In der kommenden Woche soll der Regierungsentwurf für den sächsischen Doppelhaushalt 2021/22 beschlossen werden. Aber während die Verhandlungen noch mit dem vollmundigen Versprechen begannen, keine Kürzungen vorzunehmen, mehren sich seit Ende Oktober die Signale, dass ausgerechnet im Sozialbereich die Schere angesetzt werden kann. Das würde ausgerechnet die dort tätigen Vereine und soziale Organisationen schnell an den Rand der Existenz bringen.

Am 27. Oktober zeigte sich schon der Jugendverband der Linken alarmiert von den Stimmen, die fordern, das kommende Einahme-Defizit durch massive Kürzungen im Sozial- und Kulturbereich auszugleichen. Dies gelte es dringend zu verhindern, um dem Einbrechen von Strukturen in Sozial-, Kultur- und Jugendbereichen vorzubeugen.

„Gerade jetzt ist es wichtig, dass Angebote für Kinder- und Jugendliche auch nach der Krise aufrechterhalten werden. Egal ob es ein Treffpunkt nach der Schule ist oder ob es um Projekte zur Vermittlung politischer Bildung wie dem Landesprogramm ,Weltoffenes Sachsen für Demokratie und Toleranz‘ geht“, sagte die Jugendpolitische Sprecherin der sächsischen Linken Jennifer Trültzsch.

„Alle diese Angebote sind wichtig für unser Zusammenleben und die Entwicklung junger Menschen. Es muss verhindert werden, dass auch nur bei einer dieser Einrichtungen ihre Existenz und die Existenzgrundlage ihrer Beschäftigten durch Kürzungen im nächsten Haushalt bedroht werden.“

Und Paul Podbielski, Mitglied im Beauftragtenrat des Jugendverbandes, meinte: „Ich selbst hatte das Glück, an Angeboten von Kultur- und Jugendeinrichtungen teilzunehmen. Ich habe dadurch viel gelernt und mich als Person weiterentwickelt. Im Doppelhaushalt 2020/21 sollen gerade Gelder für eben jene Einrichtungen gestrichen werden, während Milliarden in Konzerne hineingepumpt werden, die dieses Geld teils direkt als Dividenden oder Bonus-Zahlungen weiterreichen. Das ist ein fataler Fehler und zeigt, wie gering die Wertschätzung der Regierung für soziale Projekte tatsächlich ist.“

Doch wie hoch der Betrag ist, der nach Vorstellung der Regierung in den Bereichen Soziales, Kultur und Arbeit künftig eingespart werden soll, ist noch unklar. Dennoch sorgen sich viele Organisationen und Vereine um ihre Zukunft. Schon allein der Umstand einer vorläufigen Haushaltsführung ist für viele befremdlich, da eine Fortführung oder die Höhe der Finanzierung durch den Freistaat völlig offen ist. In finanzielle Vorlage können nur die wenigsten Organisationen gehen, um Strukturen bis zur Beschlussfassung eines Landeshaushaltes über Wasser zu halten. Daher fordern viele Vereine klare Aussagen von der Staatsregierung.

Bereits vor zwei Wochen warnten deshalb über 100 sächsische Organisationen vor möglichen Einschnitten in die soziale und kulturelle Infrastruktur des Freistaates. Sie appellierten in einem Offenen Brief an die Staatsregierung, auf Kürzungen zu verzichten. Im Nachgang erreichten die Initiatoren viele Zuschriften, in denen Träger beispielsweise befürchten, dass über Jahre aufgebaute Beratungsstrukturen oder Angebote für Kinder und Jugendliche ersatzlos wegfallen könnten. Weitere 150 Organisationen erklärten ihre Unterstützung des Offenen Briefes, der jetzt von insgesamt über 250 sächsischen Organisationen getragen wird.

Michael Richter, Landesgeschäftsführer des Paritätischen Sachsen, sagt: „Soziale Angebote haben in Sachsen immer wieder Kürzungen erlebt. Daher ist es verständlich, dass bei den Menschen und bei den Fachkräften Ängste aufkommen, wenn erneut Einschnitte zu befürchten sind. Die Staatsregierung muss jetzt ein klares Signal senden, dass die vorhandene Infrastruktur für die Menschen vor Ort erhalten bleibt.“

Seit September leben die Vereine in so einem Alarmzustand. Auch weil das Thema Kürzungen im Sozialbereich nach wie vor auf dem Verhandlungstisch der Regierungskoalition liegt. Das konservative Denken von „Schwarzer Null“ und Schuldenabbau steht gegen die berechtigte Sorge um den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft ausgerechnet mitten in der Krise.

Markus Schlimbach, Vorsitzender des DGB Sachsen, weist darauf hin: „Investitionen in soziale, kulturelle, demokratiepolitische Projekte, in den Arbeitsmarkt zur Fachkräftesicherung und in einen zeitgemäßen öffentlichen Nahverkehr sind notwendig für ein lebenswertes Sachsen. Investitionen in Menschen, in ihre Kreativität und ihr Engagement zahlen sich doppelt und dreifach aus. Hier darf es keine Kürzungen geben.“

Und auch Robert Kusche, Geschäftsführer der RAA Sachsen, betont: „Wir sind die Ressource für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Die Angst vor Kürzung ist real und führt primär im ländlichen Raum zu Problemen. Demokratiearbeit ist dauerhaft, verlässlich und nachhaltig zu stärken, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen.“

Eigentlich hatte das Bündnis schon im Oktober seinen Offenen Brief an die Koalitionspartner geschickt. Aber augenscheinlich wird hinter den Kulissen hart gerungen zwischen denen, die den Sozialbereich drastisch kürzen wollen, und denen, die um dessen wichtige Rolle für den sozialen Zusammenhalt wissen.

Also wird der Brief noch einmal veröffentlicht mit der dringenden Bitte: „Die Aktivitäten der Staatsregierung haben in den letzten Jahren maßgeblich dazu beigetragen, dass wichtige kulturelle, soziale und wirtschaftliche Infrastrukturen gestärkt wurden. Die unterzeichnenden Organisationen appellieren nachdrücklich an die Staatsregierung, diesen Weg fortzusetzen. Kürzungen wären das falsche Signal an die Menschen in Sachsen und könnten mühsam erworbenes Vertrauen in die politischen Institutionen grundlegend beschädigen.

Den Brief mit der Übersicht der unterstützenden Organisationen lesen Sie hier.

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Mal ganz ketzerisch gesagt, kommt doch die Corona-Pandemie den Pfennigfuchsern sehr entgegen.
Es sterben Menschen, also braucht es weniger Zuweisungen von Mitteln. Die werden ja wohl noch immer pro Kopf ermittelt.
Wenn Einrichtungen geschlossen werden, wird der Lohn von jemand anderem gezahlt. Immer noch vom Staat, aber aus einem anderen Etat. Juhu, wir haben eingespart. Und für die laufenden Kosten springt auch der Staat ein, wieder ein anderer Etat. Juhu, wir haben noch mehr gespart.
Und weil in diesem Jahr so fein gespart wurde, gibts im nächsten Jahr gleich mal diese Summe vom geplanten Etat abgezogen, wird ja nicht gebraucht.
Menschen sind davon betroffen? Ach? Naja, wenn sich deren Befindlichkeiten verschlimmern, dann gibts doch da bestimmt noch einen anderen, der das bezahlt. Krankenkassen vielleicht.
Ja, mich packt schon seit geraumer Zeit ein gewisser Zynismus. Wenn ich sehe, dass gestern viele von denen, die demnächst unter den Kürzungen noch mehr leiden werden, auf dem Augustusplatz waren und für ihre “Freiheit” demonstriert haben, dann frage ich mich schon ernsthaft, ob diese Menschen noch zum Denken, zum Nachdenken, fähig sind und ob man ihnen demnächst noch Hilfe zukommen lassen soll. Innerlich hab ich mich schon von der Beratung verabschiedet. Ich bleib nur noch deshalb, weil es viele gibt, die unverschuldet in Not geraten sind und Hilfe brauchen.

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