Mitte der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts reiften erste Pläne zu einer ökonomischen Nutzung der zukünftigen Tagebaurestlöcher. Hintergrund war die Stilllegung der Tagebaue rund um Leipzig nach der Wende. Verantwortlich für die Sanierungsarbeiten war (und ist) die LMBV GmbH, ein Tochterunternehmen der BRD und „Schwester“ der damaligen Treuhandanstalt. Es sollten jedoch nicht nur die Tagebaurestlöcher saniert, sondern auch Arbeitsplätze geschaffen werden.

Schließlich wurden allein im Südraum Leipzig ca. 55.000 Mitarbeiter in „der Kohle“ arbeitslos. Man kann sicher darüber streiten, ob nun in einem Hochtechnologie- und Exportland BRD der Tourismus mit wenig qualifizierten und schlecht bezahlten Mitarbeitern den Ersatz bieten kann, den die Menschen verdient hätten. Die Probleme des anstehenden „Strukturwandels“ durch den eigentlich avisierten und dringend notwendigen Ausstieg aus der Energieproduktion durch Braunkohle sind ja längst noch nicht gelöst – obwohl hinlänglichst bekannt!

Die LMBV GmbH entwickelte für die Lausitz die Idee eines Gewässerverbundes (heute: Lausitzer Seenland). Um Geld zu sparen sollten die Tagebaurestlöcher geflutet und mit Kanälen untereinander verbunden werden inkl. einem Anschluss an die Spree. Das Problem der Verockerung mit seinen dramatischen Folgen für Flora und Fauna wurde dabei bewusst oder grob fahrlässig „übersehen“. Heute fließt nun die ganze „braune Brühe“ aus den gefluteten Tagebaurestlöchern in die Spree.

Dieses Konzept wurde durch die LMBV GmbH in die Leipziger Region transferiert und traf dort mit Überlegungen zusammen, die alten Flussläufe in Leipzig wieder offenzulegen und so von der City in den Zwenkauer See zu paddeln. Hier kam später die Idee hinzu, dieses Konstrukt via Elster-Saale-Kanal an das europäische Wasser„Straßen“netz anzuschließen – von der Alster an die Elster. Man versprach sich Potential für Arbeitsplätze und Einnahmen für die Kommunen.

Allein, ein Wirtschaftlichkeitsgutachten aus 2002 verwies diese „Träume“ ins Reich der Fabel: Zeitarbeitsplätze im Niedriglohnsektor und nicht nennenswerte Steuereinnahmen standen (und stehen) bis heute nie in Summe bezifferten Kosten dieses Gewässerausbaus gegenüber. Dabei wurden bei dieser wenig positiven Begutachtung sogar alle naturschutzrechtlichen Belange außer Acht gelassen – und damit auch die hier zu erwartenden Kosten. Übrigens auch bis heute.

So wurde „vergessen“, dass die Tagebaurestlöcher im Leipziger Süden nur über die Auwaldgewässer untereinander zu verbinden sind. Hochsensible Gewässer, die gerade erst dem Tod durch Verschmutzung als Folge der DDR Kohle- und Chemieindustrie entronnen waren (Elster, Pleiße, später der Floßgraben) und anfingen, langsam zu renaturieren, wurden gnadenlos in ein Vermarktungskonzept eingebunden – das WTNK, das Wassertouristische Nutzungskonzept.

Diese Vermarktungsstrategie gipfelte 2008 in der Forderung des damaligen Regierungspräsidenten Steinbach (heute LDS), die Seen (und damit die sie verbindenden Auwaldgewässer) müssten „ökonomisch genutzt“ werden. Und da Steinbach auch noch Chef der sogenannten „Steuerungsgruppe Leipziger Neuseenland“ war, wurde dies auch zügig umgesetzt. Eine sich als Behörde gerierende „Steuerungsgruppe“, für die es keinerlei Legitimation gibt, hat die Vorgaben für die Entwicklung dieses Gewässerverbundes, das WTNK, gemeinsam mit der Stadt Leipzig, den Umlandkommunen, dem Regionalen Planungsverband Westsachsen, dem Kommunalen Forum Zweckverband Südraum Leipzig umgesetzt.

Die Bürger wurden in dieser Aufzählung der beteiligten Akteure nicht etwa vom Verfasser vergessen – sie wurden schlicht nicht beteiligt. In allen genannten Gremien saßen und sitzen dieselben Behördenvertreter, die sich somit selbst den Auftrag für die Planungen gaben, sich selbst die Genehmigungen erteil(t)en, die sie dann selbst umsetz(t)en und auch, wen wundert’s, selbst kontrollier(t)en.

Dies geschah und geschieht über die verschiedenen bergrechtlichen Abschlussbetriebspläne (Tagebau Zwenkau, Tagebau Espenhain), einzelne Genehmigungsverfahren, über sogenannten § 4-Maßnahmen der erweiterten Tagebausanierung (Schleuse Cospuden, Connewitzer Schleuse) bis hin zu Strukturförderung wie bei den schon gebauten „Häfen“ wie Lindenauer Hafen, Stadthafen.

Da es um einen Anschluss an das europäische Wasser“Straßen“netz ging und geht (Anrainer aus Hamburg, Rhein/Main-Gebiet, Berlin/Brandenburg sollen mit ihren Yachten über die Elbe mit saisonalem Niedrigwasser hierher fahren), haben die Behörden und Politiker (allen voran CDU und SPD, allerdings mehrheitlich auch die FDP; die Linken haben bis heute nicht verstanden, worum es geht) eine Umwandlung der Gewässer in Straßen (genau das bedeutet der immer wieder irrlichternde Begriff der „Schiffbarmachung“) vorangetrieben und umgesetzt.

In Leipzig und dem Landkreis Leipzig geschah dies zunächst mit unzähligen Ausnahmegenehmigungen für Motorboote, später durch die Novellierung des sächsischen Wassergesetzes 2016, in dem handstreichartig die Tagebaurestlöcher und die sie verbindenden Kanäle für schiffbar erklärt wurden. Mittels „Mastergenehmigungen“ (für die es im Wassergesetz gar keine rechtliche Grundlage gibt) wurden für Zwenkauer, Markkleeberger, Störmthaler und Hainer See insgesamt ca. 1.800 Genehmigungen für Motorboote erteilt. Da diese auf allen Seen gelten, könnten theoretisch alle diese Motorboote auch auf einem See fahren.

Im Floßgraben (Vogelschutzgebiet) soll(te) der Eisvogel umgesiedelt werden. In der Pleiße wurden kürzlich Umbauarbeiten für eine Motorisierung durchgeführt, für die eine erhebliche Beeinträchtigung einer streng geschützten Tierart (Grüne Keiljungfer) in Kauf genommen und die naturschützerischen Einwendungen dagegen ignoriert wurden: Statt entsprechend den Vorgaben der europäischen Wasserrahmenrichtlinie die Fließgewässer zu renaturieren und sie damit wieder in einen guten Zustand zu bringen, werden der Floßgraben entkrautet und still und leise immer wieder ein kleines Stückchen aufgeweitet und die Pleiße zugepflastert.

Gegen diese Entwicklung haben sich schon seit Mitte 2000 vereinzelt Bürger und Verbände ausgesprochen. 2010 wurde der Protest am sogenannten „Tag Blau“ sehr öffentlich. Eine Petition mit ca. 11.000 Unterschriften wurde in der Landesdirektion übergeben – und bis heute ignoriert.

Durch diesen Protest aufgerüttelt, versuchten die Behörden und Politiker den für die Motorisierung betriebenen Gewässerausbau nachträglich durch eine „Beteiligung“ der Bürger zu legitimieren. Dabei waren die Weichen gestellt, die Grundlagen längst gelegt und wesentliche Bestandteile des WTNK, beispielsweise Häfen und Kanäle, waren schon umgesetzt und zig Millionen € ausgegeben – der sogenannte „Charta 2030“-Prozess.

In diesem wurde allerdings durch die sich beteiligenden BürgerInnen sehr deutlich eine Gewässermotorisierung abgelehnt. Weshalb dieser Punkt durch die Akteure des WTNK und Durchführer der „Beteiligung“ in deren Auswertung ausgeklammert wurde und die „Beteiligung“ als Erfolg für Demokratie und das WTNK gefeiert werden konnte. Die Proteste der Bürger und Naturschutzverbände wurden unter den Teppich gekehrt.

Heute soll dieses Wassertouristische Nutzungskonzept „fort“-geschrieben werden. Hierfür wurde durch BM Rosenthal (der auch Sprecher des sogenannten Grünen Rings Leipzig ist, s.o.) ein „Beteiligungs“-prozess organisiert. Von ihm wurden die Beteiligten quasi handverlesen. Selbstredend ist die Zahl derjenigen, die eine ungeänderte Fortführung des WTNK und damit den Ausbau und die Motorisierung der Gewässer wünschen, in der Mehrheit.

Die „Bürgerbeteiligung“ wird von Kommunikationsexperten (für viel Geld) „moderiert“. Diese eigentlich neutral handeln sollenden „ModeratorInnen“ haben dezidierte Vorgaben von ihrem Auftraggeber (den Akteuren des WTNK) bezüglich der Moderation, die eine Abweichung vom Fahrplan des WTNK nicht zulassen. So soll ausdrücklich weiterhin nicht überprüft werden, ob das ursprüngliche Ziel (Schaffung von Arbeitsplätzen) mit einem vertretbaren Kostenaufwand und unter Einhaltung naturschutzrechtlicher Vorgaben auch erreichbar sei.

Von weiteren 100 (!) geplanten „Projekten“ sollen ausdrücklich alle umgesetzt werden. Naturschützer dürfen lediglich entscheiden, ob ein Projekt 100 m weiter ober- oder unterhalb umgesetzt wird. Das „ob“ ist unabänderlich. Es soll beim WTNK also so weitergemacht werden wie bisher. Wirkliche Beteiligung – Fehlanzeige. Wie die in der Vergangenheit unterlassene Beteiligung geheilt werden soll, dazu gibt es von den Verantwortlichen keine Aussage. Stattdessen wird mit Wortakrobatik (es handle sich beim WTNK um ein planerisches Konzept ohne jegliche rechtliche Verbindlichkeit) zu verhindern versucht, das WTNK beim Namen zu nennen: dass es tatsächlich ein großangelegter, systematisch umgesetzter Plan ist, der eigentlich einer gesetzlich vorgeschriebenen ordentlichen Prüfung bedarf.

Die in der Vergangenheit und Gegenwart geäußerten Proteste von Bürgern und Naturschutzverbänden werden weiterhin ignoriert. Die Beteiligten am „Beteiligungsprozess“ werden zum Stillschweigen verpflichtet, die Ergebnisse der jeweiligen Beratungen sollen nicht bekannt werden: bei einer sogenannten Bürgerbeteiligung! Die Begründung dafür ist, dass die Verwaltung verpflichtet sein soll, die BürgerInnen vor irritierenden Informationen zu schützen.

Pressemitteilungen werden durch die Moderatoren so veröffentlicht, dass die beteiligten Verbände von Freitag (17:04 Uhr) bis Samstag (17:04) Zeit haben, sich dazu zu äußern, ein Verfahren, das eine Abstimmung der Verbände und Überprüfung der veröffentlichten Inhalte bzw. der absichtliche Ausschluss anderer, nicht zum Konzept passender Inhalte gezielt ausschließt.

Die durch die Verbände geäußerten Bedenken bezüglich zwingend einzuhaltender rechtlicher Vorgaben des Umwelt- und Naturschutzes wurden aus dem „Beteiligungsprozess“ ausgelagert: in einem außerordentlichen Termin soll durch einen erfahrenen Rechtsanwalt (des Auftraggebers des WTNK bzw. der „Moderation“) erläutert werden, wieso alles ganz rechtens sei. Ansonsten werde ohne diese Klärung einfach an den einzelnen Projekten weitergearbeitet. Dies auch jetzt während des Runden Tischs.

Eine Erfassung der Ausgangslage (sich erholende Gewässer ohne Bootsnutzung als Referenzwert zum Messen von Veränderungen, Beeinträchtigungen und Schäden durch die zunehmende Bootsnutzung) und des Ziels fanden und finden nicht statt. Mit der wiederholten Erklärung der WTNK-Akteure, dass der sogenannte Grüne Ring Leipzig kein Planungsträger und das WTNK kein Plan sei, findet also eine Bürgerbeteiligung zu einem Plan statt, der kein Plan ist und von jemandem erstellt wurde, der gar nicht zuständig ist. Ziel der „Beteiligung“, Runder Tisch genannt, ist jedenfalls die Herstellung von Öffentlichkeit, von positiver Öffentlichkeit. Das ist die tatsächliche Aufgabe der „Moderatoren“: Es soll der Öffentlichkeit, den BürgerInnen vermittelt werden, dass Konsens über die Fortführung des WTNK bestünde.

Das ist jedoch mitnichten der Fall. Offener Protest beispielsweise gegen Motorboote, gegen die Wasserschlange, gegen den Ausbau der Pleiße, gegen den Ausbau des Elster-Saale-Kanals werden nicht nur ignoriert sondern bewusst unterdrückt. Die letzte offizielle Pressemitteilung zum Runden Tisch hob beispielsweise ausdrücklich die Wasserschlange hervor, zu deren Umsetzung angeblich Einigung bestünde. Die Einwände der Verbände, dass mit dem WTNK ein verantwortlicher Umgang mit dem Auwald ausgeschlossenen sei, wurden ignoriert.

Die Leipziger Verbände BUND, NABU, NuKLA und Ökolöwe haben ein Positionspapier zu dieser Fortschreibung des WTNK überreicht.

Aus Sicht der Grünen LIGA Sachsen, am sogenannten Runden Tisch vertreten durch den Verein Naturschutz und Kunst Leipziger Auwald e.V., ist das bisherige Verfahren sowohl von Zielstellung als auch Durchführung und geplantem Ergebnis (Fortführung) weder geeignet, als Bürgerbeteiligung bezeichnet zu werden, noch gar dazu angelegt, eine notwendige Überprüfung, erforderliche Änderungen oder zumindest Korrekturen vorzunehmen. Stattdessen bleibt nach wie vor unklar, was dieses Beteiligungsverfahren überhaupt ist: jemand Unzuständiges beteiligt 22 in persona ausgewählte Repräsentanten der Leipziger Bürgerschaft und entscheidet dann über einen „Nichtplan“ mit bereits von Anfang feststehendem Ergebnis?

Zur weiteren Klärung haben wir an den Grünen Ring Fragen gestellt.

Ein Weiterso mit dem WTNK darf es im Leipziger Auenwald nicht geben

Ein Weiterso mit dem WTNK darf es im Leipziger Auenwald nicht geben

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