Viele Menschen und Institutionen vollziehen den X-odus, sie wechseln von X (ehemals Twitter) zu alternativen Plattformen wie Bluesky oder Mastodon. Auch Meta, mit Facebook und Instagram, wird oft kritisiert, es gibt Datenschutzverstöße und undurchsichtige Algorithmen, viele Menschen wollen auch nicht von Werbung überflutet werden. Hier kommen die Alternativen zu den etablierten Plattformen ins Spiel.
Bluesky ist, mit einem rasanten Nutzerzuwachs, schon bekannt. Es ist eigentlich das gute alte Twitter, mit einer chronologischen Timeline und ohne aufdringliche Werbung.
Das Fediverse ist komplexer, innerhalb dieses Universum ist wohl Mastodon die bekannteste Anwendung. Wer steckt dahinter, wodurch unterscheidet es sich von anderen sozialen Netzwerken und ist das etwas für alle? Dazu fragten wir Stephanie Henkel. Stephanie (aka Ückück) ist Informatikerin, Co-Vorsitzende der Piraten in Sachsen, ist Moderatorin des Mastodon-Servers dresden.network und schreibt eine monatliche Kolumne über das Fediverse. Wir kennen uns seit Jahren und sind per du, deshalb auch diese Anrede im Gespräch.
Stephanie, viele Menschen haben schon mal etwas von Mastodon gehört, das gesamte Fediverse ist aber relativ unbekannt. Was ist das eigentlich?
Mastodon ist Teil dieses Fediverse. Fediverse heißt eigentlich, föderiertes Universum, ist also ein Kofferwort aus federation und universe. Da können ganz viele verschiedene Dienste miteinander sprechen. Das können sie, weil sie eben die gleiche Sprache, in der Technik heißt es Protokoll, sprechen und die sind dadurch miteinander verbunden.
Also du hast zum Beispiel die Videoplattform „Peer Tube“ und du kannst von Mastodon aus diese Videos angucken, diese Verbindung ist das Besondere. Dann kommt noch dazu, dass es einzelne Server gibt, aber ich weiß nicht, wie tief wir für einen Einstieg hereingehen wollen. Es ist im Prinzip ein bisschen wie bei E-Mails. Du kannst mit Deiner web.de-Adresse auch an eine Outlook-Adresse schreiben, oder an eine Posteo-Adresse und ihr könnt alle miteinander reden, weil die eben die gleiche Sprache sprechen, genau das Gleiche passiert im Fediverse.
Du ja schon Mastodon und Peer Tube genannt, das Besondere am Fediverse ist ja, dass es kein zentrales Netzwerk ist, sondern ein Netzwerk dezentraler Server. Was ist denn der Charme oder das Positive daran, gegenüber den zentralen Netzwerken, wie zum Beispiel Meta?
Ich würde ganz plakativ Freiheit und Selbstständigkeit sagen. Also du fragst mich ja zum Beispiel auch an, weil ich bei ein paar Servern dahinter stecke. Ich bin zum Beispiel im Team von einem Mastodon-Server und wir betreiben den zu zweit. Wir, der Markus und ich, haben unsere Regeln, das sind die Hausregeln.
Dezentral bedeutet auch, dass wenn Markus ein Update macht, dann ist unser Server mal für, wenn es schlimm kommt, eine halbe Stunde offline, aber der Rest vom Fediverse funktioniert noch. Also nur die Leute bei uns auf dem Server, die sind gerade nicht drin. Da es so viele Server sind, die, auch wenn wir ein Update machen, erstmal ausfallsicher sind, kann der Rest noch miteinander reden.
Ich habe gesagt, wir haben unsere eigenen Regeln. Das nutzen manche zum Beispiel so, dass sie vor allen Dingen so ein bisschen Wohlfühl-Content haben möchten bei sich auf dem Server. Bei uns ist es eine sehr offene Instanz. Das hat auf alle Fälle Charme. Und uns kann keiner wegkaufen.

Also nicht wie bei Twitter, mit der Übernahme durch Musk?
Das ist ja die große Erzählung, alle weinen gerade noch über Twitter, viele weinen auch über Instagram, dass da im schlimmsten Fall ein Mann in den USA mit zu viel Geld sitzt und sich irgendwas überlegt. Und dann sind alle Regeln anders. Dann werden Accounts gesperrt. Dann kannst du Dich nicht dagegen wehren, wenn die Regeln anders sind und du kannst Dich nicht wehren, wenn es keine Moderationen gibt.
Im Fediverse ist das nicht so, weil es allen gehört, die diese Software entwickeln, die Server betreiben und es nutzen. Du kannst auch, wenn du beispielsweise sagst: Och nee, diese Leute da von dem Dresden-Network, die sind ja so anstrengend, einfach Deinen Account nehmen und auf einen anderen Server umziehen. Du nimmst alles mit und dann bist du halt auf dem anderen Server, wo es Dir besser gefällt, beispielsweise auf einem Brettspiel-Server.
Wenn du der Meinung bist: Ich will diesen ganzen Dresden-Mist nicht mehr lesen, ich will jetzt nur noch Brettspiel-Neuigkeiten haben, dann geht das. Das ist halt total cool. Wenn du nur noch die Neuigkeiten von dem Brettspiel-Server siehst und Dir in einem halben Jahr denkst, der Ückück würde ich ja doch wieder folgen, die war doch eigentlich ganz nett. Dann kannst du von Deinem Server aus, trotz des Umzugs, diesen Accounts folgen.
Diese Freiheit ist das Besondere am Fediverse. Es ist zwar manchmal ein bisschen mehr Arbeit, wenn man sich überlegen muss, will ich jetzt auf den Brettspiel-Server oder auf den Dresden-Server oder den Leipzig-Server, aber dafür kannst Du Dich sehr frei entscheiden.
Verschiedene Server, verschiedene Hausregeln, verschiedene Interessengebiete und teilweise verschiedene Einstellungen. Gibt es da auch Kritik?
Ich habe gerade eine Umfrage am Laufen, wie alt die Leute denn im Fediverse sind. Da haben zig Leute darunter geschrieben: Aber mit Software XY hätte die Ückück nicht nur vier Optionen gehabt, sondern unendlich viele oder zehn Optionen. Das ist dann Nächste, dass du Dir die Funktionen so zusammensuchen kannst, wie du möchtest. Mit Deiner Entscheidung ist dann halt nicht jeder einverstanden.
Auf Mastodon kannst du ja nicht alles machen, du sprachst schon Peer Tube an, was gibt es noch?
Wenn du viel Text schreiben willst, bist du auf Mastodon nicht so gut aufgehoben. Es gibt da richtige Blog-Software, wie WriteFreely. Wenn du streamen willst, gibt es auch OwnCast, das ist nur für Streams da. Also es gibt halt alles. Ich habe Freundinnen, die habe ich jetzt auf Bookwyrm geholt, die lesen und häkeln mehr oder weniger den ganzen Tag, also in ihrer Freizeit.
Die rezensieren ganz oft Bücher und haben mit dem Rest gar nicht so viel zu tun. Sie können das hier machen, ohne auf den vergleichsweise großen Amazon-Dienst zu gehen und können trotzdem ihre Bücher besprechen. Das ist halt genial.
Wir sprachen darüber, dass das Fediverse aus verschiedenen dezentralen Servern besteht. Hat da nun alles wirklich jede Instanz einen Serverschrank irgendwo stehen, oder sind das auch virtuelle Server?
Ich kenne tatsächlich Leute, die das mit ihrem Raspberry Pi unterm Sofa machen, so wie man sich das vorstellt. Eine kleine Kiste dann für sich und ein, zwei Kumpels. Aber die meisten haben irgendwo einen virtuellen Server. Dadurch entsteht wieder das Problem, dass verhältnismäßig viele bei Hetzner sind. Und wenn dann bei Hetzner etwas ausfällt, dann ist es nicht mehr ganz so resilient. Deshalb ist es eigentlich charmant, wenn viele ihre eigene Kiste haben.
Um das nochmal klarzustellen: Ich melde mich auf einem Server im Fediverse an und kann mit Leuten von allen anderen Servern kommunizieren, kann denen folgen, deren Content sehen. Und wenn ich sage, ein Server gefällt mir von der Anlage her besser, dann kann ich auch problemlos innerhalb des Fediverse umziehen. Stimmt das so?
Jein, also kommt darauf an, innerhalb einer Software geht das bei vielen der gängigen Anwendungen sehr gut, softwareübergreifend geht es nur teilweise. Wir hatten jetzt halt zum Beispiel schon Anfragen, dass Leute gerne mit ihrem Mastodon auf Pixelfed gegangen wären. Das geht nicht, da ist die Software zu unterschiedlich.
Innerhalb von Mastodon geht der Umzug zu anderen Servern aber?
Ja, das geht. Theoretisch können deine Admins einstellen, dass das nicht mehr geht, aber das macht eigentlich keiner. Wenn du auf einem offiziellen Server bist, dann funktioniert das.
Und das mit allen Servern, also dass du alles im Fediverse siehst, ist allerdings nicht ganz wahr. Wenn du einen neuen Server aufsetzt, bist du ja noch nicht mit den anderen verbunden und föderierst noch nicht mit denen und die bestehenden Server deföderieren häufig einige Server. Zum Beispiel sind das bei uns rechtsextreme Server und einige Bot-Server, es gibt Informationsbots und so was. Die haben wir nicht ganz ausgesperrt, sondern gemutet, also stumm gestellt.
Das heißt, wenn du aktiv nach dem Server oder Account suchst, findest du den. Aber wenn jemand etwas davon teilt, siehst du das nicht, wenn du dem gemuteten Account nicht selbst folgst. Da gibt es zum Beispiel Tierbots, die teilen einmal in der Stunde ein Katzen- oder ein Fuchsbild. Das ist für viele Leute Spam. Andere Leute wie ich folgen diesen Bots aktiv, weil ich auch mal was Schönes in meiner Timeline haben will.
Diese Server oder Accounts sind bei vielen Servern gemutet, die kannst du also noch finden, aber rechtsextreme Inhalte und so etwas, das haben viele deföderiert. Es gibt auch Werbeplattformen, die haben auch einige deföderiert.
Du kannst aber bei einem vernünftigen, anständigen, öffentlichen Server alles einsehen, was da auf der Blacklist ist. Das ist auch teilweise ganz schön exzessiv. Also ich weiß, dass die von Chaos.Social sehr viel deföderieren. Für Dich als Journalist ist es ja zum Beispiel wichtig, dass du mit vielen föderierst. Also dann eher nach einem Server gucken musst, der mit vielen föderiert. Und andersrum gibt es halt auch ein paar Hilfsmittelchen, dass die Server sich besser vernetzen können. Aber das führt vielleicht jetzt schon zu weit.
Das würde auf jeden Fall zu weit führen. Kurz noch zu zwei Themen, die die Nutzerinnen und Nutzer von den etablierten Netzwerken oft nerven. Man hat oft nicht mehr die chronologische Timeline, der Algorithmus bestimmt was man sieht und es wird massiv Bezahlwerbung eingespielt. Bei X und anderen muss man bezahlen, wenn man werbefrei schauen will. Wie ist das im Fediverse?
Das ist relativ kompliziert. Es gibt ein paar Dienste, beispielsweise Loops, das ist quasi ein TikTok-Äquivalent bei Pixelfed. Der Entwickler sitzt gerade daran, soweit ich weiß, dass man das optional machen könnte für Leute, die sich einen Algorithmus wünschen. Aber, ich glaube, dass du das vorgesetzt bekommst das wird niemals im Fediverse kommen. Das ist ja die große Stärke, dass du diese zeitliche Timeline hast, eine wirkliche Timeline, ohne Algorithmus.
Das mit der Werbung, das ist das nächste. Also eine normale Werbeanzeige, die du kaufen kannst, gibt es gar nicht. Ich habe manchmal das Gefühl, dass Künstlerinnen und Künstler Angst haben, wenn die gerade neue Sticker oder T-Shirts bei sich im Shop haben, dass die dann keine Werbung machen wollen, weil sie den Leuten nicht auf die Nerven gehen wollen. Das geht fast schon in die andere Richtung. Wenn, dann ist es eher so, dass Leute für ihre eigenen Sachen Werbung machen und das meiste ist dann ganz doll markiert.
Ich finde es schon fast traurig. Ich folge relativ vielen Comic-Zeichnerinnen und -zeichnern, wenn die sich nicht so richtig trauen. Es gab auch schon Nachfragen zu Sommerfesten und Veranstaltungen, ob das jetzt schon Werbung ist? Da habe ich gesagt, nein. Bei uns steht ja nur keine übermäßige Werbung in den Regeln. du sollst jetzt als Autohaus nicht jede Woche 30 Beiträge machen, was gerade im Angebot ist. So rum ist das gedacht. Nicht, dass das Sommerfest oder das Atelier mal ankündigt, dass es eine Veranstaltung gibt. Das ist doch schön.
Wenn man es ausprobieren will, wie sollte man vorgehen, was sollte man beachten?
Sich trauen, das ist das Wichtigste, glaube ich. Also ich würde empfehlen, einfach mal kurz überlegen, möchte ich eher nur Fotos posten, möchte ich Videos machen, möchte ich Text machen. Ganz grob und dann den dicksten Dienst davon nehmen. Die meisten wollen wahrscheinlich gern lesen und schreiben. Dann können die sich am besten mal bei Mastodon umgucken, da gibt eine Übersichtsseite mit verschiedenen Servern.
Dann nach dem Bauchgefühl das Erste, was einen anspricht nehmen. Wenn man in Leipzig wohnt, kann man beispielsweise leipzig.town nehmen, sich anmelden und dann einfach ein bisschen rumprobieren. Profil ausfüllen, einen Beitrag schreiben und sich am besten unter dem Hashtag #neuhier kurz vorstellen, damit die Leute wissen, dass man existiert.
Dann einfach probieren und ein bisschen gucken. Ich glaube, die meisten zerdenken sich das, weil es heißt: Es gibt hunderte Dienste. Dann sitzen die erstmal so davor ,mit Entscheidungsparalyse: „Scheiße, hunderte Dienste, was nehme ich denn dann?“ Einfach das Erste, was euch über den Weg läuft, was halbwegs groß aussieht, ausprobieren.
Das nehmen wir als Schlusswort. Stephanie, ich danke Dir für das Gespräch.
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