Ihr Kolumnist hat sich auf den Weg in das Land der Magyaren gemacht, da wo, Sie haben es sicherlich mitbekommen, die Demokratie nicht im allerbesten Zustand ist. Um den demokratischen Anschein zu wahren, will Viktator Orbรกn am 3. April eine (womรถglich letzte) Wahl veranstalten lassen. Das Parlament wird gewรคhlt, und die Chancen stehen nicht schlecht, dass es mehrheitlich mit seinen Gefolgsleuten gefรผllt wird.

Nach 12 Jahren Staatsumbau ist der Hunnenkรถnig von der Fidesz-Partei in Besitz von Medienkonzernen, Zeitungen und Staatsfernsehen, hat die Gerichte mit seinen Leuten besetzt und einen dicken Abdruck im Schulsystem hinterlassen, indem ihm auch der einzige Verlag gehรถrt, dessen Bรผcher im Unterricht Verwendung finden dรผrfen. Ein echtes Lehrstรผck in Sachen Populismus und autokratischer Machtkonzentration.

Davon kann eine Partei wie Die PARTEI nur lernen, und so haben wir kurzerhand eine PARTEI-Delegation aus Sachsen formiert, um uns diese Bilderbuch-โ€žDemokratieโ€œ genauer anzuschauen. Denn von Orbรกn lernen, heiรŸt herrschen lernen. Auf Kosten Ihrer deutschen Steuergelder sind wir also in den Nachtzug gestiegen, um jenes Land im Wahlkampf, in dem Bier und Pรกlinka-Schnรคpse flieรŸen, zu erkunden.

Doch nicht, dass Sie, liebe Leserschaft, nun einen falschen Eindruck bekommen: Weder wรผrde uns der Viktator zu einer Audienz einladen oder รคhnliches Vรถlkerfreundelndes, noch kรคmen wir in den Genuss, fรผr seine Partei am Ende noch Sympathien zu entwickeln. Wir sind ja nicht bei der Jungen Union.

Ein Land, das vor die Hunde geht

Wรคhrend ich hier in einer kleinen SeitenstraรŸe Kaffee schlรผrfe und meiner Kolumnistenpflicht nachgehe, befindet sich ein GroรŸteil der angereisten PARTEIniks in den StraรŸen von Budapest. Im gemeinsamen Gruppenchat mit dem trefflichen Titel โ€žInvading Hungaryโ€œ lese ich, dass die anderen gerade eine Liste abarbeiten mit Worten, die vorgeben, StraรŸennamen zu sein, im Grunde aber nur eine unaussprechliche Ansammlung von Um- und S-lauten sind.

Die Deutschen sind jedenfalls in Ungarn und kรถnnen das Arbeiten nicht lassen. Aus gutem Grund! Denn wir haben unsere Schwesterpartei gesucht und gefunden: Magyar Kรฉtfarkรบ Kutya Part โ€“ Die Partei des zweischwรคnzigen Hundes, kurz: MKKP.

Es ist die letzte Woche vor der Wahl und die Deitschen helfen mit, dank teutonischer Schaffenskraft, die Stadt vollends mit Plakaten der Zweischwรคnzigen Hunde zu tapezieren. Wรคhrend Orban auf regierungsfinanzierten Plakaten mit fachmรคnnisch politischem Staatsmannblick fรผr sich wirbt, fordern die Hunde โ€žMehr Alles, weniger Nichts!โ€œ oder โ€žFรผr ein ewiges Leben +20 Jahre!โ€œ.

Es gibt viel zu gewinnen. Denn wie auch in Deutschland gibt es in Ungarn eine Fรผnf-Prozenthรผrde und die MKKP hat nicht die schlechtesten Aussichten, diese mit einem Hundi-Hรผpfer zu รผberspringen. Wie auch Die PARTEI treten die Hunde bereits seit einigen Jahren zu Wahlen an und konnten neben Wahlerfolgen, wie ein Bezirksbรผrgermeister und landesweiten Ergebnissen um die 2,5 Prozent, in die Parteienfinanzierung rutschen.

Damit kรถnnen sie nun ihren Wahlkampf finanzieren. Dieser besteht aus Unmengen Plakaten, Stickern, Postern und, da geht uns PARTEI-Leuten das Herz auf: Freibier. Bereits Gerhard Polt erkannte, als er Anfang der 80er mit einem Haufen befreundeter Kรผnstler/-innen hinter den Eisernen Vorhang nach Moskau reiste und 38 Fรคsser bayrisches Brรคu mitbrachte: Das Revolutionรคrste, was es gibt, ist Freibier.

Welch anziehende Wirkung der Ausruf โ€žFreibier!โ€œ hat, durften wir gestern erfahren. Ein sonniger Budapester Sonntag in einem der unzรคhligen Plattenbauviertel der Stadt. Der Anblick des KuK-Monarchie-geprรคgten Zentrums der ungarischen Hauptstadt lรคsst anderes vermuten, aber 90 Prozent der Budapester wohnen auch heute in solchen tristen Neubauvierteln, wie sie der Ostblock seinen Bรผrgerinnen und Bรผrgern massenhaft hinterlassen hat. Im Reisefรผhrer stรผnde jetzt โ€žauthentischโ€œ als Beschreibung fรผr das, was wir dort gestern erleben durften.

Auf die Hunde gekommen

Ein halb-grรผn, halb-braun gesprenkelter Rasen vor elfgeschossigen Plattentรผrmen, modern-kรผnstlerische Statuesken, die Stephan, den Christianisierer des Magyarenlandes belobhudeln, und ein leicht รผberdimensionierter Fahnenmast mit Ungarnflagge, die etwas ramponiert im Wind weht. Wรคhrend wir beim Aufbau helfen, kommen nur vereinzelt Spaziergรคnger vorbei, offenbar Bewohner des Viertels, die uns nach Dingen fragen, indem sie Um- und diverse Varianten von S-Lauten aneinanderreihen. Wir mรผssen ihnen eine Antwort schuldig bleiben.

Als ein LKW vorfรคhrt, und einige von uns beim Ausladen des Freibiers behilflich sind, kommt so langsam Bewegung in die Sache. Ein steter Strom aus Richtung der Wohnblocks beginnt zu flieรŸen. Ein freundlicher Veteran und eine putzige Omi drรผcken jeder und jedem eine Dose Bier in die Hand.

Die Bierbรคnke vor dem Pavillon sind bald voll besetzt, im Zelt neben der extra herangekarrten Bรผhne schneiden รคltere Ungarinnen Paprika im Stehen mit einer Schnelligkeit und Prรคzision, als hรคtten sie 30 Jahre nichts anderes gemacht. BadewannengroรŸe Trรถge voller Gulasch werden auf Gasbrenner gesetzt und verstrรถmen langsam immer mehr ihrer schmackigen Dรผfte.

Das Publikum kรถnnte gemischter nicht sein. Rentneromis, junge Familien, Kindergangs, dazwischen subkulturell geprรคgte Leute, zwischen Metal- und Hiphop-Fans, denn spรคter spielen noch zwei Gruppen, die in dem einen wie dem anderen Genre etablierte GrรถรŸen waren und รผber eine gesรคttigte Fanbase verfรผgen. So finden wir uns wieder zwischen grรถlenden Metallern und Gulaschomis, wรคhrend Hรผhnermann (ein MKKP-Kandidat im Hรผhnchenkostรผm) und ein T-Rex รผber das Festival-Gelรคnde speiken.

Doch als wรคren kostenloser Gulasch und Freibier noch nicht genug, hat sich die Partei des Zweischwรคnzigen Hundes das wahrscheinlich allerbeste Mittel im Wahlkampf รผberlegt, nรคmlich das Verteilen von Geldscheinen. Wรคhrend Orbรกns Fidesz-Politiker mit Geschenkkรถrben voll ungarischer Salami um die Gunst der Wรคhlerschaft buhlen, wirft die MKKP Geldscheine in die Menge.

Zugegeben, die Scheine sind allesamt Blรผten, aber dafรผr sehr, sehr gut kopierte. Sie wurden palettenweise ins Hauptquartier der Hunde geliefert und werden seitdem zu Wahlkampfzwecken in der Bevรถlkerung verteilt. Wie lรคsst sich das Wahlvieh denn auch besser kaufen โ€“ als mit Geld?

So hervorragend gastfreundlich wir von den Hunden empfangen wurden, so sehr tropft der Wehmut, wenn nach dem x-sten Magyarengrappa die Erzรคhlung auf die Gesamtsituation kommt: Fรผhrer Orbรกn sei mittlerweile so mรคchtig, dass sogar eine Abwahl seine Machthabe nicht beenden kรถnnte.

Ein Kleptokrat und Vetternwirtschafter wie er hat schlieรŸlich vorgesorgt. Sein populistischer Arschabdruck wird noch auf viele Jahre das Land und seine Leute prรคgen. Solange werden auch wir sagen mรผssen, dass wir immer ein bisschen ungern in Ungarn sind. Doch weitermachen, das muss man. Mรถgen die Zweischwรคnzigen Hunde ihren Mut und Galgenhumor nicht verlieren.

Braucht jetzt erstmal einen Pรกlinka um den Trip zu verdauen und ruft darum: Egรฉszsรฉgรฉre!
Ihr MP in spe a.D.
Tom Rodig

PS: Und weil das hier die 100. Ausgabe der Leipziger Zeitung (LZ) ist โ€“ Herzlichen Glรผckwunsch!  โ€“ mรถchte ich nicht unerwรคhnt lassen, wie es eigentlich um die Pressefreiheit in Ungarn steht. Kurz gesagt: Nicht gut. Also bewahren Sie sich bitte die unabhรคngigen Medien und schlieรŸen umgehend ein LZ-Abo ab. Kรถszรถnรถm!

โ€žRodig reflektiert: Ungern in Ungarnโ€œ erschien erstmals am 1. April 2022 in der aktuellen Printausgabe der Leipziger Zeitung (LZ). Unsere Nummer 100 der LZ finden Sie neben GroรŸmรคrkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehรคndlern.

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