Für FreikäuferDr. Ronny Maik Leder hat einen Traum. Den hat der 1977 geborene Geologe und Paläontologe, der von 2005 bis 2014 auch schon Sammlungsmanager der Geologisch-Paläontologischen Sammlung der Universität Leipzig war, schon seit 15 Jahren, wie er am Mittwoch, 9. August, bestätigt. Da stellte der Wissenschaftler, den die Leipziger 2016 zum neuen Direktor des Naturkundemuseums gewählt haben, seine Pläne fürs neue Haus vor: seinen Traum.

Mit dem Traum beeindruckte er die Auswahlkommission genauso wie den Stadtrat. Auch wenn er da noch knapp konturiert war. Aber seit 15 Jahre träume er ihn, sagt Leder, so lange beschäftige er sich schon mit dem Naturkundemuseum seiner Stadt, auch wenn er einen Großteil der vergangenen Jahre als Sammlungsmanager Paläontologie im Museum der Westlausitz in Kamenz verbrachte. Aber auch dort konnte er seine Sicht auf die Dinge schon eindrucksvoll umsetzen. Mit der von ihm gestalteten Sonderausstellung „Tropenparadies Lausitz? Klimawandel im Tertiär“ hatte er auch den Förderverein des Leipziger Naturkundemuseums tief beeindruckt.

Denn da wurde schon sichtbar, wie er Museummachen versteht. Und das hat mit trockenen Vitrinen und Erklärungstafeln nicht viel zu tun. Die Welt der Naturwissenschaften muss lebendig, erlebbar und zum Anfassen sein, ist seine Haltung. Und sie muss unterhalten. Was sie sogar besser kann als manch anderes Ausstellungsgut, denn Naturobjekte entzünden die Phantasie. Weltweit erfolgreiche Naturkundemuseen ziehen ein Millionen-Publikum an – und zwar nicht nur mit ausgestopften Mammuts und riesigen Saurierskeletten, sondern auch mit vielen kleinen Objekten, die – richtig aufbereitet – den Besucher in andere Epochen und Zeitschichten entführen,

Das funktioniere selbst mit dem Alten Haus am Goerdelerring, das trotz restriktiver Zugänge auf Zahlen von 46.000 Besuchern kommt. Dabei ist außer dem kleinen Sonderausstellungsbereich im Erdgeschoss der Rest des Hauses meist nur für angemeldete Gruppen zugänglich. Da der Umzug in die Halle 7 der Baumwollspinnerei beschlossen ist, muss sich Leder über das alte Naturkundemuseum keinen Kopf mehr machen. Er kann seine Vision von einem Leipziger Naturkundemuseum auf über 5.500 Quadratmeter Ausstellungsfläche in der Spinnerei verwirklichen. Das ist drei Mal mehr Ausstellungsfläche als im Alten Haus.

Das Naturkundemuseum - hier vom Goerdelerring aus gesehen. Foto: Ralf Julke
Das alte Naturkundemuseum – hier vom Goerdelerring aus gesehen. Foto: Ralf Julke

Am Mittwoch, 9. August, stellte er dafür sein Konzept vor, das auch schon die erste Raumplanung enthält. Eigentlich eine doppelte Raumplanung, denn mit seiner Nähe zu den Ateliers der Spinnerei, zum Kanal und den anderen Hotspots im Leipziger Westen ist das Museum von Anfang an auch Teil der „Westkultur“. Logisch, dass sich das neue Museum nicht am Westende des Spinnereigeländes versteckt, sondern dort eine richtige Schauseite und einen neuen, präsentablen Eingang bekommen soll. Einen, so Leder, der eines solchen Museums würdig ist.

Denn Leipzig habe eine der größten und wertvollsten Sammlungen deutscher Naturkundemuseen. Nur war davon nun seit Jahren nicht viel zu sehen. Die wertvollen Exponate lagern im Depot, die archäologische Sammlung kann gar nicht gezeigt werden. Die Biologielehrer strömen zwar mit ihren Klassen in das Museum, so oft es geht. Aber eine wirkliche Vorstellung, was für eine große und eindrucksvolle Sammlung das Museum besitzt, haben die Leipziger gar nicht mehr.

Aber es geht auch darum, dass Leipzig auch im Bereich der Naturwissenschaften endlich wieder den Platz einnehmen soll, der ihm zusteht. Ganz bewusst nennt Ronny Maik Leder das riesige Marketing zur Musikstadt Leipzig, die natürlich groß und berühmt ist. Aber dass Leipzig mal ein weltweit wahrgenommener Forschungsort der Naturwissenschaften war, ist ebenfalls vergessen. Er erinnert an die erste deutsche Tiefseeexpedition, die von Leipzig ausging. Der Leipziger Zoologe Carl Friedrich Chun hat sie organisiert.

Und da ist man schon mittendrin in Leders Visionen für das neue Museum, das in der Halle 7 drei komplette Etagen bespielt – das Erdgeschoss, das erste Geschoss und das (hochwassersichere) Kellergeschoss. Plus ein Stück im zweiten Obergeschoss. Im Keller werden zum Beispiel Magazine und Arbeitsräume der Mitarbeiter untergebracht. Es wird ein Schaumagazin geben und Möglichkeiten, den Wissenschaftlern bei der Arbeit zuzusehen. Und selbst die Ausstellung ragt bis in den Keller hinein. Denn das wird eine Besonderheit der neuen Ausstellung: Die Ausstellungsschwerpunkte reichen über mehrere Etagen und sind auch durch Treppen und Fahrstühle noch einmal extra verknüpft.

Spinnereigelände: Rechts reihen sich die Hallen 4, 5 und 6 auf - ganz hinten ragt die Halle 7 hervor. Archivfoto: Ralf Julke
Spinnereigelände: Rechts reihen sich die Hallen 4, 5 und 6 auf – ganz hinten ragt die Halle 7 hervor. Archivfoto: Ralf Julke

Es ist natürlich der Schwerpunkt „Valdivia“, der bis in den Keller reicht. „Valdivia“ hieß der ehemalige Postdampfer, mit dem Chun 1898 zur seiner Forschungsexpedition aufbrach. Und an der Faszination der Tiefsee hat sich bis heute nichts geändert.

Nur: Erlebbar war es für die Leipziger bisher nicht.

2020 soll sich das ändern. So lange wird es noch dauern. Augenblicklich wird ja die Außenhaut der Halle 7 für 700.000 Euro in Ordnung gebracht. Lofft und Tanztheater ziehen als erste ein in ihre beiden obersten Etagen. Sogar einen neuen Zugang soll es geben – einen gläsernen Vorbau mit einem Treppenhaus, der den separaten Zugang zu den Theatern ermöglichen soll.

2019 soll dann auch der Innenausbau für das Naturkundemuseum beginnen. Ronny Maik Leder kann es gar nicht erwarten. Das dauert ihm sichtlich alles sehr lange. Auch wenn er weiß, dass es ohne Beschlüsse und Planungen nicht geht. Das jetzt vorgelegte Konzept, zu dem er tatsächlich die vom Stadtrat beschlossenen neun Monate genutzt hat, soll im September Grundlage des Finanzierungsbeschlusses werden. Denn die alte Spinnereihalle wirklich zu einem modernen Museumsbau zu machen, wird rund 10,1 Millionen Euro kosten – 2,4 Millionen davon allein für die Einrichtung.

Das ist nicht viel, verglichen mit den Kosten, die man für einen Umbau des alten Naturkundemuseums am Goerdelerring berechnet hat, wo mindestens noch ein kompletter Anbau hätte entstehen müssen, um alle Sammlungen aufzunehmen. Denn die sind heute im Stadtgebiet verstreut. Auch das soll sich ändern. Die Magazinräume in der Halle 7 sollen so groß werden, dass sie auf Zuwachs ausgelegt sind. „Und die Sammlungen werden noch stark wachsen“, ist sich Leder sicher.

Dass er hochkarätigen Stoff für eine Ausstellung hat, die den Leipzigern zeigt, wie reich sie sind, da sieht er kein Problem. Es kommt eher darauf an, die Schätze so zu zeigen, dass sie auch die ganz besondere Leipziger Erd- und Wissenschaftsgeschichte sichtbar machen. Nicht nur mit Chuns Tiefseeexpedition.

Faszinierend sind ja auch all die paläontologischen Funde, die insbesondere in den Tagebauen der Region gemacht wurden, was dem Naturkundemuseum z. B. reiche Bestände an Funden aus der Eiszeit beschert hat, einer Zeit, in der auch die ersten Menschen in dieser Region auftauchten. Deswegen wird ein Thema die Besucher gleich am Eingang begrüßen: das Mammut von Borna. Einst ein sensationelles Ausstellungsstück, das im Grassi-Museum bewundert werden konnte, dann aber Opfer der Bomben wurde. Heute existieren nur noch ein paar verbrannte Knochen dieses Exponats. Trotzdem und gerade deshalb will Leder hier den Ausstellungskomplex zur Eiszeit anknüpfen. So wird auch sichtbar, wie gefährdet Museumsschätze sind, wenn Menschen Krieg führen.

Und ein dritter Ausstellungsschwerpunkt wird dem berühmten Tierpräparator Herman Heinrich Ter Meer gewidmet, von dem das Museum die weltweit größte Sammlung besitzt. Da werde man (auch über mehrere Etagen), eine plastische Ausstellung sehen, die man so noch nie gesehen hat, verspricht der Museumsdirektor.

Und im Umfeld dieser drei Säulen wird natürlich all das greifbar gemacht, was die Leipziger direkt vor der Nase haben: Geschichte und Reichtum der Auwaldgewässer, menschliche Kulturlandschaften, die Verwandlung der Region in ein großes tertiäres Meer, die Eiszeit und natürlich die Entwicklung menschlichen Wirtschaftens von der Bronzezeit bis heute.

Das alles erst skizzenhaft. Mehr verspricht Leder im September, wenn der Stadtrat über die Investition beschließen soll. Wie die Ausstellung wirken soll, das wisse er schon. Dazu habe er sich extra eine Leipziger Agentur ins Boot geholt, die ihm die Ausstellung schon einmal als „Virtual Reality“ gebaut habe.

Zwar hat er sich hochkarätige Berater geholt, die mit publikumswirksamer Naturwissenschaft schon gute Erfahrungen gemacht haben, aber auf keinen Fall werde er ein anderes Naturkundemuseum kopieren. Auch keines aus den USA. Leipzig solle einzigartig werden, so, wie es diese Sammlung verdient habe. Und als „Leuchtturm Mitteldeutschlands“ habe es sowieso eine unverwechselbare Naturgeschichte zu erzählen. Was auch Reisegruppen dazu animieren soll, extra für das neue Naturkundemuseum ab 2020 nach Leipzig zu kommen und einen Abstecher in die „scheinbar recht abgelegene Ecke“ von Leipzig zu machen.

Die dann vielleicht nicht mehr so abgelegen wirkt. Denn die Gespräche mit den LVB, hier eine gute ÖPNV-Verbindung zu schaffen, scheinen schon recht weit gediehen.

Und in einem ist er sich sicher: Wenn es erst mal in der neuen Qualität geöffnet sei, würde Leipzigs Naturkundemuseum ganz von allein das besucherstärkste Museum der Stadt werden. Denn: Naturwissenschaft fasziniert die Menschen. Erst recht, wenn sie erlebbar und anfassbar ist.

Jetzt braucht es noch die Zustimmung des Stadtrates im September.

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