Deutschland braucht dringend mehr Fachkräfte, das ist nichts Neues. Dafür gehen allerorten Unternehmen, Kommunen, Landes- und Bundespolitiker*innen auf Anwerbungstouren im Ausland. Jedoch: Deutschland gehört im internationalen Vergleich zu den unattraktivsten Zielen für Ausländer*innen. Das hat die Studie Expat Insider 2023 ergeben. Auf Platz 49 von 53 landet der deutsche Staat, dahinter kommen nur noch Südkorea, die Türkei, Norwegen und Kuwait. Die Gründe: Deutschland hat keine Willkommenskultur, ist technologisch rückständig und die Bürokratie zu steif.

Trotzdem sind mehr als 15 Millionen der in Deutschland lebenden Personen nicht hier geboren, das sind rund 20 Prozent der Gesamtbevölkerung. Damit ist Deutschland, mit weitem Abstand zu den USA, das zweitgrößte Zuwanderungsland weltweit. Im Expat Insider 2023 landete Deutschland bei der Zuwanderung sogar auf Platz eins. Die Studie befragte mehr als 12.000 Auswanderer nach ihren Motivationen, Gründen der Auswanderung und der Zufriedenheit im Zuwanderungsland.

Rund 1,3 Millionen Zuzüge verzeichnete das Statistische Bundesamt im Jahr 2021, davon der größte Teil aus Europa, Saldo (Zuwanderungen-Abwanderungen): +197 000) und aus Asien (Saldo: +156 000). Im letzten Jahr stieg die Zahl sogar auf 2,7 Millionen, vor allem wegen der rund 1,1 Millionen Zuzüge von Menschen aus der Ukraine. Sachsen liegt laut Bundesagentur für Arbeit (BAG) bei dem Anteil der ausländischen Fachkräfte mit 7,5 Prozent unter dem Bundes-Durchschnitt von 14,7 Prozent.

Dabei sinkt hier bis 2030 die arbeitskräftige Bevölkerung um 176.000 Menschen. Damit geht jeder 14. dem Arbeitsmarkt verloren. Es brauche Zuwanderung aus anderen Bundesländern, so die BAG, also auch aus dem Ausland, um die entstehende Lücke zu schließen. Eine gute Willkommenskultur sei dafür essenziell.

epaper Nr. 117, Titelbild. Foto: LZ
Cover Leipziger Zeitung Nr. 117, VÖ 29.09.2023. Foto: LZ

Die Deutschen haben anscheinend immer noch nicht begriffen, dass ihr Land nicht nur laut den Zahlen ein Zuwanderungsland ist. Vor allem gegen Geflüchtete und sogenannter „illegaler Migration“ wird immer wieder auf allen Ebenen gehetzt, nicht nur vonseiten der AfD. So warf CDU-Chef Friedrich Merz ukrainischen Geflüchteten Sozialtourismus vor.

Seehofer machte sich einen Spaß daraus, an seinem 69. Geburtstag 69 Personen abzuschieben. Er benannte die Migrationsfrage 2018 als die Mutter aller politischen Probleme in unserem Land – angesichts einer Hetzjagd auf Geflüchtete, die in Chemnitz stattgefunden hatte. Auch Michael Kretschmer fordert immer wieder ein härteres Vorgehen in der Asylpolitik. Der surreale Wunsch, Migration zu kontrollieren, scheint hierbei der zentrale und vielfach von NGO-Seite kritisierte Leitfaden zu sein.

Warum kommen Menschen trotzdem?

Doch der Großteil der Zuwanderer beantragen hier kein Asyl, sondern hat das Privileg, legal über Visa zuwandern zu können und Aufenthaltstitel für Arbeit oder Studium zu erhalten. 36 Prozent der Auswanderer weltweit nannten als Motivation berufliche Gründe. Genau in diesem Bereich schneidet Deutschland sehr gut ab, nämlich auf dem 15. Platz.

Differenziert wurde nach Karrierechancen (13), Arbeit und Freizeit (22), Gehalt und Arbeitsplatzsicherheit (9) sowie Arbeitskultur und Zufriedenheit (29). Nicht differenziert wurde nach der Höhe des Gehalts im Vergleich oder nach der Art des Berufs.

Auch bei der Lebensqualität liegt Deutschland weit vorn, auf Platz 18. Der Bereich umfasst Freizeitaktivitäten (40), Reise und Durchreise (21), Gesundheitsversorgung (23), Sicherheit (18) und Umwelt und Klima (21).

Kritisiert wurde in der Studie, dass die Deutschen unfreundlich sein, keine Willkommenskultur hätten und es schwierig sei, Freund*innen zu finden. Zuwanderer in Deutschland gehörten so zu den unglücklichsten und einsamsten weltweit.

Auch die mangelnde Digitalisierung, zum Beispiel in der Bürokratie, aber auch beim Ausbau des Netzes oder der Möglichkeit des bargeldlosen Bezahlens wurden kritisiert. Auch die angespannte Wohnsituation sowie die Sprachbarriere machen es für Zuwanderer*innen schwer, in Deutschland Fuß zu fassen.

Die Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes

Zur Erleichterung der Zuwanderung von Fachkräften beschloss der Bundestag im Juni eine Reform des Einwanderungsrechts für Staaten außerhalb der Europäischen Union (EU). Ziel der Reform ist es, Bürokratie zu reduzieren und eine bessere Willkommenskultur zu fördern. Zentrales Element des Gesetzes ist die „Blaue EU-Karte“ (EU Blue Card) für Menschen aus dem Nicht-EU-Ausland mit Hochschulabschluss.

Die notwendigen Gehaltschancen für den Erhalt der „Blauen Karte“ wurden im Gesetz auf 43.800 Euro abgesenkt. Außerdem soll das Gesetz nun den Arbeitgeberwechsel, Familiennachzug und die Erlaubnis zum dauerhaften Aufenthalt in der EU für Besitzer*innen der „Blauen Karte“ erleichtern. Ähnlich wie in Kanada soll ein Punktesystem eingeführt werden, nach dem die Zuwanderungswilligen bewertet werden.

Es umfasst zum Beispiel Qualifikation, Alter und Sprachkenntnis und ermöglicht ab dem Erreichen von mindestens sechs Punkten, ähnlich wie bei einem Computerspiel, den Erhalt einer Chancenkarte zur einjährigen Jobsuche in Deutschland mit Möglichkeit auf Verlängerung.

Auch soll ein sogenannter „Spurwechsel“ für abgelehnte Asylbewerber*innen möglich werden, der zum Stichtag 29. März 2023 bereits lief. Diese Möglichkeit nicht für zukünftige Asylbewerber*innen zugänglich zu machen, entstammt der Kritik von AfD und CDU, die der Ampel-Koalition in der ersten Lesung des Gesetzesentwurfs vorgeworfen hatten, sie würden damit den Zuzug minderqualifizierter Menschen befördern.

Lob und Kritik aus Sachsen

Michael Kretschmer lobte die Reformen. Auf dem Kurznachrichtendienst X (vormals Twitter) schrieb er: „Das #Fachkräftezuwanderungsgesetz enthält gute Reformen, um Transformation in Ostdeutschland voranzutreiben & Wachstum zu sichern. #Sachsen ist offen für qualifizierte #Fachkräfte, die unsere Region mit uns weiterentwickeln wollen & hier ihre Chancen sehen.“

Kritik äußerte er jedoch an den „Spurwechsel“-Plänen, der den Druck auf die Kommunen nur noch mehr erhöhen würde. Wirtschaftsminister Dulig (SPD) begrüßte das Gesetz, da es die Chancen für ausländische Arbeitskräfte und die deutsche Wirtschaft verbessere.

Die asyl- und migrationspolitische Sprecherin der Linken Juliane Nagel, die auch im Leipziger Stadtrat sitzt, begrüßte, dass das Gesetz sicherstellt, dass Menschen nicht in Niedriglohnarbeit angeworben werden. Allerdings müsse man darauf achten, dass man den anderen Staaten die Fachkräfte nicht wegnehme. Man dürfe sich auch nicht dadurch Zuwanderung und Wohlstand gefährden, indem man Menschen abschiebe, die schon lange hier leben und arbeiten, wie im Fall der Familie Pham/Nguyen. Auch das von konservativer Seite kultivierte „Klima der Abschreckung“ müsse beendet werden.

„In Deutschland ist es extrem schwer anzukommen: Wie das Land seine Fachkräftezuwanderung vereinfachen will“ erschien erstmals im am 29.09.2023 fertiggestellten ePaper LZ 117 der LEIPZIGER ZEITUNG.

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