Am 5. Dezember fanden deutschlandweit Demonstrationen von Schülerinnen und Schülern gegen die Wiedereinsetzung der Wehrpflicht statt. Aus CDU und CSU kommt reflexartig die Aussage, diese mögen doch bitte in der Freizeit demonstrieren, einige Schulen kündigen Disziplinarmaßnahmen gegen Schulstreikende an und der Verteidigungsminister findet die Schulstreiks großartig. Sie seien ein Ausdruck des Interesses und Engagements der Schülerinnen und Schüler.
In Umfragen ist die Mehrheit der deutschen Bevölkerung für eine Wehrpflicht, allerdings besteht diese Mehrheit wohl meist aus denjenigen, die diese nicht mehr betrifft. Von Männern meiner Altersklasse hört man oft, die „Schule der Nation“ sei ja gar nicht so schlimm gewesen, der Wehr- oder Wehrersatzdienst hätte uns auch nicht geschadet und diese jungen Menschen sollen sich nicht so anstellen.
Auf der anderen Seite, von den potenziell Betroffenen, aber auch von Politikern der Linken und des BSW, ist zu hören von Kriegsdienst, „euren Kriegen“, dem Erlernen des Tötens und verlorener Lebenszeit.
Welche Frage wird nicht gestellt?
Ich hole ganz weit aus und beginne damit, dass wir in einem demokratischen und sozialen Bundesstaat leben, in dem alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht. Nachzulesen im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Artikel 20.
Für mich stellt sich die grundlegende Frage: „Warum sind junge Menschen immer weniger bereit, die Demokratie und den Sozialstaat notfalls mit der Waffe in der Hand und unter Einsatz ihres Lebens zu verteidigen?“
Das geht nicht gegen die jungen Menschen, obwohl schon die Überlegung gestattet sei, dass gerade im Moment der Demonstrationen junge ukrainische Menschen eben dies gegen einen Aggressor tun. Die Rolle der unterstützenden politischen Parteien kann man durchaus kritisch sehen.
Zum einen stellen sie die obige Frage nicht, zum anderen fordern sie ständig diplomatische Bemühungen und Gespräche mit jemandem, der diese ignoriert. Die Gleichsetzung von Verteidigungsbereitschaft und Kriegstreiberei haben einige der Akteure verinnerlicht.
Sind unsere Demokratie und unser Staat es nicht wert, verteidigt zu werden?
Liegt es vielleicht daran, dass die Jugend Demokratie nicht wirklich erlebt? Zumindest dann, wenn sie sich artikuliert.
Gerade in der letzten Zeit wurden Aktionen von jungen Menschen kriminalisiert, denkt man nur an das Urteil gegen die Mitglieder der „Letzten Generation“. Man muss die Aktion nicht gutheißen, aber setzt man sie ins Verhältnis zu „Störungen des Luftverkehrs“ durch Hackerangriffe, welche nur durch mangelnde IT-Sicherheit möglich waren, dann sind diese Störungen geradezu unerheblich.
Wie hoch sind die Strafmaße, die gegen diese Firmen verhängt werden? Das Anliegen der Aktivistinnen und Aktivisten ist jedenfalls nachvollziehbar, über die eingesetzten Mittel kann man streiten.
Vor kurzem forderte Bundespräsident Steinmeier „Menschen, die gegen Vorurteile genauso entschlossen vorgehen wie gegen Naivität, die Probleme ausblendet, statt sie zu lösen.“ Da ging es übrigens darum, „unsere Demokratie zu verteidigen: zu verteidigen gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Gewalt.“ Kurz darauf ging in Gießen der Staat, mit massiver Polizeigewalt, gegen eben jene Menschen vor. Auch das trägt nicht zum Vertrauen bei.
Es gab im Zusammenhang mit den „Klimaklebern“ politische Initiativen zur Verschärfung des Strafrechts gegen junge Klimaaktivistinnen und -aktivisten. Es ertönte der Ruf nach schnellen und harten Verurteilungen. Vergleicht man das mit lang andauernden Prozessen gegen Menschen, die sich bewaffnen, um unsere Demokratie zu bekämpfen, wen erstaunt dann die mangelnde Verteidigungsbereitschaft für den demokratischen Rechtsstaat?
Im Bereich des Sozialstaates schwindet das Vertrauen der Jugend in diesen ebenfalls. Das zeigt nicht nur die Diskussion um die Rentenreform, auch Kinderarmut in unserem reichen Land, soziale Unsicherheit und das gebrochene Aufstiegsversprechen spielen eine Rolle.
Wirklich ernst genommen fühlen sich viele Jugendliche nicht. Denken wir nur an die Zeit, als Fridays for Future zehntausende Kinder und Jugendliche auf die Straße brachte. Ein „Schulstreik fürs Klima“, für viele Politiker konnten nur erwachsene Aktivisten dahinter stecken. Jugendliche sind zu solchen Aktionen scheinbar nicht selbständig fähig.
Also: Werdet erstmal erwachsen, bevor ihr euch äußert!
Die Jugend ist desillusioniert von der derzeit herrschenden Gerontokratie. Ja, das schreibe ich als „alter weißer Mann“. Ich kann es verstehen. Die wirkliche Frage, die man sich stellen sollte, ist nach meiner Meinung:
„Was müssen Staat und Gesellschaft tun, damit die Jugend bereit ist, diesen Staat und somit unsere Demokratie notfalls mit der Waffe in der Hand und unter Einsatz ihres Lebens zu verteidigen?“
Da haben nicht nur Friedrich Merz und seine Regierung viele Hausaufgaben zu erledigen. Wir, die ältere Generation, sind insgesamt gefordert.
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Mit der Rede Putins am 25.9. 2001 im Bundestag hätte allen klar sein müssen, wohin es führt seine ausgestreckte Hand nicht zu nehmen. Die jetzt gemustert werden sollen, sollen die Zeche, eventuell mit ihrem Leben, bezahlen für die politische Ignoranz zu einem Zeitpunkt, wo sie selbst noch nicht einmal geboren waren. Das ist Nachhaltigkeit im negativen Sinne.