Wahrscheinlich kommt die Anfrage der Grünen zum Biotopverbund in Leipzig zu früh. Vielleicht auch gerade noch rechtzeitig, um Teil des Auenentwicklungskonzepts zu werden, das bis 2023 im Projekt „Lebendige Luppe“ Gestalt annehmen soll. Und dazu gehört nicht nur offene Überschwemmungsfläche in der Nordwestaue, sondern logischerweise auch wieder mehr Platz für den dezimierten Auenwald.

„Leipzig hat sich das Ziel gesetzt den Anteil der Waldfläche am Stadtgebiete mittelfristig auf 10 % zu erhöhen“, schreiben die Grünen in ihrer Anfrage. „Aktuell ist nicht ersichtlich, wie dies bis 2030 gelingen soll.“Die Frage ist keineswegs nur eine für die Zukunft, denn seit Jahren schon wird in Leipzig wieder gebaut und verschwinden damit hektarweise entstandene Brachen und grüne Biotope. Und das in der Regel ohne ausreichenden Ausgleich im Stadtgebiet, weil dafür schlicht die Flächen fehlen.

Mittlerweile bezweifeln mehrere Stadtratsfraktionen auch, ob die Aussagen der Stadt zu den notwendigen Ersatzmaßnahmen für Baumfällungen und Entholzungen (wie derzeit auf der kleinen Parkanlage am Wilhelm-Leuschner-Platz) überhaupt belastbar sind. Denn würden sie zutreffen, müsste irgendwo im Stadtgebiet deutlich mehr neuer Wald entstehen.

Ein geeigneter Standort ist natürlich die Elsteraue, in der auch schon Wald wuchs, bevor die Menschen darangingen, diese Aue zu bewirtschaften, Nutzholzwälder anzulegen oder große Weideflächen und Felder. Wer die Luppeaue im Nordwesten besucht, sieht, dass hier mitten in der Aue intensive Landwirtschaft betrieben wird.

Und das in einem Gebiet, das noch vor 100 Jahren von Wasserläufen und Nebenarmen der Luppe durchzogen war und dessen Freiflächen nur als Weide genutzt wurden. Deswegen heißt das Gebiet ja auch Pfingstweide. Dass es einmal feucht gewesen sein könnte, ahnt man nicht einmal mehr.

Hier, so finden die Grünen, wäre eigentlich der ideale Standort, wieder neuen (Auen-)Wald wachsen zu lassen. Und gleichzeitig würde man hier etwas Entscheidendes für die Gewässerökologie tun können, wenn das Einbringen von Dünger hier aufhören würde. Das steckt genauso in dem kleinen Fragepaket der Grünen-Fraktion wie die seit Jahren ebenso unbeantwortete Frage, wie Leipzig eigentlich den Biotopverbund im Stadtgebiet wieder herstellen will.

Biotopverbund bedeutet, dass all die oft in Insellage verstreut liegenden Schutzgebiete mit ihren wertvollen Biotopen wieder miteinander verbunden werden, damit die darin lebenden Tiere wieder eine Chance bekommen, auch ins Nachbarbiotop zu wechseln. Hier geht es um genetische Vielfalt und zusammenhängende Lebensräume. Und die Leipziger Nordwestaue ist ganz natürlich Teil eines ganzen Biotopgürtels, der sich von der Mündung der Weißen Elster in die Saale über das Leipziger Stadtgebiet nach Süden hinaus erstreckt, auch wenn er heute noch überall Löcher und verbaute Areale hat.

Für das sächsische Umweltministerium ist der komplette Verlauf der Weißen Elster auf sächsischem Territorium Inhalt eines Auenentwicklungsprogramms, bei dem die natürliche Vielfalt der alten Auen wiedergewonnen wird. Dazu müssen künftig nicht nur die Leipziger Akteure an einen Tisch, sondern auch sämtliche Kommunen am Elsterlauf südlich von Leipzig. Wobei die „Betonelster“ wohl das schwierigste Revitalisierungsprojekt werden wird. Umweltminister Wolfram Günther rechnet sowieso damit, dass dieses Projekt den Freistaat weit über das Jahr 2030 hinaus beschäftigen wird.

In Leipzig freilich muss die Auenrevitalisierung viel früher begonnen werden. Denn spätestens 2026 muss die Stadt wirkliche Fortschritte zur Einhaltung der europäischen Wasserrahmenrichtlinie vorweisen können. Dazu gehört nicht nur die Reinigung der Brühe, die in Leipzig über die Noten 4 und 5 nicht hinauskommt (was nur Flüsse in einem natürlichen Fließbett schaffen), sondern auch die Beseitigung von Sperrwerken und die Öffnung der natürlichen Flusssysteme in der Aue, die Grundbedingung für die biologische Vielfalt einer Auenlandschaft sind.

Da genügt nicht, die noch irgendwie denkmalgeschützten Reste der einstigen Hartholzaue zu zählen. Die Ziele der Wasserrahmenrichtlinie werden erst erreicht, wenn sich das Flusssystem in der Aue wieder nachhaltig und ohne ständige menschliche Eingriffe entwickeln kann.

Da wäre das Ende der heutigen intensiven Landwirtschaft in der Aue einer der ersten zu gehenden Schritte. Der dann auch im Auenentwicklungskonzept auftauchen müsste, wenn die Revitalisierung der Luppe tatsächlich ernst gemeint ist.

Was es übrigens bedeuten würde, wenn Leipzig seine Waldfläche auf 10 Prozent des Stadtgebietes ausweiten wollte, steckt in dieser Information des Umweltdezernats: „Während die Fläche des Waldes im Freistaat Sachsen circa 27 Prozent des Gesamtterritoriums einnimmt, beträgt sie mit 2.424 Hektar (Stadt-, Privat-, Kirchen- und Landeswald) per 01.01.2012 im Gebiet der Kreisfreien Stadt Leipzig nur sieben Prozent.“

Leipzig müsste also im Stadtgebiet rund 1.000 Hektar neue Waldfläche anlegen. Da bleiben nicht wirklich viele Gebiete übrig, wo das möglich wäre.

Die Fragen der Grünen in der Übersicht:

1. Welche Zielstellung verfolgt die Stadtverwaltung, um den Waldanteil am Stadtgebiet zu erhöhen?

2. Wie schätzt die Stadt vor diesem Hintergrund die Überlegung ein, landwirtschaftliche Flächen in der nordwestlichen Aue wieder zu renaturieren und dadurch wieder ins Ökosystem Wald einzufügen.

3. Was plant die Stadt, um den Biotopverbund zwischen nördlichen und südlichen Auenwald, insbesondere zwischen Hans-Driesch-Str. und Jahnallee zu stärken.

4. Welches Konzept verfolgt die Stadt, um den Anteil von Grün- und Waldflächen und damit vor allen Dingen Bäumen im Stadtgebiet deutlich zu erhöhen?

5. Wo sieht die Stadt weitere Ausgleichsfläche, um Eingriffe in den Naturhaushalt auszugleichen?

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Es gibt 3 Kommentare

stimme J. zu, auch wenn ich evtl. für etwas mehr Wald plädieren würde; extrem wichtig die dynamischen Wechsel Wald und Wiese (und nicht wie gewohnt als harte Kanten), das wäre dann auch perfekt für die Stieleiche. Sinnvolle Eichenförderung in natürlich-/naturnahen Auensystemen anstelle sinnloser Eichenplantagen nach vorheriger Zerstörung von Waldökosystemen…

Ja, an der intensiven Landwirtschaft muss sich was ändern, das ist klar.

Allerdings ist diese Aussage so nicht korrekt:

“2. Wie schätzt die Stadt vor diesem Hintergrund die Überlegung ein, landwirtschaftliche Flächen in der nordwestlichen Aue wieder zu renaturieren und dadurch wieder ins Ökosystem Wald einzufügen.”

Die landwirtschaftlichen Flächen im FFH-Gebiet “Leipziger Auensystem” sind weitestgehend ehemalige (Feucht)wiesenstandorte. Also wenn man diese Flächen wieder naturnäher haben möchte, würden sie nicht zurück in das Ökosystem Wald eingefügt werden, sondern ein alter Wiesenstandort würde gezielt in Wald umgewandelt werden.

An dieser Stelle sei auch angemerkt, dass eben solche Feuchtwiesen, so sie extensiv bewirtschaftet werden, extrem seltene Lebensräume mit einer ganz eigenen besonderen Artenvielfalt wären. Einige wenige solcher Feuchtwiesen gibt es auch noch im FFH-Gebiet.

Ich zitiere mal aus dem Managementplan:

“Schutzzweck: alle im Gebiet vorkommenden Lebensräume von gemeinschaftlicher Bedeutung gemäß Anhang I der FFH-Richtlinie, vor allem:
Eutrophe Stillgewässer (LRT 3150), Fließgewässer mit Unterwasservegetation (LRT 3260), Feuchte Hochstaudenfluren (LRT 6430), Brenndolden-Auenwiesen (LRT 6440), Flachland-Mähwiesen (LRT 6510), Sternmieren-Eichen-Hainbuchenwälder (LRT 9160), Erlen-Eschen- und Weichholzauenwälder (LRT 91E0), Hartholz-Auenwälder (LRT 91F0)
sowie aller vorkommenden Populationen von Arten gemeinschaftlichen Interesses gemäß Anhang II und IV der FFH-Richtlinie, vor allem:
Biber (Castor fiber), Mopsfledermaus (Barbastella barbastellus), Rotbauchunke (Bombina bombina), Kammmolch (Triturus cristatus), Eremit (Osmoderma eremita), Kleiner Maivogel (Euphydryas maturna), Dunkler Wiesenknopf-Ameisenbläuling (Glaucopsyche nausithous), Heller Wiesenknopf-Ameisenbläuling (Glaucopsyche teleius), Grüne Keiljungfer (Ophiogomphus cecilia)”

Wiesenhabitate im FFH-Gebiet sind also: Feuchte Hochstaudenfluren (LRT 6430), Brenndolden-Auenwiesen (LRT 6440), Flachland-Mähwiesen (LRT 6510)

Bedrohte und zu schützende Wiesenbewohner im FFH-Gebiet sind: Dunkler Wiesenknopf-Ameisenbläuling (Glaucopsyche nausithous), Heller Wiesenknopf-Ameisenbläuling (Glaucopsyche teleius)

Es wäre also besser, hier nicht nur eine Renaturierung/Revitalisierung mit pauschal mehr Wald zu fordern, sondern auch Wiesenhabitate, da wir es bei solchen Flächen ja auch mit ehemaligen artenreichen Wiesenhabitaten zu tun haben. Solche Wiesenhabitate können sogar weiterhin landwirtschaftlich bewirtschaftet werden, aber extensiv. Achtung: die meisten Beweidungsprojekte in Leipzig, die es schon gibt, sind viel zu intensiv, dies wäre hier also besser zu machen und zu vermeiden.

Vielleicht wäre es sogar gut, auf solchen Flächen Wald und Wiese dynamisch mit weichen Grenzen zuzulassen.

Ich meine auch dazu was von diesem Prof. Gerken mal gelesen zu haben, der hatte hier schon mal was dazu geschrieben vor langer Zeit, v.a. in Bezug auf Weidetiere.

Zur Aue bzw. ehemaligen Aue: Die intensive landwirtschaftliche Nutzung (Acker) im Bereich des Pfingstangers muss dringend beendet werden, völlig klar (und auch nicht neu diese Forderung): Redynamisierung des Wasserhaushaltes inkl. Rückbau der Deichanlagen, dynamische Fließe, Raum für natürliche Waldentwicklung, Stromtalwiesen usw… Hierfür muss nicht nur ein naturschutzfachliches, sondern auch ein REALISIERUNGS-Konzept gefordert werden. Dazu muss auch nicht das Ende des Auenentwicklungskonzeptes abgewartet werden. Die Fragen der Grünen sind ja ok (auch wenn klar ist, dass die Antworten der Verwaltung sehr ausweichend ausfallen werden), aber dann muss auch ein konkreter Antrag folgen!

Zur Innenstadt: Die Grünverluste werden in der Realität i.d.R. nie kompensiert. Eingriffs-Ausgleichsbilanzierungen werden als Gefälligkeitsgutachten “geschönt” (sprich gefälscht) und artenschutzrechtliche Sachverhalte ignoriert. “Die Vögel können in ungestörte Bereiche ausweichen”, solche Unsinnsbehauptungen gehen bei den Behörden offensichtlich durch bzw. werden sogar aktiv befördert.
Der Erhalt von Grünflächen in der Stadt wird für das blanke Überleben der Menschen im Klimawandel zwingend sein. Ich sehe allerdings nicht, dass das wirklich gefordert wird. So müssten Teile des Leuschnerplatzes parkartig bleiben (keine Gehölzfällungen) und werden (Entsiegelungen), Platz für eine Markthalle (die tatsächlich auch als ökologisches Vorzeigeprojekt mit diversen Begrünungen konzipiert werden könnte) wäre dennoch vorhanden. Wir werden sehen, welche konkreten Forderungen von den Stadträt*innen tatsächlich kommen. Und die geplante Bebauung am Klucksgraben geht gar nicht, das wäre ein besonderer Klimakiller. Mal schauen was da an Forderungen kommt. Ach ja, und auch die Zukunft der Kleinmesse ist ja noch offen. Es muss rangegangen werden an das ach so gepriesene Konzept der doppelten Innenverdichtung, das ist nicht zukunftstauglich.

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