Am Ende gab es das von Burkhard Jung gewünschte starke Ergebnis zum Leipziger Freiheits- und Einheitsdenkmal in der Ratsversammlung am 16. Juni. Er konnte mit gestärktem Rücken nach Berlin fahren. Und der künftige Standort für das Denkmal ist jetzt klar: der Wilhelm-Leuschner-Platz. Genauso wie der künstlerische Prozess. Scheinbar alles wie vor 13 Jahren. Aber auch Verwaltungen und Ratsversammlungen lernen dazu.

Oder auch einmal so formuliert: Demokratie macht sichtbar und aushaltbar, dass Menschen Fehler begehen. Auch große Menschengruppen. Auch Ratsversammlungen und Bürgerschaften.

Wünscht die Bevölkerung ein Denkmal?

Deswegen kam es am 16. Juni überhaupt nicht gut an, dass die AfD-Fraktion ausgerechnet in dieser Situation, wo erstmals wirklich ein sinnvoller Verfahrensvorschlag auf dem Tisch liegt, mit der Forderung nach einem Bürgerentscheid um die Ecke kam. Von Christian Kriegel gern als „direkte Demokratie“ bezeichnet, obwohl das Instrument in der Politik der AfD meistens dann herausgekramt wird, wenn die legitimen Entscheidungen demokratisch gewählter Gremien infrage gestellt werden sollen. Und damit diese Gremien selbst.

Und in diesem Fall argumentierte er auch noch mit einer Falschinformation, dass die Leipziger/-innen überhaupt nie gefragt wurden, ob sie denn nun ein Freiheits- und Einheitsdenkmal haben wollen. Natürlich hätte man sich gewünscht, dass das 2020 oder 2021 noch einmal in der Bürgerumfrage ergründet worden wäre.

Aber die Stiftung Friedliche Revolution hat 2019 zumindest eine repräsentative Umfrage beauftragt. Mit dem Ergebnis, dass 79 Prozent der Leipziger/-innen tatsächlich so ein Denkmal wollen.

Endlich künstlerische Freiheit für die teilnehmenden Künstler

Und die meisten werden natürlich genauso unterschiedliche Sichtweisen haben, wie sie in der lebhaften Debatte am 16. Juni geäußert wurden. Muss es denn der Wilhelm-Leuschner-Platz sein? Soll die Friedliche Revolution im Zentrum stehen oder das Denkmal eine viel größere Botschaft verkünden?

Übrigens ein Punkt, den mehrere Redner/-innen sehr pointiert benannten. SPD-Stadtrat Christian Schulte zum Beispiel, der sagte: „Besonders wichtig ist mir, dass konkret festgelegt wurde, dass natürlich künstlerische Bezüge zu anderen Orten der Friedlichen Revolution hergestellt werden sollen, können, vielleicht sogar müssen. – Also nur Mut, liebe Kolleginnen und Kollegen. Es geht nicht um ein Denkmal im herkömmlichen Sinne. Wir reden nicht über große Steinkolosse, seien es Reiterstandbilder, wie der Alte Fritz unter den Linden in Berlin, oder irgendwelche Siegessäulen oder Ähnliches.“

Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke bringt die Vorlage zum Denkmalwettbewerb ein. Foto: Livestream der Stadt Leipzig, Screenshot: LZ
Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke bringt die Vorlage zum Denkmalwettbewerb ein. Foto: Livestream der Stadt Leipzig, Screenshot: LZ

Oder CDU-Stadtrat Michael Weickert, der daran erinnerte, dass es eben kein Denkmal für 600.000 Leipziger werden soll, sondern eines für 80 Millionen, ein Nationaldenkmal. Denn es steht für das zweite historische Ereignis, bei dem Leipzig am Beginn für eine neue deutsche Einheit stand.

Das andere Ereignis war die Völkerschlacht von 1813, auch wenn der Einigungsprozess danach noch fast 60 Jahre dauerte. 1989 ging das schneller. Man kann es – mit Weickert – als Patriot sehen und die Vollendung der Einheit als wesentlichen Knackpunkt. Die – so betonte er in seiner launigen Rede ja – auch noch nicht vollendet ist. Die Risse zwischen Ost und West sind immer noch da und einige Leute tun alles, um die so schwer errungene Demokratie wieder zu gefährden.

Demokratie ist also auch immer etwas Doppeltes: etwas schwer Errungenes und etwas durch radikale Kräfte immer wieder Gefährdetes.

Herzenssache und Inspiration

Und wahrscheinlich lag Piraten-Stadträtin Ute Elisabeth Gabelmann diesmal wirklich falsch, als sie meinte, für die Leipziger/-innen wäre das vielleicht doch kein Herzensdenkmal. Denn im Grunde widersprach ihr da schon postwendend Fraktionskollege Sascha Matzke, der so ein Denkmal ebenfalls nicht als Erinnerungsmal für vergangene Ereignisse sieht, sondern als Inspiration – nicht nur für Deutsche, sondern für die Welt: Dass es sich nämlich immer lohnt, gegen repressive Regime die Initiative zu ergreifen.

Die Künstler und Künstlerinnen, die jetzt tatsächlich eine künstlerisch gelungene Denkmalsidee für Leipzig entwickeln sollen, haben in dieser Debatte also richtig Futter bekommen, was sie sich trauen sollten.

Und zur Wahrheit gehört eben auch, dass der erste Denkmalsprozess, der 2009 gestartet wurde und 2014 damit endete, dass der Stadtrat das erste Verfahren aufhob, nicht durch fehlende Bürgerbeteiligung gescheitert ist.

Er ist durch die – am Stadtrat vorbei – festgelegten Wettbewerbsbedingungen gescheitert. Die erste war – und da korrigierte sich auch OBM Burkhard Jung jetzt deutlich – dass der Denkmalentwurf gleich mit der Komplettgestaltung des Wilhelm-Leuschner-Platzes verkittet worden war. Das musste schiefgehen und ist auch gründlich schiefgegangen. Spätestens als eine Leipziger Lokalzeitung daranging, auch noch den Siegerentwurf zu torpedieren und ihren aufgeregten Lesern einredete, der Leuschner-Platz müsste zur Apfelbaumplantage werden.

Was damals übrigens auch zeigte, wie leicht manipulierbar eine scheinbare Mehrheit in der Bürgergesellschaft ist.

Künstler brauchen freie Hand

Der zweite Fehler stand ebenso in der Ausschreibung: Die teilnehmenden Künstler sollten möglichst alle klassischen künstlerischen Formensprachen vermeiden. Eine völlig unsinnige und einengende Bedingung, die eben genau das erreichte: Die Entwürfe waren am Ende ohne Beipackzettel nicht wirklich aussagekräftig.

Und die Künstler durften genau das nicht, was den Kern eines guten Denkmals ausmacht: ihrem künstlerischen Gefühl vertrauen, wie man so ein Objekt zum Sprechen bringen kann. Und zwar ohne Erklärtafeln und lesbar für all die künftigen Generationen, für die dieses Denkmal nämlich entstehen soll.

Was dann im Grunde auch Kern des Änderungsantrages der Grünen-Fraktion war, drei wichtige Dinge jetzt miteinander zu verzahnen: den Bebauungsplan für den Wilhelm-Leuschner-Platz, den Wettbewerb zur Freiflächengestaltung, der jetzt der Juryentscheidung zum Denkmal vorgelagert wird, und den Denkmalwettbewerb als Punkt drei.

Denn wenn die Bebauungskulisse des Platzes und die Gestaltung der Freiflächen nicht klar ist, hängen die Künstler wieder in der Luft. Ein Denkmal steht nämlich immer im Dialog mit seiner Umgebung. Ist es ein großer leerer Raum (wie es der Wilhelm-Leuschner-Platz heute noch ist)? Dominieren hohe Gebäude den Hintergrund? Steht da eine einladende Parkanlage, toben da Kinder auf einem Spielplatz?

All das muss vorher geklärt werden. Und so übernahm es OBM Burkhard Jung auch in die Vorlage, die dann am 16. Juni zur Abstimmung stand. Die legt jetzt tatsächlich den Wilhelm-Leuschner-Platz als Standort für das Denkmal fest. Und sie bestätigt die von der Stiftung Friedliche Revolution vorgeschlagene Konzeption zum Wettbewerbsverfahren.

Grundsteinlegung nun im Oktober 2024

Der eigentliche künstlerische Wettbewerb soll jetzt 2024 stattfinden. Im Sommer 2024 dürften wir den Siegerentwurf kennenlernen. Und am 9. Oktober 2024 möchte OBM Burkhard Jung gern den Grundstein für das Denkmal legen – statt zum 25. nun zum 35. Jahrestag der Friedlichen Revolution.

Und noch einen kleinen – am 16. Juni nicht diskutierten – Hinweis enthält die Vorlage: „Das Artenvielfaltskonzept ist noch in Bearbeitung. Erst wenn dieses vollständig vorliegt, lassen sich daraus Flächen ableiten, die für ein zukünftiges Denkmal nicht zur Verfügung stehen könnten.“

Denn eines ist nach den vielen Diskussionen um die Fläche östlich des eigentlichen Wilhelm-Leuschner-Platzes klar: Die großflächigen Baumfällungen auf dieser Seite brauchen dringend eine Kompensation. Und zwar nicht irgendwo am Stadtrand, sondern auf den Wilhelm-Leuschner-Platz-Flächen, die jetzt noch kahl sind. Sie werden zwingend Bäume und Büsche erhalten müssen, um den Artenverlust wenigstens ein bisschen auszugleichen.

Was es eben auch wahrscheinlich macht, dass das Denkmal dann im Grünen steht.

Dass das so durchschaubare Ansinnen der AfD-Fraktion für einen Bürgerentscheid, der die Sache noch einmal verzögert hätte, keine Mehrheit bekam, war dann schon folgerichtig: Er ging mit 8:46:1 Stimmen unter.

Während die Vorlage, die Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke vorgestellt hatte, die um den Änderungsantrag der Grünen ergänzt wurde, mit 37:8:9 Stimmen ein deutliches Votum bekam.

36 Künstler/-innen werden zum Wettbewerb eingeladen

Und entsprechend erleichtert war man dann auch bei der Stiftung Friedliche Revolution, die jetzt darangehen kann, die nächsten Wettbewerbsschritte anzupacken.

Die Stiftung begrüßte ausdrücklich das Votum und dankte für das darin zum Ausdruck kommende Vertrauen in ihre Arbeit.

„Die Stadtvertreter/-innen bestätigten ebenfalls das von einem Expert/-innenrat vorgelegte Verfahren zum Wettbewerb um die Gestaltung des zukünftigen Denkmals. Die Stiftung Friedliche Revolution soll in einem nächsten Schritt das Verfahren koordinieren und federführend durchführen. 24 Teilnehmer/-innen sollen die Möglichkeit bekommen, sich in einem offenen Verfahren um die Gestaltung zu bewerben, 12 werden dann in einem geschlossenen Verfahren eingeladen“, formuliert die Stiftung den nächsten Weg.

Das Votum für die Errichtung eines Freiheits- und Einheitsdenkmal sei auch ein Signal nach Berlin, dass Leipzig das Vorhaben vorantreibt und damit die Hoffnung verbindet, dass der Bund nunmehr die finanziellen Mittel für das Denkmal im Bundeshaushalt einplant.

„Wenn alles klappt, wird zwei Jahre nach Eröffnung des Berliner Freiheits- und Einheitsdenkmals im Oktober 2022 die ‚Grundsteinlegung‘ für das Freiheits- und Einheitsdenkmal in Leipzig folgen“, sagt der Vorstandsvorsitzende der Stiftung Friedliche Revolution, Prof. Dr. Rainer Vor.

Informations- und Gesprächsabend am Donnerstag

Am heutigen Donnerstag, 23. Juni, findet ab 18 Uhr ein Informations- und Gesprächsabend zum aktuellen Stand Freiheits- und Einheitsdenkmal in der Denkmal-Werkstatt in Leipzig, Kupfergasse 2, statt.

Die Stiftung Friedliche Revolution informiert auch im Internet und auf Instagram über das geplante Denkmal und den aktuellen Stand. Die DenkmalWerkstatt befindet sich in der Kupfergasse 2, 04109 Leipzig. Der Raum ist derzeit montags bis donnerstags jeweils von 14 bis 18 Uhr geöffnet.

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