Der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) hat mal wieder die Leute befragt – in diesem Fall die Bürgermeister. Der VDI ist die Truppe, die nun seit Jahren Kampagnen macht, weil sie meint, es gäbe zu wenige Ingenieure im Land. Er kämpft aber nicht nur für mehr Ingenieure, er versucht auch lauter Ingenieurprodukte salonfähig zu machen, denn so nebenbei betreibt der Verein auch noch „fünf privatwirtschaftlich organisierte Unternehmen, die gewinnorientierte Ziele verfolgen“, wie es Wikipedia so salopp formuliert.

Er ist einer jener Lobbyverbände, die seit Jahren auch Druck machen, damit alles, was nicht bei Drei auf dem Baum ist, digitalisiert ist.

Diesmal hat man sich wieder mal die Kommunen vorgenommen. Die müssen die ganzen Digitalisierungsprojekte ja irgendwie aus Steuergeldern bezahlen, auch wenn das Zeug teuer ist, oft nicht kompatibel, selten praxistauglich und deshalb oft erst mit hohem Kosteneinsatz anzupassen. Dazu kommen enorme Datenmengen, die nicht nur irgendwo gespeichert werden müssen, sondern auch noch irgendwohin übertragen und auch noch geschützt werden müssen. Zum Beispiel gegen diverse Hacker. Der Preis der Digitalisierung wird meistens weggelassen. Man redet von ihr, als wäre sie schon per se die Beglückung. Obwohl sich jeder Kämmerer vorm nächsten Update fürchtet, das ihm wieder die Rechnung verhagelt.

Man hat gar nicht alle Bürgermeister gefunden: „Zunächst wurden die E-Mail-Adressen der 11.084 (Ober-)Bürgermeister in Deutschland recherchiert. Für 8.307 Personen konnte eine E-Mail-Adresse ermittelt werden. Bei kleinen Gemeinden unter 500 Einwohnern war dies häufig nicht möglich. Alle 8.307 Personen, für die eine E-Mail-Adresse vorlag, wurden angeschrieben und eingeladen, an der Online-Umfrage teilzunehmen. Von diesen haben 850 Personen an der Befragung teilgenommen. Das entspricht einer Teilnahmequote von 10,2 %.“

Das könnte ein Bild geben. Aber das tut es nicht. Dazu ist das Thema Digitalisierung zu komplex. Es wollen ja viele Leute was dran verdienen.

„42 Prozent der deutschen Kommunen sind nur teilweise auf die mit der Digitalisierung einhergehenden Veränderungen vorbereitet. Ein Fünftel fühlt sich sogar schlecht aufgestellt“, meint der VDI. Merkt aber selbst an, dass all die digitalen Spielzeuge, die man unbedingt auch in den Kommunen umgesetzt sehen will, in Summe zu teuer sind, damit diese sie auch bezahlen können. Doch was hindert die Kommunen an der Digitalisierung? Hier werden von den Befragten vor allem finanzielle (53 %), als auch technische (46 %) Hürden genannt. Technisch wird fast ausschließlich der fehlende Breitbandanschluss in den Gemeinden genannt.

Digitalisierung ist ein Querschnittsthema und kann sowohl in der Privatwirtschaft (Breitbandausbau), als auch in Verwaltungsabläufen und der Stadtinfrastruktur (z. B. Mobilität) zu weitreichenden Verbesserungen führen, merkt der VDI noch an.

„Vom papierlosen Büro über die digitale Verwaltung bis hin zur Smart-City – die Potenziale der Digitalisierung gewinnbringend zu nutzen, sind in den Kommunen noch lange nicht ausgeschöpft“, sagt Dipl.-Ing. Christof Kerkhoff, Geschäftsführer der VDI-Gesellschaft Fahrzeug- und Verkehrstechnik. Man hat also höchstes Interesse daran, mit Digitalisierung Geld zu verdienen. Denn Kommunen, die sich digital aufrüsten, können nicht wieder aussteigen. Wenn die Systeme implementiert sind, müssen sie gewartet, immerfort modernisiert und mit neuer Software gesichert werden. Das ist eine endlose Beschaffungspolitik.

Und die Frage steht: Muss wirklich alles digitalisiert werden?

Es gibt in Deutschland niemanden, der mal ausrechnet, was das alles kostet. Und vor allem: In welche Zwänge Kommunen damit kommen. Und welche Einsparungen es wirklich bringt.

Die Lobby macht Druck. Denn wenn alle Kommunen mit allen ihren Lebensfunktionen digitalisiert sind, dann sind sie im Zyklus gefangen. Die forcierte Kampagne zur Digitalisierung der Mobilität hat Kerkhoff ja genannt: Das endet dann bei fahrerlosen Autos, Bussen und Bahnen. Eine Technikwelt, in der Menschen nur noch Fahrgäste sind.

Und dasselbe erträumen die Verfechter der digitalen Systeme für die ganze Stadt: kommunizierende Systeme überall. Das steckt in der aktuellen Kampagne „Smart City“, die auch in Leipzigs Verwaltung schon starke Fürsprecher hat. Der VDI verkauft das mit einem Spruch wie diesem: „Smart-City-Konzepte könnten die ökonomische, ökologische und soziokulturelle Zukunftsfähigkeit der Kommunen verbessern.“

Das ist der aktuell forcierte Glaube, kluge kybernetische Systeme könnten all die Probleme lösen, die chaotische Menschen durch ihr Handeln verursachen. Wirklich? Das Wörtchen „könnten“ ist wichtig. Denn ob solche „smarten“ Systeme das wirklich können, ist noch nicht einmal erwiesen. Man testet es nicht einmal aus. Man möchte die Technologie installieren, bevor man weiß, ob sie das bringt. Gar „soziokulturelle Zukunftsfähigkeit“. Das ist der tiefsitzende Technologieglaube, man müsse nur kluge Maschinen konstruieren, schon lösen sich die Probleme.

Schon der Blick auf die maschinell dummen „social media“ zeigt, dass das nicht funktioniert. Technologien neigen eher dazu, menschliche Fehlbarkeit zu potenzieren. Und die Sache damit noch zu verschlimmern. Man umstellt den konsumierenden Menschen mit Technologie, macht ihn davon abhängig und dann? – Dann stellt er irgendwann fest, dass er nicht nur komplett überwacht und ausgelesen ist, er hat auch keine Freiräume mehr, der Kontrolle zu entwischen. Mit der elektronischen Lesbarkeit des Ausweises geht es los, mit der Abschaffung des Bargelds geht es weiter, mit der digitalen Kontrolle des Kassenpatienten ebenso wie mit der Vergabe elektronischer Nutzungsberechtigungen. Alles schon machbar.

Man versteht ja die Ingenieure: Wenn man technische Tools entwickelt, mit denen menschliches Handeln ersetzt werden kann, dann möchte man die auch verkaufen. Flächendeckend natürlich.

In der Umfrage ging es übrigens auch um andere Bereiche, in denen die Kommunen selbst finanziell völlig überfordert sind: Verkehrsmodernisierung, Energieeffizienz und Ressourceneffizienz. Es gibt erstaunlich viel, was man von den Kommunen erwartet. Aber die Steuern sollen sinken.

Bei diesen Themen wird noch deutlicher, was die Herren Ingenieure da eigentlich verlangen. Denn augenscheinlich gibt es nicht einmal einen Anbieter, der solche Effizienzsysteme für die Anwender bezahlbar herstellt. Jede Kommune muss sie sich selbst zusammenbauen. Oft aus völlig unzulänglichen Bausteinen, die mal für völlig andere Zwecke programmiert wurden.

Smart Cities sind durchaus vorstellbar. Aber erstaunlicherweise brauchen sie mehr statt weniger Personal. Das wird beim Thema Bürgerbeteiligung deutlich. Denn vorstellbar ist durchaus, dass Kommunen mit ihren Bürgern über alle wichtigen Themen kommunizieren. Aber dafür braucht man Leute, die die Beteiligung organisieren und dann an den Rechnern sitzen. Nur Ingenieure glauben, dass Roboter das besser können.

Denn einen Verdacht kann die Umfrage nicht ausräumen: Dass die Menschen vielleicht gar keine Welt wollen, in der Maschinen alles für sie machen und niemand mehr da ist, der Verantwortung übernimmt. Vielleicht sind Städte der Zukunft tatsächlich smart – aber da, wo Regeltechnik Sinn macht, nicht da, wo Menschen ihr Gemeinwesen gestalten wollen.

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