Am 8. Januar 2021 ist nach einem lange geduldig bekämpften Leiden die Dichterin und Künstlerin Barbara Köhler gestorben. Damit ist eine der bedeutenden Stimmen der deutschsprachigen Wortkunst zu früh verstummt.

nichts ist vollkommen aber alles
ist möglich nichts geht wirklich
zuende
aus: cor responde (1998)

Das Schaffen der Lyrikerin, Essayistin, Installationskünstlerin und Übersetzerin bleibt als ein wertvolles Gesamtwerk zurück, das bereits vielfach geehrt wurde, u. a. mit dem Clemens-Brentano-Preis (1996), dem Literaturpreis des Ruhrgebiets (1999), dem N. C. Kaser-Lyrikpreis (2005), dem Spycher-Literaturpreis (2007), dem Joachim-Ringelnatz-Preis (2008), dem Erlanger Literaturpreis für Poesie als Übersetzung (2009), dem Poesiepreis des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft (2009), dem Peter-Huchel-Preis (2016), dem Alice Salomon Poetik Preis (2017) sowie dem Ernst-Meister-Preis (2018).

Barbara Köhler wurde am 11. April 1959 geboren und wuchs im sächsischen Penig auf. 1976 bis 1979 machte sie in Plauen eine Ausbildung mit Abitur zur „Facharbeiterin für textile Flächenherstellung“, eine Lehre, die oft symbolisch für die spätere Wortweberin aufgefasst wurde. Nach dem Abschluss zog sie nach Chemnitz und arbeitete dort in verschiedenen Berufen, u. a. am Theater. 1985 bis 1988 studierte sie am Institut für Literatur Johannes R. Becher in Leipzig. Seit 1994 und bis zu ihrem Tod lebte sie in Duisburg.

Barbara Köhlers lyrische und essayistische Werke erschienen unter anderem bei den Verlagen Suhrkamp, Dörlemann und Lilienfeld, zuletzt vor allem in der Edition Korrespondenzen. Sie sah sich selbst „als beobachtender teil des systems, als lyrikerin, übersetzerin, im genus femininum, in einem spiel zwischen den sprachen“ (aus: Neufundland, 2012). Sie übersetzte u. a. Gertrude Stein und Samuel Beckett.

Und seit ihrem ersten Gedichtband Deutsches Roulette (1991) bis hin zu den 42 Ansichten zu Warten auf den Fluss (2017) verbinden sich in ihrer Lyrik und Prosa ausgehend von einer selbst auferlegten strengen Form Alltagsbeobachtung, Wissenschaft und Poesie zu einzigartigen rhythmisch-gesanglichen Untersuchungen von Sprachen und Sprachräumen, die tief hinein in das faszinierende Gewebe der mythischen, historischen und alltäglichen Querverbindungen führen. Ihre Leitthemen sind dabei immer wieder die Odysseus-Sage und die Orte, in die Barbara Köhler durch ihr künstlerisches Leben geführt wurde, wie z. B. London, Istanbul, Portugal und das Ruhrgebiet.

Sie folgte zahlreichen Einladungen (u. a. 1995 Stadtschreiberin von Rheinsberg, 1997 Writer in Residence an der University of Warwick, 2009 Max Kade Writer am Oberlin College, Ohio, und Poet in Residence an der Universität Duisburg-Essen sowie 2013 Artist in Residence an der Cornell University, Ithaca NY) und wurde mit Poetikdozenturen geehrt (2012 Thomas-Kling-Poetikdozentur der Kunststiftung NRW an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, 2016 Ernst-Jandl-Poetikdozentur der Universität Wien). Zuletzt war sie Gastprofessorin für Literarisches Schreiben an der Kunsthochschule für Medien Köln.

Die lyrische und essayistische Kunst Barbara Köhlers wurde immer begleitet von Textinstallationen, „Schriftbildern“, Audio-Arbeiten und Multiples sowie temporären und ständigen Arbeiten im öffentlichen Raum und in privaten Gärten. Das Interesse am Organischen in den Sprachen findet sein Äquivalent in der akribischen Liebe zur Pflanzenwelt und zur Gartenkunst, und während in ihren Texten Räume zu Sprache werden, bringt sie mit ihren Installationen und Bildern Texte in Räume, sie nannte es einmal „Schrift stellen“.

Um einen Text im Raum entspann sich auch eine heftige Diskussion, als 2017 von der Fassade der Alice Salomon Hochschule Berlin ein Gedicht entfernt werden sollte. An der Stelle des Textes sollten fortan in regelmäßigen Abständen andere Texte die Fassade schmücken, beginnend mit einem von Barbara Köhler.

Die Verhärtungen in der Diskussion über die Gründe für die Entfernung des Gedichtes waren nicht aufzulösen, aber die Lösung, die Barbara Köhler schließlich erfand, zeigt ganz beispielhaft ihren Charakter und den Charakter ihrer Kunst: das vormalig auf der Wand befindliche Gedicht scheint weiterhin durch, und der neue, darüberliegende Text zieht freundlich beharrend und zur Versöhnlichkeit einladend die Bilanz – „WÜNSCHEN SIE IHNEN / BON DIA GOOD LUCK“.

So ist ihr Werk, wie sie als Mensch war: bescheiden im Persönlichen, feinnervig im Ästhetischen, standfest in der Sache, aber friedliebend im Geist, auf verspielte Art hochgelehrt und nicht zuletzt sympathisch humorvoll. Wir werden sie sehr vermissen.

Kunststiftung NRW, Düsseldorf
Edition Korrespondenzen, Wien
Galerie m, Bochum
Lilienfeld Verlag, Düsseldorf
Museum DKM, Duisburg

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