlegten. Ab 18 Uhr beginnt nun das „digitale Händereichen“ – eine Foto-Menschenkette mit Dresdner BĂĽrgerinnen an den Fassaden.

Allerdings ohne uns, wir sind auf dem Weg nach Hause.

17:10 Uhr: Mal bei der AfD vorbeischauen

Die braunen Rechten sind fertig und auf dem Weg nach Hause. Oder rüber zum Altmarkt unterwegs, wo sich in Kürze Leute aus dem Umfeld der AfD Dresden versammeln möchten, um der Toten zu gedenken. Klingt ähnlich? Ist es letztlich auch. Auch hier fokussiert man am 13. Februar 2021 nicht auf alle Opfer des II. Weltkrieges und die eigentliche Konsequenz „nie wieder“, sondern pflegt Worte wie „Bombenterror in Dresden“ und den Opfermythos der Deutschen.

Und damit letztlich eine nationalistische Unversönlichkeit mit den eigenen Nachbarn und vor allem jenen, die dem Holocaust und dem deutschen Angriffskrieg zum Opfer fielen. Exemplarisch hier Dr. Silke Schöps, AfD-Stadträtin in Dresden.

https://twitter.com/silke_schoeps/status/1360503094770098176

Wir schauen also mal vorbei und gleichen ab, inwieweit sich die Bilder ähneln. Bis dahin hier noch der Abgang der rechtsextremen „Herrenrasse“ am Dresdner Hauptbahnhof nach Ende der NPD-Versammlung.

Die „Herrenrasse“ geht nach Haus

Video: LZ

16 Uhr: Reden, Schwurbel-Gedichte und der „Bombenholocaust“

Na da haben wir ja nicht lange darauf warten müssen. Die versammelten Neonazis spulen das Programm ab, wie es immer in Dresden stattfindet. Hier ist man ganz im deutschen Opfermythos zu Hause, von „angloamerikanischen Bombern“, einem „Völkermord in Dresden“ ist die Rede. Und wie im Durchbuchstabieren des Alphabets kommt der Buchstabe B und es fällt auch das Lieblingswort von jedem, der kein Problem mit antisemitischen Reden und Vokabeln hat.

Matthias Deyda (Stadtrat für Die Rechte, Dortmund) steht vor dem Rotlichtnachtclub „Angels“ am Dresdner Hauptbahnhof und nennt in seiner Rede den alliierten Angriff auf Dresden den „Bombenholocaust“. Im Faschisten-Bingo ein derart zuverlässiger Treffer im Bereich Verharmlosung des Holocaust, dass er auch 2021 nicht fehlen darf.

Dennoch kann man bereits jetzt sagen, dass im Gegensatz zu den Zahlen früherer Jahre die vorrangig männlichen Kundgebungsteilnehmer um Nehrling, Deyda und Co. eher klein ausfällt. Man liest sich gegenseitig Gedichte vor, sendet Grußworte aus und an Länder Europas, wo man Gleichgesinnte Neonazis weiß und wähnt sich noch immer im Kampf um die deutsche Befreiung.

Denn natürlich gilt hier, wie auf allen Versammlungen ähnlicher Couleur bis hin zu „Querdenker“-Teilen: man ist noch immer ein besetztes Land.

In einem Gedicht geht es heute übrigens um die armen „deutschen Mütter“, die mit ihren Kindern auf dem Schoß in Dresdner Kellern die Bombardierungen erlebten. Dieses Schicksal haben sie unter anderem mit den englischen Müttern einst gemein und letztlich den eigenen Männern zu verdanken gehabt. Ebenso wundert sich die neuere Geschichtsforschung noch immer ein wenig über die große Unterstützung, die das sogenannte 3. Reich auch und gerade unter den Frauen in Deutschland genoss.

Tanzen und (selbstgemachte) Gedichte

Video: LZ

Da hier kaum Zeit für psychologische Betrachtung rings um das Funktionieren autoritärer Staaten und väterlicher Ersatzfiguren ist, nur so viel: Viele waren mit Feuer und Flamme dabei und liebten „ihren Führer“.

Diejenigen Deutschen und andere, denen in den KZs die Motorengeräusche der Alliierten von Befreiung erzählten, bleiben auf der NPD-Versammlung natürlich unerwähnt. Auf der Gegenseite hat man begonnen gegen die Kälte anzutanzen, während die Polizei bislang wenig zu tun hat.

Die Versammlung neigt sich dem Ende entgegen – die Nationalhymne wird vom Band abgespielt.

Die „Befreiungskämpfer“ am Hauptbahnhof Dresden

Video: LZ

15 Uhr: Was Nehrling so für würdig hält …

Ja, manchmal muss man nur kurz zuhören und weiß dann: nein, kein Journalist. Nikolai Nehrling ist da und will „seine Arbeit machen“. Wiederholt ist der selbst bekennende Rechte und Aktivist nun in all den Jahren rings um „Querdenken“, aber auch in der Umgebung von Holocaustleugner/-innen wie Ursula Haverbeck aufgefallen, meist eher bei dem, was er „dokumentieren“ und vorgeblich journalistisches Arbeiten nennt.

Interessant, wenn dann jener, der heute schon mal eine LZ-Mitarbeiterin vor Ort unter deren Protest „Kollegin“ nennt, selbst sagt, er habe 2017 hier bei den Neonazis schon einmal gesprochen und er hielte die Versammlung von NPD-Kadern und sonstigen rechtsextremen Kameradschaften fĂĽr ein Forum fĂĽr ein „wĂĽrdiges Gedenken“ an den 13. Februar 1945. Kurz danach zählen rechtsextreme Redner deutsche Städte auf – offenbar Städte, die im zweiten Wetkrieg Bombenangriffe erlebten.

Dazu vielleicht einfach zwei Tweets von heute und die kurze LZ-Videosequenz mit Nehrling.

Nikolai Nehrling in seiner WohlfĂĽhlzone

Video: LZ

14:45 Uhr: Nazi-Standversammlung am Hauptbahnhof

Rund 700 Neonazis, unter ihnen auch Nikolai Nehrling – zuletzt bekannt geworden durch den Prozess gegen ihn wegen Holocaustleugnung und stetiger Begleiter der „Querdenken“-Bewegung wie am 21. November 2020 in Leipzig – haben sich heute am Dresdner Hauptbahnhof eingefunden. Ihnen steht im Moment etwa die gleiche Menge an Gegenprotest von „Leipzig nimmt Platz“ und „Dresden Nazifrei“ gegenĂĽber.

Von Mindestabständen und Maskenpflicht hält man bei denen, die dem Aufruf der NPD gefolgt sind, logischerweise wenig. Nicht nur bei den „Querdenkern“, auch hier unter den Rechtsextremisten sind Verschwörungserzählungen die durchgehende Begleitmelodie des Fanatismus.

Erste Impressionen vom Hauptbahnhof Dresden

Rund 700 Neonazis versammeln sich am Dresdner Hauptbahnhof. Video: LZ

Der Gegenprotest ist kaum 50 Meter entfernt. Video: LZ

14:30 Uhr: Mal wieder soll Geschichte umerzählt werden

Immer geht es dabei darum, rückwirkend die Zeit des NS-Deutschland, einen Angriffskrieg und die geradezu industriell geplante Vernichtung jüdischer Mitmenschen zu relativieren oder mittels des Bombenangriffs auf Dresden gar eine Täter-Opfer-Umkehr zu versuchen.

Was ab dem Jahr 2000 die rechtsextremistische Junge Landsmannschaft Ostdeutschland (JLO) mithilfe von Aufmärschen von bis zu 6.000 Rechtsextremisten aus ganz Europa versuchte, ist in diesem Jahr längst auch ein Spielfeld der AfD geworden. Diese hat eine Veranstaltung fĂĽr den Abend des 13. Februar 2021 auf dem Dresdner Altmarkt angemeldet – ebenso wie ihre Jugendorganisation. Ein Anlass sicher auch fĂĽr den Verfassungsschutz Sachsen, hier mal ein oder zwei Augen zu riskieren und den Redebeiträgen zu lauschen.

Doch die AfD bei deren Geschichtsumschreibungsversuchen alleine lassen wollte dann auch die NPD nicht. Immerhin sind Geschichtsklitterung und die Verherrlichung des NS-Staates bis 1945 Kernelement der NPD. In Dresden zu fehlen oder inaktiv zu bleiben, hieße nach den Wählerwanderungen von braun zu blau 2021 auch medial abschließend in der AfD aufzugehen. Zur Stunde (13:50 Uhr) treffen sich die ersten Neonazis also am Dresdner Hauptbahnhof, ein Ort, den also auch Björn Höcke bereits kennt.

Laut MDR liegt dem Dresdner Ordnungsamt also auch eine Anmeldung unter dem Namen „Feierstunde zu Ehren der Dresdner Luftkriegstoten des 13. Februars 1945“ vor. Laut der Organisation „Dresden Nazifrei“ soll der NPD-Politiker und Dresdner Parteivorsitzende Maik Müller diese Ehrenbekundung angemeldet haben.

13. Februar 2021: Rund 700 Neonazis am Dresdner Hauptbahnhof. Foto: LZ
13. Februar 2021: Rund 700 Neonazis am Dresdner Hauptbahnhof. Foto: LZ

Am rechtsradikalen Rand sind heute AfD und NPD zu finden, kein Wunder letztlich, wenn man die Zusammensetzung der AFD-Landesliste Sachsen zur Bundestagswahl 2021 betrachtet. Die Extremisten sind auch bei den Wahllisten in der blauen Partei weiter auf dem Vormarsch.

Positionen und Verklärungen bis in die „Mitte“ hinein

Immer wieder tritt aber auch seit Jahren an eben diesem 13. Februar das ambivalente Verhältnis derer zutage, die einerseits zwar „Nie wieder“ sagen und doch einen entscheidenden Teil der Geschichte im Kopf abspalten. Und so den Zugang schaffen, den AfD und NPD so gern nutzen möchten.

Gemeinhin kann man es das „bürgerliche Lager“ nennen, welches die Zeit gern in „die Nazis“ (die da oben) und „die Deutschen“ (die ja nicht alle mitgemacht haben, die Verführte waren!) unterteilt. Eben das vergisst regelmäßig jene breite Unterstützung, die die NSDAP, der nationalistische Aufstiegskurs und die aggressive Expansionspolitik der Deutschen Richtung Österreich, Frankreich, Polen, Belgien, Niederlande, Tschechien usw. lange erfuhren.

Was soll einem das sagen - III Weltkrieg und Rache? Foto: LZ
Was soll einem das sagen – III Weltkrieg und Rache? Foto: LZ

Als deutsche Truppen durch Paris marschierten, standen Adolf Hitler und die seinen im Zenit der Anerkennung zu Hause. So lange man gewann, waren Angriffskrieg und das Leid der anderen in Ordnung und Beleg für die Überlegenheit des „deutschen Volkes“.

Erst mit den ersten schweren Niederlagen im Osten wie bei Stalingrad, dem beharrlichen Gegenhalten der Briten im Westen und der Aufrüstung der USA wurde immer mehr Deutschen, Österreichern und anderen Freunden der bisherigen Kriegserfolge langsam mulmig. Den meisten nicht aus humanistischen Gründen – die Angst vor einer Niederlage begann die Runde zu machen, als immer mehr deutsche Städte wie Köln oder Hamburg und zuletzt Dresden im Feuersturm versanken.

Auch heute wird es im blaubraunen, rechtsextremen Lager wieder darum gehen, die zivilen Opfer unter den Dresdnern an diesem 13. bis 15. Februar 1945 in den Mittelpunkt zu stellen. Und damit eine Umkehrung zwischen Ursache und Wirkung zu versuchen.

„Wir wolln marschieren …“

Ja, nicht nur aus heutiger Sicht ist das Bombardement ziviler Ziele ein Verbrechen. Eines, welches die Deutschen erstmals am 26. April 1937 begingen, als sie unter der Führung des „deutschen Kriegshelden“ Wolfram Freiherr von Richthofen gemeinsam mit italienischen Truppen im spanischen Bürgerkrieg die Stadt Guernica buchstäblich in den Erdboden zurückbombten.

Die Saat war gelegt und der deutsche Luftkrieg kam bald über andere Städte vor allem in Europa. Und kehrte ab 1943 Stück um Stück dahin zurück, wo er einst begann – nach Deutschland, zuletzt bis nach Dresden.

Gegen die Versuche, die Bombardierung Dresdens aus den grausamen Kontexten eines Weltkrieges zu lösen, hat sich auch heute wieder Gegenprotest angemeldet. „Dresden Nazifrei“ und „Leipzig nimmt Platz“ (LnP) haben unter dem Motto #DresdenBlockiert zum Widerstand (mit Maske, Abstand und warmer Kleidung) aufgerufen und LnP einen Redebeitrag vorab eingesprochen.

Der Redebeitrag von LnP zum Nachhören

Die Stadt Dresden veranstaltet eine kleine Feierstunde und wird zirka 1.200 Fotos von Dresdner/-innen ab 18 Uhr als virtuelle Menschenkette laut MDR „auf die Fassaden markanter Gebäude entlang der üblichen Strecke der Menschenkette um die Altstadt“ projizieren.

Denn zwar dürfen auch ein Aggressor und seine Nachkommen ihre Gefallenen und Opfer beweinen. Aber er bleibt der Aggressor und wird nicht rückwirkend zum Opfer, nur weil der, den er angriff, stärker und entschlossener reagierte als er. Mit ein bisschen Verstand und Vernunft bleibt der II. Weltkrieg das letzte „Schlachthaus der Geschichte“, weil er, nicht nur was die Toten aller Nationen betrifft, keine Sieger kennt.

Umso unglaublicher eigentlich, was unter anderem Björn Höcke vor 10 Jahren am Dresdner Hauptbahnhof skandierte. Als er und seine Mit-Neonazis dort blockiert wurden, wo sich auch heute bislang 700 Neonazis eingefunden haben, brüllte auch er „Wir wolln marschieren“.

Nie wieder.

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