Bis zur großen Netzreform 2001 gab es noch einige Linien, die Strecken befuhren, wo man heute eine regelmäßig verkehrende Straßenbahn zu Recht vermisst. Zu diesen Linien gehörte auch die damals noch durch die Zweinaundorfer Straße verkehrende Linie 8. Und das zu einem Zeitpunkt, als Leipzig wieder auf Bevölkerungswachstum umschaltete. Doch die Netzreform hat Denkblockaden ausgelöst, die bis heute gelten.

Nicht nur der Ökolöwe war verblüfft darüber, wie wenig sich das Bevölkerungswachstum im Entwurf zum neuen Nahverkehrsplan abbildete. An wirkliche Netzerweiterungen war – wenn man das so las – bis 2024 überhaupt nicht zu denken. Aber wie will die Stadt dann einen Anteil von 23 oder gar 25 Prozent ÖPNV am Gesamtverkehr erreichen, wenn das Angebot nicht wächst?

Der Ökolöwe machte das in einer entsprechenden Kritik am Nahverkehrsplan deutlich: „Notwendige Maßnahmen zur Erfüllung des beschlossenen Nachhaltigkeit-Szenarios sind nicht abgebildet. Es ist wenig wahrscheinlich, dass das Nachhaltigkeitsszenario Umsetzung finden wird, wenn sich Stadt und LVB bis 2024 nur auf Bestandserhalt und Reisezeitverkürzung konzentrieren. Bis 2030 hätte man danach nur 5 Jahre für den eigentlichen Netzausbau. Es ist unglaubwürdig zu behaupten, es wäre dann alles in der Zeit ab 2025 zu schaffen. Die Strategie, lediglich jene Baumaßnahmen zu forcieren, die den Einsatz von breiteren Fahrzeugen auf bestimmten Linien ermöglicht, um dadurch Kurse zu sparen, folgt noch dem ,ÖPNV-Vorrang-Szenario‘, das ganz offensichtlich diesem Entwurf des NVP zugrunde liegt. Dieses Szenario wurde jedoch klar abgewählt und stattdessen das Nachhaltigkeit-Szenario einstimmig beschlossen.“

Und nicht nur der Ökolöwe vermisste echte Angebote, die die neuen und alten Wohnquartiere wieder besser anbinden.

Auch der Bürgerverein Anger-Crottendorf fühlte sich irgendwie wie im falschen Film: „Nur 71 % der Bewohner/-innen Anger-Crottendorfs wohnen in einem Radius von 300 m um die nächstgelegene Haltestelle. Dies betrifft unter anderem das Wohngebiet um die Gregor-Fuchs-Straße. Auch im Zusammenhang mit dem Parkbogen Ost und dem Nachbarschaftszentrum ,Ostwache‘ ist eine bessere ÖPNV-Erschließung kurzfristig angezeigt. Zur Erfüllung der Erschließungs-Mindeststandards deshalb zu prüfen:

– Einrichtung eines Quartiersbusses zur Erschließung der Wohngebiete zwischen Gregor-Fuchs-Straße und Liselotte-Herrmann-Straße (Hanns-Eisler-Straße, Liselotte-Herrmann-Straße, Grüne Gasse),
– Änderung des Verlaufs der Buslinie 72 (oder 73),
– Erschließung des im B-Plan für das Gebiet zwischen Zweinaundorfer Straße und Theodor-Neubauer-Straße (westlich des Parkbogens) – „Crottendorfer Plan“ – vorgesehenen Wohn- und Gewerbegebiets; Prüfung der Linienführung, jeweils unter Berücksichtigung der straßenbaulichen Bedingungen, auch der Nebenstraßen.“

Die Begründung der Verwaltung, dass von all dem nichts passiert ist, machte dann eigentlich deutlich, wie die Verwaltung eigentlich die Nahverkehrsplanung denkt: Die meisten konkreten Änderungen sollen erst zum Gegenstand eines Untersuchungsauftrags werden.

So auch die Linienführung in Anger-Crottendorf: „Der NVP macht keine Vorgaben zur Linienführung einzelner Buslinien. Dies wird Gegenstand der Untersuchungsaufträge U1 zu Angebotsverbesserungen in schlecht erschlossenen Gebieten und U4 zur Optimierung des Gesamtnetzes Bus sein. Dabei werden auch die in der Stellungnahme vorgebrachten Anregungen zu untersuchen sein.“

Ein verblüffender Gedanke: Wie kann man einen Nahverkehrsplan beschließen, wenn man nicht einmal weiß, welche Gebiete wirklich schlecht erschlossen sind und welche Lösungen dafür auf der Hand liegen? Und das in einer Stadt, in der seit 2001 immer wieder über schlecht erschlossene Wohngebiete debattiert wird.

Auch die Grünen können diese Verschieberitis nicht akzeptieren. Denn anders als 2001, als sich die Zweinaundorfer Straße aus einer eben noch lebendigen Einkaufsstraße in ein trostlos abgehängtes Viertel verwandelte, hat sich Anger-Crottendorfer längst wieder gefüllt. 1999 war dort tatsächlich der Tiefpunkt der Bevölkerungsentwicklung, schon 2016 wurde der Bevölkerungsstand von 1991 wieder übertroffen. Über 11.000 Einwohner in diesem Gebiet – das sollte eigentlich auch wieder eine Straßenbahn in der Zweinaundorfer Straße möglich machen.

Und so beantragt die Grünen-Fraktion im Leipziger Stadtrat: „In den Nahverkehrsplan der Stadt Leipzig wird die Prüfung einer verbesserten Anbindung des Stadtteils Anger-Crottendorf an den ÖPNV durch Buslinienänderung bzw. -erweiterung aufgenommen, beispielsweise über die Gregor Fuchs Straße. Weiterhin ist zu prüfen, ob die Straßenbahntrasse über die Zweinaundorfer Straße nach Mölkau wieder in Betrieb genommen werden kann.“

Die Begründung ist dann ziemlich kompakt: „Der Stadtteil Anger Crottendorf ist bislang nur über die Breite Straße und die Zweinaundorfer Straße an den ÖPNV angeschlossen. Insbesondere der nördliche Teil Anger-Crottendorfs ist durch den ÖPNV kaum erschlossen. Der östlich angrenzende Stadtteil Mölkau klagt zudem über ein enormes Verkehrsaufkommen. Sowohl der Stadtbezirksbeirat Ost als auch der Bürgerverein Anger-Crottendorf fordern eine bessere Anbindung. Im Hinblick auf die Ziele des beschlossenen Nachhaltigkeitsszenarios, den Bedarfen der Anwohner/-innen und der Klimaschutzziele der Stadt Leipzig ist eine Erschließung Anger-Crottendorfs durch den ÖPNV geboten.“

Und noch eine Veränderung macht eine Straßenbahnanbindung hier eigentlich sinnvoll: Der S-Bahn-Haltepunkt Anger-Crottendorf, der hier eine direkte Anbindung ans Straßenbahnnetz bekommen könnte. Ein Synergieeffekt, der im S-Bahn-Netz immer noch viel zu selten genutzt wird.

Haltestelle Hauptbahnhof entlasten, mehr Bahnen über den Westring fahren lassen

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