Eigentlich ist es logisch und folgerichtig: Wenn der Nachschub an Arbeitskräften stockt, sinkt die Arbeitslosigkeit. Dann kommen auch Menschen in einen Job, die vorher mit Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen abgespeist worden wären. Und wo der Vorsitzende der Geschäftsführung der Leipziger Agentur für Arbeit Freudenlieder singt, ist eigentlich längst jede Alarmsirene in Gang. Die schönen Zahlen verbergen das Drama nur.

„Die Arbeitsmarktentwicklung im Mai war sehr gut. Mit 7,7 Prozent lag die Arbeitslosenquote in Leipzig so niedrig, wie noch nie in einem Monat seit dem Jahr 1991. Die Nachfrage nach Arbeitskräften ist anhaltend hoch und die Zahl der Arbeitslosen geht kontinuierlich zurück. Bei der Integration von Menschen in neue Arbeitsstellen setzen wir darauf, die Menschen fit zu machen für unseren dynamischen Arbeitsmarkt. Mit Beratung und Qualifizierung arbeiten wir gemeinsam mit den Unternehmen an der Integration der Arbeit Suchenden. In Leipzig profitieren davon auch zunehmend langzeitarbeitslose Menschen – das bestärkt uns darin, dort weiter zu investieren“, meint der Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Steffen Leonhardi bei der Vorstellung der monatlichen Arbeitsmarktentwicklung.

Jubilo?

Dafür gibt es keinen Grund. Denn wenn die Zahl der gemeldeten Arbeitsstellen noch in irgendeiner Relation zu den registrierten Arbeitslosenzahlen steht, dann bekommen Leipzigs Unternehmen da ein saftiges Problem.

Die Jubelmeldungen der Arbeitsagentur suggerieren, dass die Behörde glaubt, es tatsächlich lösen zu können.

Aber selbst Leonhardi bekommt mit, dass da etwas Wichtiges fehlt.

„Unsere täglichen Kontakte zu den Arbeitgebern Leipzigs zeigen uns, dass die Anforderungsprofile von Stellen und die zur Verfügung stehenden Qualifikationen von Bewerberinnen und Bewerbern nicht immer ausreichend zusammenpassen“, meint er und glaubt, es lösen zu können: „Unser Ziel ist es weiterhin, die berufliche Qualifizierung von Menschen am konkreten Bedarf der Betriebe auszurichten. Die Kolleginnen und Kollegen in unserem gemeinsamen Arbeitgeberservice der Arbeitsagentur und des Jobcenters Leipzig beraten die Unternehmerinnen und Unternehmer gerne zu den finanziellen Unterstützungsmöglichkeiten bei der Einstellung und zu den Möglichkeiten der Weiterbildung.“

Dabei geht es meist nicht um Weiterbildung in dem Sinn, sondern um das Fehlen grundlegender Qualifikationen, die sich durch die üblichen von Arbeitsagentur und Jobcenter angebotenen Lehrgänge nicht ausgleichen lassen.

Deswegen kommen tatsächlich viel weniger Menschen wieder in Arbeit, als es der Bedarf des Leipziger Arbeitsmarktes eigentlich aussagt. Denn die Zahl der gemeldeten Arbeitsstellen hat wieder einen Rekordstand erreicht, stieg um 3,9 Prozent gegenüber dem Vormonat auf nunmehr 6.405 Stellen.

Was ja auch die Umfragen der Kammern bestätigen: Sie suchen verstärkt nach Personal, melden den Fachkräftemangel als steigendes Problem – müssen aber gleichzeitig verbuchen, dass der ausbildbare Nachwuchs fehlt.

Welche Dynamik in der Arbeitskräftenachfrage steckt, zeigen diese Zahlen aus der Arbeitsagentur: Die Wirtschaft und die Verwaltung haben in den zurückliegenden vier Wochen 2.083 freie Stellen, das waren 73 mehr als im April und 143 mehr als vor einem Jahr, zur Besetzung gemeldet.

Das heißt: Tatsächlich werden freie Stellen sogar sehr schnell wieder besetzt. Aber nicht vorrangig mit den Klienten der Arbeitsagentur, sondern mit zuwandernden Arbeitskräften, die in Leipzig und Umgebung eine neue Heimat finden.

Die Wirtschaft läuft stabil, Verdichtungsprozesse sind unübersehbar. Das befeuert die weitere Zuwanderung.

Dass gerade Leipzig dabei besonders dynamisch läuft, zeigt der Vergleich mit den sächsischen Zahlen.

„Im Mai haben sächsische Betriebe insgesamt 9.757 freie Stellen gemeldet. Das waren 551 weniger Stellen als im Vormonat und 71 weniger als im Mai 2016“, meldet die sächsische Arbeitsagentur. Ein Rückgang? Während in Leipzig die Stellenmeldungen zunehmen? Über 6.000 dieser Stellen werden in Leipzig angeboten.

Da braucht man keinen Taschenrechner, um sich auszurechnen, was das für eine Sogwirkung entfaltet. Und wie sehr die hier angebotenen Jobs vor allem den Zuwandernden zugute kommen, die in der Regel jung und gut ausgebildet sind.

Ergebnis:

Im Mai waren 6.638 Menschen im Rechtskreis SGB III in der Arbeitsagentur arbeitslos gemeldet. Das waren 349 weniger als im Vormonat, aber über 1.000 mehr als im Vorjahr.

Im Rechtskreis SGB II („Hartz IV“) waren 16.404 Menschen im Jobcenter Leipzig arbeitslos registriert. Das waren 442 weniger als im April 2017.

Welche Branchen in Leipzig Arbeitskräfte suchen. Grafik: Arbeitsagentur Leipzig
Welche Branchen in Leipzig Arbeitskräfte suchen. Grafik: Arbeitsagentur Leipzig

In Leipzig gab es im Mai 39.151 Bedarfsgemeinschaften. Das sind 286 weniger als im Vormonat und 1.512 weniger als im Mai des Vorjahres. Das Jobcenter Leipzig betreut aktuell 48.836 erwerbsfähige Leistungsberechtigte. Im Vergleich zum Vormonat betrug dort der Rückgang 571 Personen. Im Vergleich zum Vorjahr sank die Zahl um 1.068 Personen.

Fazit: Die Leipziger Arbeitsagentur profitiert einfach davon, dass die Wirtschaft in Leipzig seit 2012 richtig in Schwung gekommen ist. Die Landesarbeitsagentur weiß mittlerweile auch zu sagen, in welchen Branchen tatsächlich die meisten neuen Jobs entstehen:

Nach wie vor verzerrt die Zeitarbeit das Bild, die sich nach den ganzen „Hartz“-Reformen genau da platziert hat, wo eigentlich die Arbeitsagentur sitzen müsste: Als Vermittler von Arbeitskräften in Jobs. Als Sachsen in Not war, machte das vielleicht noch Sinn. Aber mittlerweile haben wir einen ausgedünnten Arbeitsmarkt, auf dem Fachkräfte fehlen. Viele Unternehmen aber wenden sich nicht an die Arbeitsagentur, sondern lassen über Zeitarbeitsfirmen suchen.

Das könnte man auch outgesourcte Vermittlungsarbeit nennen.

Dabei sind es ernsthafte Branchen, die dahinterstecken – denn gerade Betriebe aus dem Verarbeitenden Gewerbe signalisieren mit sachsenweit gesuchten 4.402 Arbeitskräften hohen Bedarf, gefolgt von Gesundheits- und Sozialwesen (3.362), Handel/Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeugen (2.841), Baugewerbe (2.723) und Information und Kommunikation (1.688).

Das verschiebt sich auch mit Blick auf Leipzig nur wenig, nur dass die Zeitarbeitsfirmen hier noch viel stärker dominieren und über 90 Prozent der Industriearbeitsplätze vermarkten. Das verzerrt den ganzen Markt natürlich. Die Statistik sowieso.

Lichtblick auf dem Feld der Integration: 4.270 Ausländer sind gegenwärtig in Leipzig arbeitslos gemeldet. Das waren 80 weniger als im April und 206 weniger als im Mai 2016. So langsam kommen also auch die Neuankömmlinge in Arbeit.

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