Die Frage stellt sich, wenn man Diskussionen sieht, die unter dem Thema „Lebe ich um zu arbeiten, oder arbeite ich um zu leben?“ stehen. So war kürzlich auf Linkedin ein Beitrag mit dem Titel „Muss ich meinen Job lieben? Oder kann ich ihn auch des Geldes wegen machen?“ Das fragte Swatje Allmers, die Co-Autorin des Bestsellers „On the Way to New Work“.

Ich muss hier gleich sagen, dass durch den Satz „Der Sinn des Lebens hat mehr Facetten als unser berufliches Tun“ klar wird, dass Frau Allmers nicht meint, dass Arbeit der allein selig machende Faktor im Leben ist.

Warum darüber reden? – In der heutigen Zeit, in der sogar ein SPD-Arbeitsminister Kürzungen des Bürgergeldes bei „Arbeitsverweigerung“ befürwortet, ist diese Diskussion rein akademisch bzw. nur für privilegierte Schichten wirklich sinnvoll.

Hubertus Heil befindet sich damit übrigens in „guter“ SPD-Tradition, benutzte doch schon 2014 Franz Müntefering den Spruch „Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen“ zur Rechtfertigung der Hartz IV-Maßnahmen. Dazu muss einfach angemerkt werden, dass der aus den Bauernkriegen stammende und von der Arbeiterbewegung übernommene Spruch „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“ sich gegen die Ausbeuter richtete – nicht gegen die Arbeitslosen. Durch den Zusatz „will“ wurde die Zielgruppe geändert.

Die meisten Menschen müssen arbeiten, ohne dabei zwingend glücklich zu sein oder ihren Job zu lieben. Sie müssen arbeiten, um zu (über-)leben.

Macht Bürgergeld Menschen faul?

In einem Gespräch mit einem Arbeiter (Mitte 50) zu dem Thema kam genau diese These auf. Das Bürgergeld ist zu hoch, viele Menschen werden dadurch nicht mehr eine Arbeit annehmen. Mein Einwand, dass viele Bürgergeldbeziehende Aufstocker sind, deren Arbeitslohn nicht ausreicht, wurde kommentiert mit den Worten: „Die sind nicht das Problem, die sind ja fleißig.“

Nachdenklich wurde mein Gesprächspartner erst, als ich fragte, ob denn nicht ein Arbeitslohn, von dem man nicht leben könne, das Problem sei. Am Ende meinte er, das wären Ausnahmen und Statistiken seien ja sowieso ein Fake.

Ja, diese Faulheit behandelte ja der Philosoph Patrick Spät schon 2014 in seinem Artikel „Ich arbeite, also bin ich“. Wenn der Artikel mit „Wohl kein anderer Satz fällt auf einer Party so häufig wie dieser: ‘Und, was machst du so?’“ beginnt, dann sieht man bereits, über welches Klientel geschrieben wird. Arbeiter gehen seltener auf Partys.

Der Satz „Wir streben insgeheim nach Faulheit – und preisen lautstark die Arbeit“ ist aber wichtiger, besonders im Zusammenhang mit dem Ersatz der menschlichen Arbeit durch Maschinenarbeit. Wenn man das ernst nimmt, ergibt sich folgendes Szenario:

Das Ziel der menschlichen Evolution wäre unter dieser Prämisse eine Menschheit, die in einer durch Maschinen versorgten Welt in „spätrömischer Dekadenz“ (Zitat: Guido Westerwelle) schwelgend ihrer Faulheit frönt, bis sie sogar zur Fortpflanzung zu faul ist und endlich ausstirbt. Da gab es bessere Science-Fiction in den 1960ern.

Wollen wir wirklich faul sein?

Die meisten Menschen wollen wahrscheinlich nichts wissen von einem Arbeitsfetisch oder der DNA der Industriegesellschaft. Arbeit war und ist für sie – als gesellschaftlicher Faktor – schon länger wichtig als die Lohnarbeit. Faulheit ist kein wichtiges Kriterium. Wichtiger ist gesellschaftliche Teilhabe durch Arbeit und menschenwürdige Arbeitsbedingungen.

Besonders wichtig ist aber auch die Anerkennung für ihre Arbeit. Das ist nicht nur der Arbeitslohn und ein Lob des Arbeitgebers, hier geht es um gesellschaftliche Anerkennung. Solange ein gesellschaftlich ziemlich irrelevanter Influencer oder Fußballspieler von der Gesellschaft Anerkennung bekommt, die Menschen, die unsere Gesellschaft am Laufen halten, aber nicht, ist etwas faul. Da muss natürlich jeder Mensch selbst seine Einstellung zu anderen Berufsgruppen auf den Prüfstand stellen.

Ich mache mir immer Freunde beim Pflegepersonal im Krankenhaus (musste leider oft dort sein), wenn ich zur Pflegerin sage: „Ich lege mich lieber mit dem Oberarzt als mit Ihnen an, den sehe ich nach der OP nur noch zur Visite. Sie brauche ich ständig, solange ich hier bin.“ Ja, die Reinigungskraft, die das Patientenzimmer reinigt und desinfiziert, ist auch ein wichtiger Teil meiner Genesung. Es gibt keine unwichtigen Berufe, nicht nur im Krankenhaus.

Warum haben wir aber dort Fachkräftemangel? Wenn diese Berufsgruppen von der Leitung und vom Kunden – im Beispiel Krankenhausleitung und Patienten – keine Anerkennung erfahren, im Gegenteil sogar als minderwertig behandelt werden, dann gehen sie, so schnell sie können, und der Nachwuchs bleibt aus. Ein Teufelskreis, der nichts mit Faulheit zu tun hat.

Was tun?

Wir müssen aufhören, Berufe in hochwertig und minderwertig aufzuteilen und damit auch die Ableitung des gesellschaftlichen Status von Menschen nach diesen Berufen beenden. Auch die Aufteilung in wertschöpfende Arbeit und nicht wertschöpfende Arbeit können wir uns nicht mehr leisten, da die erstgenannte ja sukzessive durch Maschinenarbeit ersetzt wird. Somit schrumpft auch das Stammklientel der SPD – der gewerkschaftlich organisierte Industriearbeiter.

Was wäre ein Artikel über Arbeit ohne ein Marx-Zitat?

Nach Marx ist ja jeder bei einem Arbeitgeber angestellte Mensch ein produktiver Arbeiter, durch das Anstellungs- oder Ausbeutungsverhältnis.

„Ein Schauspieler z.B., selbst ein Clown, ist hiernach ein produktiver Arbeiter, wenn er im Dienst eines Kapitalisten arbeitet (des entrepreneur), dem er mehr Arbeit zurueckgibt, als er in der Form des Salairs von ihm erhaelt.“ (Originalschreibweise, Anm. d. Red.)

Wir haben also keinen Grund, aufeinander herabzuschauen oder nach unten – sofern sich unter uns noch jemand befindet – zu treten. Jede Arbeit, die gesellschaftlichen Nutzen bringt, ist wichtig. Und wenn auch nicht alle ihren Job lieben: Allein, wenn sie den Nutzen des Jobs sähen und ihre Arbeit gewürdigt wüssten, dann wäre viel erreicht.

Fazit: Wir brauchen eine Politik, die für Menschen gemacht ist, die arbeiten und die dazu motiviert (nicht gezwungen) sind, auch arbeiten zu wollen. Wir brauchen die monetäre und gesellschaftliche Anerkennung für jede Arbeit, die gesellschaftlichen Nutzen bringt. Das Recht auf Faulheit ist für die meisten Menschen kein Kriterium.

Übrigens: Auch die Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens sehen nicht die Förderung der Faulheit als ihr Ziel – sie wollen die Kreativität der Menschen fördern.

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