Die Versäumnisse holen Leipzig alle wieder ein. Auch die nicht verschuldeten. Denn dass Leipzig sein Investitionsprogramm für Straßen und Brücken bis 2020 nicht geschafft hat, hat viele Gründe – fehlende Planer waren einer, fehlende Fördergelder ein anderer. Fehlende Baukapazitäten haben es verschärft. Aber manchmal fehlte auch einfach der Wille, was beim Leipziger Radnetz besonders eklatant sichtbar wird. Selbst in scheinbar abgelegenen Ortschaften wie Thekla und Heiterblick.

Im Stadtbezirksbeirat Nordost war man sich sehr wohl klar, dass die Anwohner der Wodanstraße dieselben Probleme haben wie die Anwohner von hunderten anderen Straßen im Leipziger Stadtgebiet auch. Die Wodanstraße ist sogar fester Bestandteil im HauptnetzRad. Aber die meisten Anwohner verzichten lieber darauf, mit dem Rad auf dieser Straße zum Supermarkt oder zur S-Bahn-Haltestelle Heiterblick zu fahren. Dazu ist hier viel zu viel motorisierter Durchgangsverkehr. Separate Rad- oder Fußwege aber fehlen vollkommen.Weshalb der Stadtbezirksbeirat im ersten Antrag den Bau eines Radweges forderte. In einem geänderten Antrag verzichtete man auf diese Maximalforderung, sondern beantragte nur die Planung dafür und mögliche kurzfristige Maßnahmen. Wie sehr dem Stadtbezirksbeirat Nordost freilich die Verweigerungshaltung der Stadt dabei sauer aufstieß, wird im Protokoll der Beiratssitzung Anfang Januar deutlich: „Wann kann die Wodanstr. auf der Prioritätenliste d. Mobilitätsstrategie nach vorne rücken? Wenn die Stadträte davon überzeugt werden!!! (Unter der Gesamtbetrachtung von ca. 1.700 Straßen im Stadtgebiet.)“, kann man da lesen.

Ein Straßennetz im Investitionsstau

Das darf man zu Recht einen Investitionsstau nennen, der eben auch darauf hindeutet, wie sehr Leipzig mit seiner eigenen schwachen Steuerbasis seit Jahren, eigentlich Jahrzehnten unterfinanziert ist. Für all die kleinen Seiten- und Nebenstraßen fehlen Geld und Kapazitäten – seit 2012 erst recht, als endlich die Notwendigkeit auf die Tagesordnung kam, die Stadt für Radfahrer/-innen sicherzumachen.

Und Tina Trompter (CDU), die für den Stadtbezirksbeirat den Antrag vorstellte, wies zu Recht darauf hin, dass es eigentlich unzumutbar ist, wenn man auf einer solchen kurvenreichen Straße nicht ohne Gefahr für Leib und Leben zum Einkaufen oder zur S-Bahn fahren kann.

Es sind genau solche ungeklärten Zustände, die dem Autoverkehr im ganzen Stadtgebiet weiterhin volle Priorität einräumen und tausende Leipziger/-innen daran hindern, für ihre täglichen Wege das Fahrrad zu nehmen.

Abgestimmt aber wurde dann am 9. Februar in der Ratsversammlung nicht der Antrag aus dem Stadtbezirksbeirat. Denn auch den Stadträt/-innen ist klar, dass sie das Problem des Investitionsstaus nicht auflösen können, wenn sie jedes einzelne Projekt für sich abstimmen. Wenn es um 1.700 Straßen im Stadtgebiet geht, ist klar, dass es eine Prioritätenliste geben muss, die die anzupackenden Straßen(umbau)projekte nach ihrer Dringlichkeit sortiert.

Und diese Prioritätenliste muss noch im Jahr 2022 mit Bürgerbeteiligung erstellt werden, betonte Linke-Stadträtin Franziska Riekewald in ihrem Redebeitrag. Da werden sich mit Gewissheit auch noch andere Ortsteile mit dringenden Hilferufen zu Wort melden.

Und so formulierten es Linksfraktion und Grünenfraktion auch in ihrem gemeinsamen Änderungsantrag: „Auf der Wodanstraße liegt nach dem HauptnetzRad die Verbindungsstufe IR IV, in der Folge steht eine Einordnung der Wodanstraße spätestens zur Fortschreibung des Radverkehrsentwicklungsplanes an. Die vom Antragsteller ausgeführte problematische Situation der Wodanstraße ist unstrittig. Gleichwohl ist die Notwendigkeit von Priorisierungen für Straßenbaumaßnahmen im gesamten Stadtgebiet nachvollziehbar.

Um den Anwohner/-innen eine Perspektive zu geben, sollte eine verbindliche Zeitschiene für die grundhafte Sanierung und ggf. verkehrliche Neuordnung der Wodanstraße im Rahmen der Mobilitätsstrategie vorgelegt werden. Zugleich sollten kurzfristig wirksame Maßnahmen wie z. B. eine Einschränkung der Befahrbarkeit für bestimmte Fahrzeugklassen, Fahrbahnschwellen o. a. entwickelt werden, mit denen die Verkehrssicherheit erhöht werden kann.“

Die Verwaltung hatte den Antrag aus dem Stadtbezirksbeirat Nordost vorher grundsätzlich abgelehnt.

Ohne Umbau wird die Straße nicht sicher

„Eine sichere Führung des Rad- und Fußverkehrs kann aus den genannten Gründen nur mit baulichen Mitteln gewährleistet werden. Hierzu muss jedoch die gesamte Wodanstraße geplant, Grunderwerb getätigt und die Straße insgesamt ausgebaut werden. Die zeitliche Einordnung kann nur über die im Verfahren befindliche Fachplanung für die Priorisierung der Verkehrsinfrastruktur und dann die jeweiligen Haushaltsbeschlüsse erfolgen“, hieß es darin.

„Insgesamt werden die Anliegen in der Wodanstraße sehr ernst genommen, es sind jedoch aufgrund der Fülle von berechtigten Anliegen zur Verbesserung der Sicherheit des Fuß- und Radverkehrs sowie des Straßenbaus Abwägungen vorzunehmen. Dabei konnte die Wodanstraße bislang leider noch nicht berücksichtigt werden.“

Tempo 30 sei sowieso schon verhängt worden. Und: „Im Umfeld befindet sich jedoch die Planung der Radverkehrsanlage ‚Radwegeverbindung Portitz (Krätzbergstraße) – S-Bahnhaltepunkt Heiterblick‘ auf der östlichen Seite der Wodanstraße in Richtung A 14 auf einem guten Weg. Hier kann mit einem relativ kurzen Neubauabschnitt eines Geh-/Radweges für viele Menschen eine deutliche Verbesserung in der Anbindung der östlich der A 14 gelegenen Wohngebiete an das Gewerbegebiet Heiterblick mit dem Rad oder zu Fuß erreicht werden. Auch die Anbindung von der Eichbergstraße in Richtung Schneeberger Straße mit einem Geh-/Radweg wird gegenwärtig geplant und soll bis 2022 realisiert werden.“

Aus Sicht von Tina Trompter aber ist das ein riesiger und eigentlich unzumutbarer Umweg. Und die Sichtweise erzählt davon, dass Leipzigs Verkehrsplanung noch immer im Denken des 20. Jahrhunderts steckt, das Straßen prioritär dem Kfz-Verkehr zuschreibt und Maßnahmen für Radfahrer und Fußgänger immer nur als zusätzliche Maßnahmen, die den Kfz-Verkehr dann einschränken.

Kann das die Sichtweise für das 21. Jahrhundert und die Mobilitätswende sein? Eigentlich nicht. Kein Wunder, dass Tina Trompter sehr emotional sprach. Denn eigentlich kann man diese Zurücksetzung der umweltfreundlichen Verkehrsarten nicht mehr wirklich verstehen.

Klarheit bitte bis zum Spätsommer

Der Änderungsantrag von Grünen und Linke war vor diesem Hintergrund ein Kompromiss. „Die Verwaltung wird beauftragt, bis zum III. Quartal 2022 a) Die Zeitschiene für Planung und Bau einer grundhaften Sanierung und ggf. verkehrlichen Neuordnung der Wodanstraße einschließlich einer Radwegverbindung im Rahmen der Mobilitätsstrategie einzuordnen, und b) Maßnahmen für eine kurzfristige Erhöhung der Verkehrssicherheit, insbesondere für den Fuß- und Radverkehr, zu entwickeln und dem Stadtrat vorzulegen.“

Die Prioritätenliste ist überfällig. Denn dann erfahren auch Menschen, die ihre Wege gern mit dem Rad zurücklegen wollen, wann „ihre“ Straße endlich auch fürs Radfahren zur Verfügung steht.

Da dieser Änderungsantrag von Linken und Grünen abgestimmt wurde und mit 49:8 Stimmen bei 9 Enthaltungen eine deutliche Mehrheit bekam, gilt das jetzt auch so. Und es dürfte eine rege Diskussion geben, wie sich die Prioritätenliste in diesem Jahr endlich zusammensetzen wird.

Die Debatte vom 9. Februar 2022

Video: Livestream der Stadt Leipzig

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