Viele Zahlen zu den Flüchtlingen aus Syrien geistern dieser Tage durch deutsche Medien. Einige werden emsig interpretiert. Und auch gleich mal fehlgedeutet, wie die Frage: Wovor fliehen sie denn? Und: Wollen sie bleiben? "Lediglich 8 Prozent der Befragten äußerten den Wunsch, dauerhaft in Deutschland zu bleiben", las da zum Beispiel "Die Welt" aus einer Befragung der syrisch-deutschen Initiative "Adopt a Revolution" heraus.

Die sitzt in Leipzig, hat aber rund 900 syrische Flüchtlinge in mehreren deutschen Großstädten befragen lassen. Eigentlich so, wie man das Thema derzeit angehen muss, wo die hartleibigen unter den deutschen Politikern über schnellstmögliche Abschiebung schwadronieren und glauben, damit das Problem lösen zu können. Beschränkung der Aufenthaltsdauer, kein Familiennachzug und was der Hartherzigkeiten deutscher Konservativer mehr sind.

Das Problem ist nur: In Syrien herrscht Krieg. “Die mit Abstand am häufigsten angegebene Fluchtursache ist Gefahr für Leib und Leben. Andere Ursachen, etwa ökonomische Gründe oder das Ziel, einen europäischen Pass zu erhalten, spielen kaum eine Rolle”, schreibt die Initiative selbst in Auswertung ihrer Umfrage.

Da wurde dann zwar gefragt: Welches war denn nun der zentrale Fluchtgrund? Da tauchten dann die zuletzt gern kolportierten 70 Prozent auf: “70 Prozent der Befragten machen für die Kriegsgewalt das Assad-Regime verantwortlich, nur rund ein Drittel nennt an erster Stelle die IS-Terrormiliz”, hat zum Beispiel “Der Westen” für sich herausgelesen aus der Statistik.

Der Historiker Götz Aly hat den ganzen Unfug, den Medien da herausgelesen haben, gerade in der “Berliner Zeitung” auseinandergenommen. Mal ganz abgesehen davon, dass nicht nur nach Assad, sondern auch nach seinen Verbündeten gefragt wurde. Bekanntlich bekommt der syrische Diktator ja seit September auch Unterstützung von den Russen. Und ein paar weitere Verbündete findet man im Nahen Osten. Ohne diese Unterstützung wäre Assad gar nicht in der Lage, vier Jahre lang Krieg zu führen. Und wie ist das mit dem IS? Ist der also weniger schlimm als der Fassbomben werfende Diktator, weil nur 31,6 Prozent der Befragten den IS als “für die Kämpfe verantwortlich” nannten? Keineswegs. Denn es wurden ja noch vier weitere Kampfparteien genannt, die im nicht mehr von Assad kontrollierten Syrien aktiv sind. Die Geflohenen stammen (auch das wurde abgefragt) aus verschiedenen Teilen Syriens und kamen auch mit unterschiedlichen Bürgerkriegsparteien in Kontakt.

Was trotzdem für die Mehrheit bedeutet: Eine Rückkehr nach Syrien scheint für sie erst möglich, wenn a) der Bürgerkrieg beendet ist und b) Assad als Hauptschuldiger weg ist und c) auch der IS nicht mehr da ist.

Da relativieren sich auch die 8 Prozent. Genauer: 8,4 Prozent der Befragten gaben an, ganz bestimmt nicht wieder zurück zu wollen. Man darf sich ruhig an die Hoffungen all jener Menschen erinnern, die zwischen 1933 und 1939 Deutschland auf der Flucht vor dem Nazi-Regime verlassen mussten: Auch sie lebten jahrelang in der Hoffnung, der Spuk wäre schnell vorbei und sie könnten nach einem Sturz Hitlers bald schon wieder zurückkehren. Viele akzeptierten über Jahre nicht, dass das Asyl selbst sehr lange dauern würde und viele verzweifelten, als sie es begriffen.

Deswegen sind die 8 Prozent auch eher Augenwischerei, wenn deutsche Medien damit hausieren gehen. Denn Assad führt schon vier Jahre Krieg – und gerade “seine Verbündeten” tun alles, ihn im Amt zu lassen. Ganz zu schweigen davon, dass andere Bedingungen, die die Geflüchteten an eine Rückkehr stellen, genauso schwer zu erfüllen sind: 43,8 Prozent würden nur in ein Syrien ohne IS zurückkehren. 51,5 Prozent machen die Rückkehr abhängig von einem Verschwinden Assads, 67,8 Prozent von einem Ende des Krieges. Alles Dinge, von denen es heute nicht mal den Schimmer einer Lösung gibt.

Es ist also höchstwahrscheinlich, dass das Drama in Syrien sich noch viele Jahre hinschleppt und die nach Deutschland Geflüchteten gar keine andere Wahl haben, als sich dauerhaft niederzulassen. Und dann ist es der allergrößte Fehler, diese Menschen nicht so gut wie möglich integriert zu haben – mit Sprache, Arbeit und – ein Thema, das die deutschen Hardliner nie begreifen werden – mit Familiennachzug. Denn die Konflikte in den Erstaufnahmeeinrichtungen resultieren eben auch daraus, dass die (jungen) Männer oft genug ohne ihre Frauen und Kinder ankommen, weil sie die in den riesigen Flüchtlingslagern in Jordanien, Libanon oder der Türkei zurücklassen mussten. Wer verhindern will, dass die Aufnahmeeinrichtungen zu explosiven Hotspots werden, der ermöglicht den schnellen Familiennachzug.

Auffällig an der Umfrage ist freilich auch, dass 65 Prozent der Befragten erst 2015 Syrien verlassen haben – was möglicherweise auch Einfluss hat auf die Frage, ob sie nun langfristig in Deutschland bleiben wollen oder nicht. Viele von ihnen dürften zumindest die Hoffnung haben, dass eine baldige Rückkehr möglich ist. 35 Prozent der Befragten aber sind nun schon seit mehreren Jahren auf der Flucht.

Das simple Fazit ist: Die Befragung ist nur eine Momentaufnahme, die vor allem Personen erfasst hat, die auf ihrer Flucht gerade in Deutschland angekommen sind. Sie sagt nichts darüber aus, wie lange diese Menschen in Deutschland bleiben werden, denn das hängt nicht von ihnen ab, sondern vor allem von der Fähigkeit der Staatengemeinschaft, den Bürgerkrieg in Syrien zu beenden, Assad zu entmachten und den IS aus dem Land zu schmeißen. Doch derzeit sieht es eher danach aus, dass Syrien auf lange Zeit zu einem verlorenen Staat wird – wie Irak und Afghanistan. Und nur die unbelehrbarsten Politiker denken jetzt darüber nach, Menschen in diese Länder zurückzuschicken.

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