Wir haben das Ding jetzt schon ein bisschen liegen gelassen, denn gesendet hat der Verband der deutschen Versicherer seinen Versuch, die Rentenentwicklung in den 402 deutschen Kreisen und kreisfreien Städten bis ins Jahr 2040 zu berechnen, schon am 13. November. Aber wie das mit solchen Prognosen meistens so ist: Sie sind zu simpel, um richtig zu sein.

Die Prognos AG hat die Untersuchung im Auftrag der Versicherungswirtschaft durchgeführt. Berechnet wurde – aufgeschlüsselt nach bestimmten Berufsgruppen und allen 402 deutschen Kreisen und Kreisfreien Städten – die individuelle Versorgung im Alter aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Tatsächlich hat man sogar nur sechs Berufsgruppen erfasst. Die meisten Bewohner des schönen Landes Sachsen werden sich gar nicht drin wiederfinden.

Eines scheint zumindest als Grundthese haltbar: Sächsische Rentner werden im Jahr 2040 weniger Rente erhalten als der deutsche Durchschnitt. Das wird dann schlicht die Folge eines Gesamtpaketes sein, das sich in den vergangenen 25 Jahren aus der brisanten Mischung “gebrochene Berufskarrieren”, “Hartz VI”, “prekäre Beschäftigung” und staatliche Niedriglohnpolitik zusammensetzte.

Aus Sicht von Prognos und GDV scheint das irgendwie austariert zu werden: Die niedrige Bruttorente werde dann eben zum Teil durch geringe Lebenshaltungskosten ausgeglichen. So läge in 25 Jahren die Rentenkaufkraft im Vogtlandkreis, Erzgebirgskreis und in Görlitz annähernd im bundesdeutschen Schnitt.

Was zumindest Zweifel erweckt, denn der einzige Faktor, der im Osten bislang noch kostendämpfend wirkt, ist das Mietpreisniveau. Ob das 2040 tatsächlich noch so ist, steht in den Sternen.

Womit die Prognos-Studie schon eine entscheidende Schwachstelle aufzeigt: Sie kann die konkreten Veränderungen auf Landes- oder Kreisebene gar nicht erfassen.

Und bei den Berechnungen für die Rente 2040 kann man sich wieder nur auf die Einkommensverhältnisse des Jahres 2014 beziehen. Was dann so wundersame Aussagen ergibt wie: “In Sachsen fällt die Rente 2040 am höchsten im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge aus. Eine ‘Verkäuferin mit 2 Kindern’ erhält hier 1.046 Euro (Bund: 1.095 Euro), ein Elektroinstallateur 1.400 Euro (Bund: 1.456 Euro) monatlich.”

Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge – das ist just jene Gegend, die im Jahr 2015 mit vermehrten Demonstrationen und Angriffen gegen Flüchtlingsunterkünfte von sich reden machte. Wenn das Verdienstniveau dort heute überm Sachsen-Durchschnitt liegt, muss das aber nicht daran liegen, dass Verkäuferinnen dort besser verdienen als anderswo. Das kann auch die Dresdner Ministerialbürokratie sein, die sich dort ins Grüne geflüchtet hat, gut versorgt, während die “besorgten Bürger” unten auf der Straße selbst eher Angst vor Abstieg und Fremden haben. Ob das eine Mischung ist, die 2040 zu einer besserversorgten Rentnergeneration führt, darf bezweifelt werden.

Wie schräg die Mutmaßungen über die Rentnerkaufkraft sind, offenbart so ein Satz: “Im gesamten Bundesland profitieren Rentner im Jahr 2040 von den niedrigen Lebenshaltungskosten. Sogar in den vergleichsweise teuren Städten – Chemnitz, Leipzig und Dresden – müssen Rentner nicht unter einer niedrigen Kaufkraft leiden. So ist die Rente einer Verkäuferin in Chemnitz (1.010 Euro) 1.097 Euro wert.”

So eine Aussage grenzt schon an einen Blick in den Kaffeesatz. Und es gibt keine belastbare Zahl, die heute möglich macht, die Lebenserhaltungskosten des Jahres 2040 zu errechnen. Nicht bei der Miete, nicht bei den Grundnahrungsmitteln, nicht bei Energie oder gar bei den Gesundheitskosten.

Das ist im Grunde der Satz, mit dem sich die ganze Studie völlig disqualifiziert hat. Sollte irgendjemand die vermeldeten Zahlen für bare Münze genommen haben, sollte er das ganz schnell wieder löschen.

Nur ein Teil der Rechnung ist zumindest vorsichtig als Hochrechnung zu nehmen: Das ist der zur wahrscheinlichen (gesetzlichen) Rentenhöhe – ganz grob und ganz vorsichtig. Denn auch hier weiß niemand, welche Steigerungsraten etwa der Bundestag beschließen wird.

Mit Einschränkungen gilt also: “Generell gilt für Sachsen wie für ganz Deutschland: Die Renten werden in den kommenden 25 Jahren real steigen. Sie können allerdings nicht mit der Lohnentwicklung Schritt halten, so dass die Altersbezüge 2040 – gemessen an den letzten Einkommen im Erwerbsleben – deutlich niedriger ausfallen als heute.”

Und warum interessiert sich die Versicherungswirtschaft eigentlich dafür?

“Die Höhe der Versorgung ist auch deshalb besonders beachtenswert, weil die Deutschen ihre Lebenserwartung deutlich unterschätzen“, meint der Präsident des Gesamtverbandes der DeutschenVersicherungswirtschaft (GDV), Alexander Erdland. Die Menschen müssten also länger mit ihrer Rente auskommen, als sie glauben.

Er bezieht sich dabei auf eine Studie des MEA-Instituts, die zu dem Ergebnis kam, dass sowohl Frauen als auch Männer ihre Lebenserwartung durchschnittlich um sieben Jahre zu kurz einschätzen. Das klingt wieder nach so einem burschikosen Privat-Institut, das dann allerlei seltsamen Studien schnell mal einen Schlankheitstipp oder ein Schönheitswässerchen als Empfehlung folgen lässt. Aber in diesem Fall steckt hinter MEA das Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik mit seinem Munich Center for the Economics of Aging (MEA). Die Studie, die dann zu der Aussage mit den “7 Jahre zu wenig” kam, hat das Deutsche Institut für Altersvorsorge in Auftrag gegeben, das sich gar als Denkfabrik begreift, aber in Wirklichkeit nur ein Verstärker der Argumente der Versicherungswirtschaft ist, die natürlich gern jetzt möglichst viele Altersvorsorge-Produkte loswerden möchte.

Da tauchen dann auch seltsame Argumente auf wie “Länger leben, als das Geld reicht”.  Siehe oben. Auch Alexander Erdland argumentiert so.

Oder um den GDV mal aus dem Jahr 2013 zu zitieren: “Auch der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) sieht die Demografieentwicklung nicht in Altersarmut enden. ‘Wer im Alter arm ist, war es häufig auch vorher’, konstatiert Alexander Erdland, GDV-Präsident. Grundsicherung im Alter beziehen derzeit 2,9 Prozent der über 65-Jährigen, wie das MEA im November 2013 festhielt. Erdland hält gute Bildung, Vereinbarkeit von Beruf und Familie und zusätzliche Vorsorge für die Grundlage eines guten Alterseinkommens. Zudem sollte der Ãœbergang in den Ruhestand flexibel zu gestalten sein. ‘Lösungen sollten es dem Einzelnen ermöglichen, seine Lebensarbeitszeiten auch verlängern zu können.’ So werde die gesetzliche und private Rente demografiefester.”

Was für ein Adjektiv: demografiefest!

Dabei hat er im ersten Teil eigentlich alles gesagt: Wer schon während seiner Lebensarbeitszeit arm ist (und ostdeutsche Politiker haben das ja nun 20 Jahre lang als Wundermittel für eine prosperierende Wirtschaft verkauft), bleibt auch im Alter arm und wird leichter zu einem Fall für die Grundsicherung.

Aber ein Verband von Versicherern wäre nicht das, was er ist, wenn er nicht die Werbung für die eigenen Vorsorgeprodukte mit einem Ellenbogenstoß für die staatliche Rente versehen würde. Und so sagte Erland im November 2015: “Die Wenigsten machen sich bewusst, was das für sie selbst konkret bedeutet.” Die Politik solle den Leuten reinen Wein einschenken, was sie aus dem staatlichen System erwarten können, und attraktive und verlässliche Rahmenbedingungen für die betriebliche und private Vorsorge schaffen.

Damit ist die Katze aus dem Sack.

Alles andere ist Werbung für Produkte, die allesamt genau denen nichts nützen, die heute schon mit niedrigen Einkommen unterwegs sind. Und das gilt selbst für die halb staatlichen, halb privaten Riester-Produkte.

Deswegen tauchen im Spielmenü “Was ist meine Rente 2040” eher so obskure Berufsgruppen wie Lohnbuchhalter, Teamleiter, Elektroinstallateure oder Sozialpädagogen auf. Die Verkäuferin ist fast schon der aussagekräftigste Beruf in der Reihe, während man Zeitarbeiter, Kraftfahrer, Kellner, Callcenter-Agent oder Pflegeschwester hier nicht findet. Der Rest ist dann eine interaktive Spielerei ohne Erkenntnisgewinn. Schon gar nicht für all jene, die heute schon wissen, dass sie als Rentner auch wieder nur arme Schlucker sein werden, bemitleidet von Leuten, die immer gut verdient haben, denen aber der “Wohlstand” der anderen immer egal war.

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Zumindest leiden grundsicherungsaufgestockte Rentner nicht an dem Phänomen ihr Lebensalter zu niedrig anzusetzen. Und sie werden der steuerzahlenden Bevölkerung auch nicht über Gebühr zur Last fallen. Schließlich haben arme Menschen auch in Deutschland eine um 12 Jahre niedrigere Lebenserwartung im Vergleich zum Mittelstand

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