Der „Budapest-Komplex“ – die bundesweiten Ermittlungen gegen Antifaschist/-innen – ist für die ostdeutsche linke Szene seit Jahren ein emotionales und politisches Trauma. Am Dienstagabend, dem 11. November, blickten Angehörige, Aktivist/-innen und die Verteidigung bei einer Veranstaltung im UT Connewitz in Leipzig, organisiert von Eltern gegen Auslieferung (KANU.me), Linksjugend Sachsen und linXXnet, auf eine Welle der Repression zurück.
Der Hintergrund: Am 11. Februar 2023 protestierten Antifaschist/-innen in Budapest gegen den sogenannten „Tag der Ehre“ – eine europaweit mobilisierte Neonazi-Veranstaltung. Am Rande kam es zu körperlichen Auseinandersetzungen, bei denen Rechte verletzt wurden. Ungarische Behörden reagierten mit Verhaftungen, U-Haft und internationaler Fahndung, die deutschen Behörden unterstützten aktiv mit Observationen, Hausdurchsuchungen und Festnahmen.
Während europäische Länder wie Italien oder Frankreich die Auslieferung von Tatverdächtigen an den ungarischen Staat verhindern, wurde Maja T. im Juni 2024 aus der JVA Dresden nach Ungarn gebracht. Die Auslieferung wurde vom Bundesverfassungsgericht nachträglich als rechtswidrig erklärt, Maja T. drohen in Budapest trotzdem 24 Jahre Haft.
Die Nürnbergerin Hanna S. wurde im September in München wegen gefährlicher Körperverletzung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung nach § 129 zu fünf Jahren Haft verurteilt. Der von der Generalbundesanwaltschaft erhobene Mord-Vorwurf hielt nicht stand. Ab Januar 2026 stehen sechs weitere Beschuldigte in Düsseldorf vor Gericht.
Angesichts dieser Vorgeschichte lieferte Anwältin Antonia von der Behrens eine zentrale Botschaft, die sich an diesem Abend immer wieder verdichtete: Hier geht es nicht um ein gewöhnliches Strafverfahren, sondern um eine gezielte politische Inszenierung, deren Ziel die Kriminalisierung des Antifaschismus ist.
Das Aufbauschen: Die bundesanwaltschaftliche Jagd
Die Juristin von der Behrens legte dar, dass das Verfahren kein „normales Verfahren“ ist. Es sei ein Skandal, dass es überhaupt von der Bundesanwaltschaft (GBA) geführt wird, jener höchsten Anklagebehörde, die eigentlich für Terrorismus oder Spionage zuständig ist. Um das Verfahren an sich ziehen zu können, musste die Generalstaatsanwaltschaft Dresden, welche anfänglich zuständig war, die Taten als von „besonderer Bedeutung“ und als gegen den demokratischen Rechtsstaat gerichtet behaupten. Dies mache die Beschuldigten zu „Staatsfeinden“.
Auf dem Podium wurde deutlich, dass die Inszenierung durch den Staat selbst orchestriert wurde. So hatte die GBA die Möglichkeit ausgeschlagen, die sich freiwillig stellenden Beschuldigten ohne Auslieferungsabsichten in Deutschland zu behalten. Die Anklageerhebung sei daher ein politisches Statement. Die GBA hält am Vorwurf des versuchten Mordes fest, obwohl dieser nicht einmal von ungarischer Seite erhoben wurde und vor keinem deutschen Gericht Bestand hatte.
So wurde Hanna S. in München vom Mord-Vorwurf freigesprochen. „Bisher ist die Bundesanwaltschaft mit diesem Vorwurf vor allen Gerichten gescheitert“, resümiert von der Behrens. Es sei das „große Problem“, dass die Anklage faktisch den Diskurs rechter und AfD-naher Kreise befeuere.
Logistische Repression: Entsolidarisierung durch Distanz
Als weiteren bewussten Repressionsakt werteten die Teilnehmenden die Verlegung des Prozesses an das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf. Der formale Grund (Festnahmen in NRW) diene als Vorwand dafür, den Prozess maximal weit von den Familien und Soli-Strukturen (hauptsächlich Sachsen, Thüringen) abzuhalten.
Die Konsequenzen für die Angehörigen, die sich im Verein Eltern gegen Auslieferung (KANU) organisiert haben, sind drastisch.
Ein Angehöriger beschreibt die Folgen für berufstätige Eltern: Die sechsstündige Fahrt zu den Prozesstagen (die Dienstag und Mittwoch stattfinden) und die Besuche in der Haft sind kaum mit dem Arbeitsalltag vereinbar. „Für mich entsteht der Eindruck, dass es mit Düsseldorf so [gewähltwurde], um Entsolidarisierung und Entsozialisierung herbeizuführen“, so die Schlussfolgerung eines Angehörigen. Die Soli-Struktur BASC spricht von einem massiven Kraftakt, um die Infrastruktur überhaupt am Laufen zu halten.
Paranoia, Erschöpfung und die Kraft der Wut
Die Angehörigen berichteten von der immensen Erschöpfung, die sich nach fast drei Jahren Ungewissheit und permanenter Überwachung (TKÜ, Observation) eingestellt hat. Ein Gefühl der Paranoia sei in den Alltag eingedrungen; die Übergriffe des Staates, etwa die Hausdurchsuchungen, hätten das Vertrauen zutiefst erschüttert. Ein Gast auf dem Podium sagte, der Verlust der Leichtigkeit des Seins sei wie ein Morast, aus dem man sich nur durch Aktionen befreien könne.
Dennoch sei die wichtigste Kraftquelle die Überwindung der Angst und die Mobilisierung der Wut in Aktion. Die Angehörigen fungieren füreinander als „Selbsthilfegruppe“, in der man „durch das Gleiche durchgeht“ und sich Halt gibt.
Für die Inhaftierten sei die Solidarität von außen von existenzieller Bedeutung. Antonia von der Behrens betont, dass Briefe und Postkarten sie darin bestärken, ihre „politische Identität“ zu bewahren und „nicht gebrochen“ zu werden. Es gehe darum, dem Staat zu zeigen, dass man nicht allein ist, um dann, wie es in einem Text aus der Lesung hieß, „in die Offensive zu gehen. Raus aus dem Versteck, raus aus der Scham, aus dem Kleinlauten, raus aus der Reserve.“
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