Während Leipzigs Statistiker noch grübeln darüber, wie man nun die nächste Bevölkerungsprognose für Leipzig berechnen könnte, haben ihre Dresdner Kollegen am Freitag, 27. November, schon ein Ergebnis vorgelegt. Sie sagen für Dresden ein Wachstum von aktuell 542.289 auf 580.500 Einwohner im Jahr 2025 voraus. Und auch in Dresden rechnet man nur damit, dass Frauen im Schnitt noch 1,5 Kinder bekommen.

Das reicht dann zwar, um die Geburtenzahl kurzfristig auf 6.400 zu heben. Aber: “Ursache des Geburtenanstieges ist die wachsende Anzahl von Frauen im Alter von 15 bis 44 Jahren. Ab 2026 wird die Geburtenzahl voraussichtlich wieder unterhalb der Marke von 6.000 liegen. Die Zahl der Gestorbenen wird dagegen kontinuierlich bis 2026 auf ca. 6.000 steigen und danach stagnieren. Damit würde ab 2026 die Zahl der Gestorbenen über der Zahl der Geborenen liegen.”

Man kann also auch in Dresden nur hoffen, dass die Zuwanderung anhält. Aber so sicher ist das ja nicht, da ja nun alle möglichen Mauerbauer, Obergrenzer und Abschotter die derzeitige Einwanderungspolitik in Deutschland und Europa bestimmen. Das Ergebnis wird wohl sein: Nach einem kurzzeitigen Anstieg der Asylbewerberzahlen werden die Zuwanderungszahlen auch in Dresden wieder sinken. “Die Zuzüge, welche gegenwärtig deutlich durch die Asylbewerberzahlen beeinflusst werden, steigen im ersten Prognosejahr an und gehen bis 2020 stärker und danach nur noch leicht zurück. Hintergrund ist zum einen die Annahme eines Rückganges des Zuzuges von Asylbewerbern und zum anderen die sinkende Bevölkerungszahl in der mobilsten Altersgruppe der 18 bis 30-Jährigen in den neuen Bundesländern”, heißt es dazu in der Mitteilung der Stadt Dresden.

Das nennt man wohl eine Mausefalle. So kann man keine Stadt auf Zukunft planen. Da stehen alle Investitionen unter dem Vorbehalt ihrer möglichen baldigen Überflüssigkeit. Eine stringente und irgendwie von Vernunft geprägte Einwanderungspolitik ist nirgendwo zu sehen.

Für die Großstädte ist das ein Planen im Nebel.

Und sie werden von der Landespolitik dabei gründlich im Stich gelassen. Statt in Zukunft zu investieren und den großen Städten auch die Förderung der dringend benötigten Infrastrukturen zu sichern, macht man immer weiter mit der alten Gießkannenpolitik, die das erwirtschaftete Geld in die Landkreise umleitet, ohne dort neue nachhaltige Strukturen zu schaffen. Und die Asylpolitik ist nach wie vor eher ein Durchwursteln, als ein durchplanter Prozess. Man tut einfach so, als würden die Flüchtlinge aus den Kriegen Asiens bald einfach wieder nach Hause fliegen.

Möglich ist aber auch, dass der Versuch, die Flüchtlingszahlen zu begrenzen, scheitert. Denn das ist mit Geld für die Türkei, damit sie die Millionen Flüchtlinge in den dortigen Flüchtlingslagern zurückhält, nicht getan. Das braucht eine völlig neue europäische Außenpolitik, den Abschied von falschen Konzepten und falschen Freunden, aber auch eine völlig andere Finanzpolitik. Alles nicht gewollt. Mit dem Ergebnis, dass die europäische Gemeinschaft den Tragödien der Welt völlig unvorbereitet begegnet und mehr oder weniger unverhofft mit den Folgen konfrontiert wird.

Was übrigens auch die sozialen Miseren in der EU selbst betrifft. Denn die Frage ist natürlich: Werden die arbeitslosen jungen Leute in Spanien, Griechenland, der Ukraine oder Polen bleiben, wenn sich ihre wirtschaftliche Situation dort nicht ändert? Oder werden auch sie verstärkt zu wandern beginnen, dorthin, wo Wirtschaftsstrukturen noch funktionieren?

Werden die deutschen Großstädte daran partizipieren oder setzt sich die Blockade-Politik der Einwanderungsgegner durch?

Auch da hilft ein Blick ins neue Statistische Jahrbuch der Stadt Leipzig, wo man auf Seite 45 nachlesen kann, woher die Leipziger Zuwanderer 2014 kamen. Und da sieht man zwar nach wie vor die ostdeutschen Bundesländer mit 6.795 im Wanderungssaldo am stärksten vertreten (52,5 Prozent von 12.933), aber dahinter kommen zwei schon erstaunlich große Gruppen – die Zuwanderer aus den westlichen Bundesländern (Saldo: 2.536) und die Zuwanderer aus dem Ausland (Saldo: 4.016).

Es gibt also eine Einwanderung nach Germany, obwohl es keine Einwanderung gibt.

Und sie hat gute Gründe. Denn unter den Zuwandernden sind mittlerweile erstaunlich viele Bürger anderer EU-Länder, die natürlich völlige Ansiedlungsfreiheit genießen. Und viele dieser Länder haben mit nun schon seit Jahren anhaltenden wirtschaftlichen Problemen zu tun, was dann Polen, Italiener, Spanier, Ungarn und Bulgaren gleichermaßen in eine Stadt wie Leipzig zieht, wo sie logischerweise einen wirtschaftlichen Neuanfang wagen.

Wer die anderen europäischen Sorgenkinder sucht, wird sie ebenso finden: Griechenland, die Ukraine, aber auch die Russische Föderation. Viele dieser jungen Menschen kommen natürlich auch zum Studium nach Leipzig – was dann auch Länder wie China, die USA und Brasilien auf die Leipziger Zuwandererliste bringt. Die Liste sagt eindeutig: Leipzig wächst im Bereich der Einwanderung aus dem Ausland vor allem, weil junge Leute zum Studium und Arbeit an die Pleiße kommen. Und dann oft genug dableiben, weil sie sich hier wohl fühlen, vielleicht auch zu Hause fühlen.

Wie das mit all jenen ist, die jetzt reineweg aus Not- und Kriegsgründen hier Asyl gefunden haben, ist offen. Auch wenn die Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan, Irak und anderen Ländern noch angeben, so bald wie möglich wieder in ihre Heimat zurückkehren zu wollen – für Viele wird sich der Wunsch nicht erfüllen. Viele werden auch längst so sehr Fuß gefasst haben in unserer Gesellschaft, dass sie Leipzig als neue Heimat begreifen.

Und Leipzig wird sowieso die erste Stadt im Osten sein (neben Berlin) die sich stark internationalisieren wird und das Flair einer echten Weltstadt bekommt. Und da wird es schwierig für Leipzigs Statistiker, denn da wird eine Bevölkerungsprognose zu einer Rechnung mit vielen Unbekannten. Wobei die krisengeschüttelten Länder der Welt nicht einmal die größte Unbekannte sind.

Die größte Unbekannte sind jene Politiker, die sich von den Entwicklungen nur treiben lassen und Zuwanderung nicht wirklich aktiv und nachhaltig gestalten.

Erst dieser manifeste Unwillen, die Entwicklung selbst zu gestalten, erzeugt diese hallenden Leerräume, in denen sich die Wirklichkeitsverweigerer der Straßendemos so seltsam echoreich ausleben und austoben können.

Wer aber nicht gestaltet, dem entgleiten die Dinge. Das war schon 1989 so, als ein gewisser Michail Gorbatschow den Unbelehrbaren in Ostberlin ins Ohr predigte: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Ein Satz, der so zwar nicht gesagt worden sein soll, aber irgendetwas in der Richtung muss Gorbatschow gesagt haben, möglicherweise mit diesem Satz etwas adäquater wiedergegeben: “Gefahren lauern auf diejenigen, die nicht auf das Leben reagieren.”

Das missverstehen einige wirklich kluge Politiker mit der Aufforderung, sie müssten nun ausgerechnet mit den Stammtischakteuren von Pegida reden. Aber “das Leben”, das ist erst einmal die blanke Not der Menschen, deren Heimat da unten in Syrien und anderswo zerschossen wird. Das sind die wirtschaftlichen Ungleichgewichte in Europa, die von allein schon zehntausende Menschen in Bewegung setzen auf der Suche nach einer Zukunft. Alles Dinge, die viel schwerer wiegen als der jämmerliche Egoismus der alten Männer bei Pegida.

So kann man gespannt sein, was Leipzigs Statistiker in ihrer Prognose für die nächsten Jahre herausbekommen. Und wie viel davon von der blinden Entwicklung der Welt gleich wieder über den Haufen geworfen wird.

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