Im Kolonnadenviertel befanden sich bis 1938 die zwei größten Synagogen Leipzigs. Sie gaben einst Juden verschiedener Glaubensrichtungen eine religiöse Heimat. Während an den liberalen „Tempel“ heute 140 bronzene Stühle erinnern, führen am Ort der orthodoxen Ez-Chaim-Synagoge zwei Hinweisschilder ins Nichts. Vor 100 Jahren wurde die Ez-Chaim-Synagoge geweiht.

Sie war die größte orthodoxe Synagoge Sachsens und gab Tausenden Juden Heimat, die vor den Pogromen geflohen waren, die Ende des 19. Jahrhunderts in Osteuropa zunahmen. Über Jahrzehnte war Leipzig Zufluchtsort für geflüchtete Juden, ehe unsere Stadt im Nationalsozialismus zum Vertreibungsort wurde.

Die Gemeindemitglieder der Ez-Chaim-Synagoge waren in der Gesellschaft weitgehend rechtlos. Die Synagoge, in der in ihrer Muttersprache Jiddisch gepredigt wurde, war der einzige Ort, der ihnen Halt und Orientierung gab.

Der 100. Jahrestag der Einweihung am 10. September 1922 ist Anlass, den verlorenen Ort als Erinnerungsort wiederzugewinnen und die Menschen der Synagogengemeinde zum Jubiläum zu würdigen.

Die Festwoche vom 4. bis 11. September unter Schirmherrschaft von OBM Burkhard Jung spiegelt jüdisches Leben auf vielfältige Weise wider – von Lesungen bis zu Videoprojektionen, von Schulprojekten bis zu Konzerten, vom Bürgerfest bis zur Musiktheater-Performance, von Führungen zum Tag des offenen Denkmals bis zur liturgischen Feier.

Vor allem aber rückt sie die Menschen der Synagogengemeinde ins Licht, von denen viele 1938 nach Polen abgeschoben wurden und wenige Zeit später in die Vernichtungslager deportiert wurden, ohne Spuren hinterlassen zu können.

„Wegen der besonderen Geschichte und Verantwortung diesen Menschen gegenüber wollen wir sie nicht dem Vergessen anheimfallen lassen“, unterstreicht Notenspur-Initiator Werner Schneider. „Die versuchte Auslöschung ihrer Kultur im Nationalsozialismus soll keinen Bestand haben.“

Getilgte Erinnerung an die Ez-Chaim-Synagoge im Jahr 2022. Foto: Werner Schneider
Getilgte Erinnerung an die Ez-Chaim-Synagoge im Jahr 2022. Foto: Werner Schneider

Der Notenspur Leipzig e. V. und der Bürgerverein Kolonnadenviertel verantworten vom 4. bis 11. September gemeinsam mit vielen Partnerinstitutionen eine Festwoche zum 100. Weihe-Jubiläum der Ez-Chaim-Synagoge. Die Entstehung des Bürgervereins ist eng mit dem Bemühen verbunden, die Geschichte der Synagoge zu erforschen und an sie zu erinnern.

Vorstandsmitglied Michael Schönherr verweist auf die Schwierigkeiten: „Da es hier keinen Gedenkstein oder ähnliches gibt, müssen wir über Veranstaltungen, Führungen und eine Broschüre das Gedenken bewahren.“ Für den Notenspur-Verein wiederum ist die an der Ez-Chaim-Synagoge ausgeübte Musik ein wichtiger Bestandteil der Musikstadt Leipzig. Deshalb ist die Ez-Chaim-Synagoge eine Station des in Planung befindlichen Leipziger Notenbogens.

Um das zentrale diesjährige Leipziger Ereignis jüdischer Erinnerungskultur mit dem authentischen Ort zu verbinden, wird die Erinnerung an den Abenden der Festwoche nach Einbruch der Dunkelheit zudem durch Videos mit unterschiedlichen künstlerischen Handschriften vertieft.

Damit die Erinnerung an den Ort jüdischen Lebens dauerhaft zurückkehren kann, werden schließlich im Anschluss an die Festwoche Erinnerungselemente installiert, die die Erinnerung dauerhaft stützen und dem jetzt noch „wüsten“ Ort authentisches jüdisches Leben einhauchen: Ez Chaim – Baum des Lebens. Die Erinnerung kehrt zurück.

Die Festwoche wird gefördert vom Freistaat Sachsen im Programm Weltoffenes Sachsen sowie durch die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen, von der Stadt Leipzig, der Ostdeutschen Sparkassenstiftung, der Sparkasse Leipzig und der Holger Koppe Stiftung.

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