Wie Sie sicher bemerkt haben, umkreisen wir mit den Artikeln zum Quartalsbericht 2/2017 auch eine nicht ganz unwichtige Frage, die eigentlich im Bundestagswahlkampf eine Rolle spielen sollte – aber gar nicht spielt. „Gerechtigkeit“ flimmert da und dort zwar immer auf. Aber wie landen Menschen eigentlich in ungerechten Zuständen? Und warum kommen sie da von allein nicht wieder raus?

Dass es etwas mit Einkommen und Erwerbsarbeit zu tun hat, wurde ja bei den von Peter Dütthorn gesammelten Zahlen zur Arbeitslosigkeit schon sichtbar. Augenscheinlich haben wir ein Wirtschaftssystem, das nur geringe Freiräume für all das zulässt, was Menschen mal als Familienleben kannten. Hier sorgen Arbeitszeiten dafür, dass die Zeit für Persönliches fehlt und die Arbeitskraft von einer hochtourigen Arbeitswelt fast völlig absorbiert wird, dort wird mit prekären Beschäftigungen das Geld knapp gehalten, so dass für die notwendigen Investitionen in ein stabiles Familienleben keine Spielräume da sind. Und zu viel Familie wird auch bestraft, gerade wenn man in der großen Landschaft prekärer Arbeitsverhältnisse steckengeblieben ist – dann wird jedes weitere Kind zum Armutsrisiko.

Das bedeutet eben auch, dass viele Menschen schon frühzeitig steckenbleiben in einem Leben, in dem weder Partnerinnen oder Partner noch Kinder einen Platz finden. Die heutigen Großstädte sind ein statistisches Beispiel dafür, was da passiert. Die Statistiker schauen zwar Jahr für Jahr verwundert auf die steigende Zahl von Ein-Personen-Haushalten, nennen diese aber immer noch Single-Haushalte, als wäre Single-Dasein eine Art selbst gewählte Lebensform im 21. Jahrhundert und nicht Ergebnis einer schleichenden Katastrophe, die immer mehr Menschen die Gründung einer Familie unmöglich macht.

Wir hatten schon erwähnt: Entsprechende wissenschaftliche Untersuchungen zu den Ursachen des nicht entstehenden Familienlebens gibt es nicht. Das Thema liegt am Wegrand – nur die Forscher scheinen sich dafür so wenig zu interessieren wie die Politiker.

Für eine Großstadt wie Leipzig bedeutet das, dass selbst der prozentuale Anteil von Single-Haushalten Jahr für Jahr wächst. 2016 – so stellt Andreas Martin in seinem Beitrag „Struktur der Privathaushalte 2016“ fest – wurde eine neue Höchstmarke erreicht: 53,6 Prozent der 330.948 Leipziger Haushalte waren Ein-Personen-Haushalte. Genau: 177.035 Haushalte. Und das hat eben nicht nur mit der wachsenden Zahl von Senioren zu tun, die irgendwann allein in ihrer Wohnung leben.

Da lohnt der Blick in die „Bürgerumfrage 2016“. Danach lebten 66 Prozent der „Singles“ von einem Erwerbseinkommen. Das heißt: 117.000 Leipziger lebten allein, obwohl sie mitten im Erwerbsleben standen bzw. noch immer stehen. Die Lage bessert sich ja nicht wirklich. Im Gegenteil: Jedes Jahr kommen hunderte junger Menschen hinzu, die zwar irgendwie ins Arbeitsleben eingetreten sind, aber keine Familie gründen.

Auch deshalb blühen die Single-Börsen, in denen versucht wird, die von einem unstrukturierten Erwerbsleben gestressten jungen Leute irgendwie zu verkuppeln für teuer Geld. Was – wenn man die Zahlen anschaut – wohl eher nicht gelingt.

Man kann nur vermuten, welche Problemlagen das bewirkt und wie ätzend die moderne Hektik und Abgelenktheit für die Gründung stabiler Partnerschaften ist. Die prekären Umstände des Arbeitens kommen dann noch verschärfend dazu. Tatsächlich wird eine Menge Energie dadurch gebunden, in einem überdrehten Wettbewerb noch mithalten zu können. Was für Alleinlebende eine doppelte Krux ist – denn ihnen fehlt dann irgendwann die Batterie: das stabile Umfeld einer Familie.

Was ganz bestimmt eine Ursache dafür ist, dass „Singles“ mit 18 Prozent Anteil deutlich stärker von Arbeitslosigkeit betroffen sind als zum Beispiel Paare mit oder ohne Kinder, wo es nur 3 bis 4 Prozent sind.

Aber noch eine Gruppe bekommt die harten Bandagen des modernen Erwerbslebens zu spüren: Das sind die Alleinerziehenden, die mit 65 Prozent eine ähnlich hohe (bzw. niedrige) Beteiligung am Erwerbsleben haben wie die „Singles“, mit 32 Prozent aber noch deutlich heftiger von Arbeitslosigkeit betroffen sind.

Dass „Singles“ etwas weniger „arbeitslos“ sind, hat natürlich mit den vielen Studierenden in Leipzig zu tun, die zwar meist in Ein-Personen-Haushalten leben, aber halt noch nicht im Erwerbsleben stehen.

Jetzt können natürlich die Psychologen grübeln, ob „Singles“ öfter arbeitslos sind, weil sie „Singles“ sind, oder ob ihr prekäres Erwerbsleben dafür sorgt, dass sie allein bleiben und keine Partner/Partnerin finden. Denn wenn die Haushaltskasse leer ist, fehlt logischerweise auch das Geld für alle Arten von gesellschaftlicher Teilhabe – vom Restaurantbesuch bis zum Kino, vom Kauf eines Straußes Blumen bis hin zum gemeinsamen Urlaub.

Die Bürgerumfrage gibt zumindest auch einen Fingerzeig, wie es um die Einkommen der Singles bestellt ist. 43 Prozent von ihnen müssen mit monatlichen Haushaltsnettoeinkommen von unter 1.100 Euro auskommen. Das muss man nicht extra erklären: Das ist Armut.

Wie viele knapp drüber liegen, lässt sich leider mit dem grobmaschigen Raster der Statistiker nicht ermitteln. Denn die fragen dann eine riesige Einkommensspanne von 1.100 bis 2.300 Euro ab, obwohl sie ganz genau wissen, dass die meisten Leipziger eher knapp über 1.100 Euro im Monat zur Verfügung haben. Single-Haushalte zum Beispiel 1.262 Euro im Median, was 2016 nicht einmal halb so viel war, wie Paare ohne Kinder zur Verfügung hatten: 2.814 Euro.

Wirklich gut verdient (mehr als 2.300 Euro netto) haben nur 10 Prozent der Alleinlebenden.

Das alles sind nur statistische Hinweise darauf, wohin die moderne und nach wie vor in vielen Teilen prekäre Arbeitswelt führt und dass sie augenscheinlich auch jene wichtigen Ressourcen zerstört, die Menschen brauchen, um eine richtige Familie zu gründen. Und ihr Anteil wächst in Leipzig unübersehbar. Was ganz bestimmt auch politische Folgen hat. Denn wer keine Familie gründet, wird auch kaum für eine gute Familienpolitik eintreten. Der hat zwar so ein finanziell begründetes Gefühl, dass falsche Familienpolitik nicht nur Familien belastet, sondern auch Familiengründungen erschwert und behindert. Aber wo artikuliert sich das? Wo dockt das politisch an? Wenn nicht in Wahlenthaltung, zunehmenden Ressentiments und einer zunehmenden Vereinzelung, die für eine lebendige Gesellschaft eigentlich gefährlich ist?

Da hat man dann zwar ein großes Heer emsiger Arbeitsdrohnen, die täglich zur Arbeit ausschwärmen – aber sie gründen keine Familien. Ihnen genügen dann existierende Stadtstrukturen – aber sie werden nicht aktiv, um sie familientauglicher zu machen. Zum Beispiel mit mehr familientauglichen Wohnungen zu familientauglichen Preisen in kindertauglicher Umgebung und familientauglichen Versorgungsstrukturen.

Da haben wir jetzt aber ein Feld aufgemacht – aber alle Zahlen deuten darauf hin, dass hier ein Problem herangereift ist, für das es auf politischem Parkett ganz unübersehbar keine taugliche Vertretung gibt.

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