Vor bald einem halben Jahr verkündeten die Bewohner der halleschen Großen Steinstraße 34, die schikanösen Maßnahmen ihres Vermieters nicht mehr auszuhalten und das Haus daher zu verlassen. Untätig sind sie deshalb aber nicht geworden: Am Samstag, dem 18. Februar, zogen sie mit bis zu 170 Unterstützerinnen und Unterstützern durch die Stadt. Ein Auftakt zu einer neuen Welle hallescher Mieterorganisation?

Gegen 14 Uhr versammelten sich die Demonstranten, dem stürmischen Wetter trotzend, am bahnhofsnahen Riebeckplatz. Trotz des zunächst eher geringen Andrangs starteten die Organisatoren kämpferisch in den Nachmittag: „Wir fordern eine Stadt für alle, ein Recht auf guten Wohnraum!“, tönte es zum Auftakt vom Lautsprecherwagen.

Es folgten weitere Redebeiträge von verschiedenen Mieterinnen und Mietern, die sich konkret dem Problem baldiger Entmietung gegenübersehen. Es wird deutlich, dass es sich bei Fällen wie der „Stein34“ um keinen Einzelfall handelt. Betroffen sind dabei auch nicht nur Häuser in den beliebten Innenstadtvierteln, sondern beispielsweise auch im eher industriell geprägten Osten der Stadt.

Von Wohnraumnöten ganz anderer Art berichtet das Sozialpolitikbündnis „Halle zusammen“. Dieses unterstützt seit einiger Zeit Mieter im weit entlegenen Südpark. Die Wohnungen dort sind in einem nicht weniger als katastrophalen Zustand, wie einige dem Autor vorliegende Fotos belegen.

Rund 170 Menschen machen in Halle auf die missliche Lage vieler Mieterinnen und Mieter aufmerksam. Foto: Luca von Ludwig
Etwa170 Menschen machen in Halle auf die missliche Lage vieler Mieterinnen und Mieter aufmerksam. Foto: Luca von Ludwig

Undichte Rohre, Schimmel in zweifelsfrei gesundheitsgefährdendem Maß, wo man hinschaut und ein Vermieter, der sich schlicht nicht zu interessieren scheint. Alternativen haben die finanzschwachen Mieter keine, denn noch billigeren Wohnraum als in diesem Teil der Stadt gibt es schlicht nicht.

Der Weg zur Zwischenkundgebung führt durch das als Wohnraum augenscheinlich weniger attraktive Viertel Freiimfelde. Doch der Schein trügt: Trotz der großen und lauten Hauptstraßen, die das Viertel durchschneiden, macht der hohe Leerstand die Gegend für Investoren attraktiv. Daher wird dieses Stadtgebiet perspektivisch wohl mit am stärksten von Gentrifizierungsprozessen betroffen sein. Die Preise für Neuvermietungen steigen jedenfalls bereits in hohem Maße.

Der Weg führt den Protest in die Reideburger Straße, wo ebenfalls Mieter einen langen Streit gegen ihre Vermieterfirma führen. Das Muster ist an allen Orten das gleiche: Dem Eigentümerwechsel folgen einige Gespräche mit den Bewohnern, doch wenn diese Mieterhöhungen ablehnen, wird alsbald der Kontakt abgebrochen, notwendige Reparaturen werden verweigert, mit anderen Baumaßnahmen wird ohne Vorwarnung angefangen.

Ein langer Redebeitrag der Leipziger Initiative „Vernetzung Süd“ thematisierte Probleme bei der Vernetzung von Betroffenen. Ein Problem sei vor allem, dass sich wohnungspolitische Initiativen zu oft erst gründeten, wenn es bereits zum Problem kommt. Stattdessen brauche es aber langfristige Organisation, die in den Konflikten zwischen Mietern und Vermieter die Rolle des Dritten einnehmen kann, ähnlich einer Gewerkschaft im Fall von Arbeitskämpfen.

Wichtig sei dabei auch die langfristige Aufklärungsarbeit, da oft nicht einmal klar sei, wem welche Häuser im Viertel gehörten. Als Positivbeispiel nannte der Redner das Projekt „Wem gehört Connewitz?“, bei dem einige Leipziger Geografie-Studierende genau das herauszufinden und öffentlich zu machen versuchten.

Bei starkem Wind und lauter Musik machte sich die Demonstration im Anschluss auf in Richtung der Großen Steinstraße 34. Nach dem Auszug der größten WG im Haus, Anfang des Jahres, verbleiben noch zwei Mietparteien. Auch hier wissen die ehemaligen Bewohnenden von den desaströsen Zuständen im Haus zu berichten.

Waren bei der Baustelle im letzten Jahr nicht nur ungesichert Schutt und Baureste in den Innenhof geworfen worden und durch Entfernen der Fenster Löcher im ganzen Haus entstanden, so wurden letztere trotz der teils eisigen Temperaturen der letzten Monate nicht wieder geschlossen. Für die Verbleibenden bedeutete dies: Wohnungen sind kaum noch warm zu bekommen, im Februar froren die Leitungen ein. Vom Eigentümer kämen keinerlei verlässliche Angaben über das Bauvorhaben. Zudem sollen die Wohnungen wohl drastisch verkleinert werden, aus zwei Einheiten sollen vier werden.

Bei der Abschlusskundgebung ist man sich einig: Halle braucht eine langfristige Mieterorganisation. Dass das gar nicht so einfach ist, zeigt aber bereits der Umstand, dass es sich beim auf der Demo sprechenden Bündnis „Recht auf Stadt Halle“ um das mittlerweile dritte seiner Art innerhalb von weniger als acht Jahren handelt – alle drei mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten und kaum Personalkontinuität.

Zudem ist Halle stark studentisch geprägt (Studierende machen gut 10 Prozent der Stadtbevölkerung aus), also von Menschen in einer Lebensphase, in welcher in der Regel noch nicht allzu langfristig über das Thema Wohnen nachgedacht wird. Und schließlich kosten Mietkonflikte schlicht und ergreifend Kraft und Zeit, die nur die wenigsten dauerhaft aufbringen können.

Pressesprecherin Wilma von der Initiative „Stein34 bleibt!“ zieht jedoch fürs Erste ein positives Tagesfazit: Man sei besonders erfreut, „dass wir auf ein paar konkrete Mietkämpfe aufmerksam machen konnten und den Bewohnern zeigen konnten, dass sie mit ihren Problemen nicht alleine sind.“ Es sei wichtig, dass „Betroffene gegen ihre Vereinzelung angehen“, so die Sprecherin.

Konkret fokussiere man sich erst einmal auf Unterstützung für die verbleibenden Mietparteien. Sie hoffe allerdings, „dass sich in der Zukunft ein größeres Bündnis bilden werde“ – Einzelgruppen gäbe es hierfür ja genug.

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