Die Mieten steigen. Auch in Leipzig. Ein Dauerbrenner in der Diskussion. Im am Freitag, 2. September, veröffentlichten Quartalsbericht der Stadt Leipzig versuchen Johannes Heinemann und Andrea Schultz, beide Mitarbeiter im Amt für Statistik und Wahlen, dem unheimlichen Thema mal mit Zahlen und Fakten zu Leibe zu rücken. Dabei finden sie einen Schuldigen für die Misere, der gern so tut, als hätte er überhaupt keine Schuld daran.

Denn eine Misere ist es. Für alle Beteiligten – Mieter, Vermieter, Bauherren, Stadt. Alle sind sich eigentlich einig darin, dass man in Leipzig wieder ordentlichen Wohnungsbau braucht. Und möglichst zu Kosten, die am Ende Mieten ergeben, die die Leipziger auch bezahlen können. Denn selbst der schönste Wohnungsbau nützt nichts, wenn am Ende Mieten verlangt werden, die nur eine kleine Gruppe von Spitzenverdienern noch bezahlen kann.

Mehr Wohnungen gebaut

Dass die Investoren sehr wohl erkannt haben, dass in Leipzig Nachschub gebraucht wird, zeigen schon die Zahlen zur Bautätigkeit: Mit 2.286 fertiggestellten Wohnungen wurde im Jahr 2015 ein neuer Spitzenwert ereicht. 2014 waren es noch 1.465. Was trotzdem zu wenig ist. OBM Burkhard Jung geht von 4.000 Wohnungen aus, die beim gegenwärtigen Bevölkerungswachstum jedes Jahr gebraucht werden. Selbst wenn man konservativ rechnet und davon ausgeht, dass nicht nur 1,75 Bewohner in jeder Wohnung leben, sondern vielleicht sogar dreiköpfige Familien, dürften eher 3.000 als nur 2.000 neue Wohnungen gebraucht werden. Und zwar zu einer Miete, die sich nicht wirklich krass von den 5,29 Euro unterscheidet, die mit der „Bürgerumfrage 2015“ als durchschnittliche Grundmiete der Leipziger ermittelt wurden. 2014 waren es kurz mal 5,38 Euro gewesen. Das Leipziger Mietpreisniveau steigt zwar – aber nicht so rasant, wie mancherorts zu lesen.

Andererseits doch.

Denn was die „Bürgerumfrage 2015“ bestätigt hat, bestätigt auch die Auswertung von Heinemann und Schultz: Der rasante Anstieg vor allem der Angebotsmieten – also dem, was auf dem freien Wohnungsmarkt als Mietpreis genannt wird – findet vor allem in der kompakten Innenstadt statt, dort, wo in der letzten Zeit sehr viel neu gebaut wurde, wo auch die Lücken bebaut werden und die Investoren damit rechnen können, dass diese Quartiere bei Besserverdienenden stark nachgefragt sind. Und das hat eher nichts mit der Spekulationslust einzelner Vermieter zu tun, schätze Dr. Ruth Schmidt, die Leiterin des Amtes für Statistik und Wahlen, die Zahlen am Freitag ein.

Neubaukosten steigen seit 2013 rasant

Denn so ein Effekt würde sich ja auch im älteren Wohnungsbestand zeigen, der zur Neuvermietung kommt. Da steigen die Angebotsmieten zwar auch an, seit die Statistiker jedes Jahr einmal die Mietangebote der Empirica-Preisdatenbank auswerten – aber deutlich langsamer als in einem Segment, das scheinbar völlig aus dem Rahmen fällt: nach 2005 gebauten Wohnungen. Was kein Zufall ist, denn hier greifen alle Gesetze, die der Bund in den letzten Jahren für den Wohnungsbau in Deutschland erlassen hat – von der Barrierefreiheit über die sicherheitstechnische Ausstattung bis zur energetischen Aufrüstung.

Noch 2012 konnten Wohnungen dieser jüngeren Bauklasse auch in Leipzig mit durchschnittlicher Nettokaltmiete von 5,90 Euro je Quadratmeter auf den Markt gebracht werden. Aber seitdem greift eine neue Bauvorschrift nach der anderen und macht es – selbst bei größter Sparanstrengung – unmöglich, noch neue Wohnungen unter einem Mietpreis von 8,50 Euro zu bauen.

Es ist die bundesdeutsche Gesetzgebung, die sich hier als Preistreiber erwiesen hat. Und das auch mit dem Verdacht, dass man damit vor allem die Lobbyinteressen der deutschen Dämmstoffindustrie bedient, die sich an diesen neuen Bauvorschriften eine goldene Nase verdient. Ab 2013 macht sich bemerkbar, wie diese Teuerung am Bau dafür sorgte, dass sich das Segment der Neubauwohnungen völlig von der Vermietungstendenz im älteren Wohnungsbestand löste. Die Steigerung auf 6,48 Euro im Durchschnitt schien 2013 noch verkraftbar, aber schon 2014 schnellte der Median auf 9,02 Euro, was für die meisten Leipziger nicht nur jenseits von Gut und Böse ist, sondern völlig unerschwinglich. 2015 sprang der Wert dann auf 10,05 Euro.

Über den Mietwerten im Altbau lag der Neubau seit 1990 schon immer. Aber der Abstand betrug im Schnitt nur einen Euro – wo im Altbestand für 5 Euro vermietet wurde, kam man bei den neu gebauten Wohnungen auf 6 Euro. Das lag noch immer im Einkommensbereich der meisten Leipziger und das prägt nach wie vor auch das Niveau der Angebotsmieten, also den Durchschnitt dessen, was bei Neuvermietungen in Leipzig verlangt wird: von 5 Euro im Jahr 2012, als zwischen Mietbestand und Neuvermietung praktisch keine Preislücke klaffte, stieg der Durchschnitt der Angebotsmieten auf 5,75 Euro je Quadratmeter, liegt also jetzt knapp 50 Cent über dem Bestandsniveau.

Die meisten Leipziger leben übrigens in Wohnungen mit einem Mietpreis zwischen 4,92 und 5,83 Euro je Quadratmeter.

Aber alle Kurven steigen leicht an. Es macht sich bemerkbar, dass viele attraktive Wohnviertel schon seit Jahren „dicht“ sind, neue Wohnungen dort praktisch nur noch durch Lückenneubau dazukommen. Und im gesamten Herzen der Stadt – von Waldstraßenviertel bis Südvorstadt, vom Grafischem Viertel bis Schleußig – hat sich das Niveau der Angebotsmieten deutlich erhöht und liegt mit über 6,50 Euro deutlich auch über den Mietangeboten in nicht so zentralen Vierteln, wo eher 5 Euro bis 6 Euro verlangt werden.

Lindenau und Plagwitz verzeichnen überdurchschnittlich starke Mietpreissteigerungen

Aber immer mehr Stadtteile werden mittlerweile von dem heftigen Aufwärtstrend erfasst. Derzeit kocht die Problematik ja in Lindenau und Plagwitz hoch, wo die Empirica-Zahlen 2012 noch Angebotsmieten zwischen 4,93 Euro in Lindenau und 5,28 Euro in Plagwitz auswiesen. Drei Jahre später lag der Median in Lindenau schon bei 6,40 Euro, in Plagwitz bei 6,10 Euro.

Da kann man sich natürlich in Ämtern und Behörden hinsetzen und so tun, als sei nichts passiert. Aber die zunehmende Attraktivität beider Ortsteile hat unübersehbar zu einem deutlichen Sprung bei Neuvermietungsangeboten geführt. Und zwar auf eine Höhe, bei der Normal- und Geringverdiener in diesen Vierteln nicht mehr mithalten können.

Das bestätigt zwar die Aufwertungsstrategie, die man 2000 mit der Teilnahme an der EXPO 2000 gestartet hat, aber es zeigt auch, dass es in Leipzig keine Strategie des Gegensteuerns gab und gibt – nicht beim Erhalt von Wohnstrukturen jenseits des reinen Mietwohnungsmarktes noch bei der Schaffung neuen bezahlbaren Wohnraums. Die Aufwertung wird für einige Bewohnergruppen zum erlebbaren Verdrängungsprozess. Und zwar für etliche, die gerade vor 10 bis 5 Jahren in den Leipziger Westen als Wohnpioniere gegangen sind und die erst dafür gesorgt haben, dass wieder Leben in die öden Straßen kam. Das hat nur ihrem Einkommen in der Regel nicht viel geholfen. Und die Frage steht natürlich: Wohin können sie nun ausweichen? Nach Grünau wohl eher nicht.

Zu Grünau kommen wir gleich.

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