Der Oktober ist vorbei. Die Leipziger Arbeitsagentur meldet weiter sinkende Arbeitslosenzahlen. Mittlerweile steht eine Arbeitslosenquote da, die man vor ein paar Jahren noch für eine bayerische hätte halten können: 7,2 Prozent. Trend: Es geht weiter abwärts. Die sächsische Arbeitsagentur spricht sogar von einem „historischen Tief“, denn der Freistaat hat mittlerweile nur noch eine Quote von 6,1 Prozent. Und trotzdem steckt das Land im politischen Furor.

Was natürlich auch damit zu tun hat, dass der besonders starke Rückgang der Arbeitslosenquote in den Landkreisen eben nichts damit zu tun hat, dass dort die Wirtschaft boomt. Weder im Erzgebirge (Annaberg-Buchholz: 4,7 Prozent) noch in der Sächsischen Schweiz (Pirna: 5,1 Prozent). Es sind die dreieinhalb Großstädte, die immerfort neue Arbeitsplätze zu bieten haben und die nun seit zehn Jahren regelrecht alles, was irgendwie Köpfchen hat, absaugen aus den sächsischen Provinzen.

Die Folgen dieser Bevölkerungswanderung hat die jetzige Staatsregierung noch nicht einmal begriffen. Sie schaut dem Ganzen zu wie einem Naturereignis – und hat mit ihren ganzen Sparmaßnahmen in den Infrastrukturen den Abwanderungstrend noch verstärkt.

Stattdessen singt man landauf, landab das Lied vom Breitbandausbau. Als wenn starke Glasfaserleitungen in der Lausitz oder Mittelsachsen irgendetwas ändern würden, außer der besseren Verfügbarkeit von Unterhaltungssoftware für die Zurückgebliebenen.

Ein Konzept, die wirtschaftlichen Veränderungen in Sachsen zu gestalten und mit Bildungs-, Gesundheits- und Mobilitätsstrukturen zu verknüpfen, ist nicht in Sicht. Zehn Jahre wurden verplempert. Und mit der vergeigten Kommunikation zur großen Aufnahmeaktion von Flüchtlingen im Jahr 2015 hat Sachsens CDU (im schönen Zusammenspiel mit überdrehten Medien) gänzlich die Stimmung kippen lassen. Der Ich-möchte-ja-eigentlich-nicht-Ministerpräsident kritisierte die Bundeskanzlerin ja sogar öffentlich für ihr eher mageres „Wir schaffen das“.

Eine Stimme, die sich deutlich vernehmen ließ mit einem laut hörbaren „Das ist unsere verdammte Pflicht und Schuldigkeit“ war schlicht nicht zu hören.

Im Gegenteil, das Gemoser auf höchster und tiefster Ebene geht weiter.

Und die Abwanderung aus der Provinz auch.

Binnen eines Jahres hat Leipzig wieder 6.844 Arbeitsplätze geschaffen. So zumindest war der Stand im März. Und der Hunger ist noch immer nicht gedeckt. Die Leipziger Arbeitsagentur versucht zwar wieder, sich auf alle drei Schultern zu klopfen für ihre tolle Geschäftspolitik.

Aber daran, dass sie tatsächlich die Institution ist, die den Leipziger Arbeitsmarkt ankurbelt, darf gezweifelt werden. Tatsächlich ist sie eine Mangelverwalterin. Die Zahlen sagen es überdeutlich. Und den größten Mangel produziert genau jene Staatsregierung, die das sächsische Gejammer zu verantworten hat.

„Bei den jungen Menschen bis 25 Jahren sank die Zahl der Arbeitslosen in den letzten vier Wochen um 174 auf 1.980 (Vorjahr: 2.000)“, meldet Leipzigs Arbeitsagentur. Aber diese Zahlen sind peinlich für ein Land, in dem immer mehr Stellen nicht besetzt werden können und auch immer mehr Lehrstellen nicht.

Es ist ein Ergebnis des desolaten Bildungssystems. Ein Land, das auch zehn Jahre nach der unüberhörbaren Warnung der Wirtschaftskammern, dass der Nachwuchs sich halbiert, noch immer 10 Prozent Schulabgänger ohne Abschluss vorweist, hat in der Bildungspolitik schlicht versagt. Da helfen alle geschönten Vergleichstests nicht.

Denn jedes Null-Abgangszeugnis bedeutet, dass die jungen Leute noch einmal eine Extra-Runde drehen müssen, um Abschluss und vielleicht doch noch irgendeine Berufsqualifikation hinzubekommen. Ein dauerhaft hoher Sockel von 2.000 jungen Menschen, die arbeitslos sind, ist eigentlich ein Unding.

Und zwar gerade vor dem Hintergrund, dass 2.987 Lehrstellen nicht besetzt werden konnten. Das sind zwar ein paar weniger als vor einem Jahr (3.031). Was aber höchstwahrscheinlich mit unseren vieldiskutierten Geflüchteten zu tun hat. Denn viele von ihnen sind unter 24 Jahre, etliche haben zwar auch keinen nachweisbaren Schulabschluss (auch da fehlt das staatliche Förderprogramm), aber die, die einen Abschluss haben, werden von vielen Unternehmen mit Kusshand genommen. Die Zahl der als arbeitslos registrierten Ausländer sinkt. Und zwar stärker als bei Langzeitarbeitslosen und älteren Arbeitnehmern.

Gemeldete Arbeitsstellen nach Branchen. Grafik: Arbeitsagentur Leipzig
Gemeldete Arbeitsstellen nach Branchen. Grafik: Arbeitsagentur Leipzig

Was die Probleme nicht lösen wird. Offiziell waren im Oktober 4.120 Ausländer als arbeitslos registriert (ein Rückgang von 4,6 Prozent).

Aber den eigentlichen Rekord meldet die Arbeitsagentur bei den als frei gemeldeten Stellen: 7.358 waren es, über 1.000 mehr als vor einem Jahr. Und da hat der Freistaat immer noch nicht angefangen, wirklich ehrlich Personal zu rekrutieren und dem vom Alterskollaps bedrohten Staatsapparat wieder frisches Blut zuzuführen. Alles qualifizierte Jobs. Sogar aus Eigeninteresse hätte Sachsen sein Bildungssystem gründlich renovieren müssen.

Aber feige Politik führt zu Stillstand.

Und die Feigheit der konservativen Politik besteht nun einmal darin, dass sie alles reglementieren und kontrollieren will. „Keine Experimente!“ ist ihr Wesenskern.

Was eben auch bedeutet, dass es in Sachsen keine echten Alternativen zum verkrusteten Auslese-System aus Adenauers Zeiten gibt. Und gesucht wird mittlerweile in allen Branchen – von der Industrie bis zur Wissenschaft. Zwar stehen 959 Jobs im Bereich „Gesundheit, Soziales, Lehre und Erziehung“ im Angebot.

Dass der Freistaat aber noch nicht mal begonnen hat, sich den ausgebildeten Nachwuchs zu sichern, wird deutlich, wenn man sieht, dass der Öffentliche Dienst nur 231 Stellen anbietet.

Diese Regierung schläft immer noch. Oder sie sucht die Leute am falschen Ort mit den falschen Mitteln und Angeboten.

 

Arbeitslosenquote in den einzelnen Arbeitsagenturen. Grafik: Arbeitsagentur Sachsen
Arbeitslosenquote in den einzelnen Arbeitsagenturen. Grafik: Arbeitsagentur Sachsen

Was im Ergebnis heißt, dass die gut ausgebildeten jungen Leute in die Privatwirtschaft gehen, wo ein klares Angebot noch ein klares Angebot ist – und in einigen Branchen mittlerweile gut bezahlt.

Der Rest ist eher fürs Gästebuch, denn dass die Zahl der Langzeitarbeitslosen im zurückliegenden Monat wieder gesunken ist, hat nichts mit dem anspruchsvollen Arbeitsmarkt da draußen zu tun. Gegenüber dem Vormonat fiel sie um 75 auf 6.389. Im Vergleich zum Oktober 2016 gab es nun 1.189 langzeitarbeitslose Menschen weniger, aber in vielem deckt sich dieser Rückgang mit dem Rückgang bei den älteren Arbeitslosen (Bei den Lebensälteren in der Altersgruppe ab 50 Jahren fiel die Arbeitslosigkeit um 140 auf 5.973 Personen ab (Vorjahr: 6.806).) Denn hier gehen die Lange-Gebeutelten ganz systematisch in den prekären Ruhestand über.

„Beim Zugang an offenen Arbeitsstellen verzeichnete die Arbeitsagentur Leipzig im Oktober einen Anstieg gegenüber dem Vormonat. Die Wirtschaft und die Verwaltung haben in den letzten vier Wochen 2.217 freie Stellen, das waren + 64 mehr als im davorliegenden Monat (2.153) und + 134 mehr als vor einem Jahr (2.083), zur Besetzung gemeldet“, so die Arbeitsagentur.

Dass die „Verwaltung“ eher eine lächerliche Rolle dabei spielt, haben wir ja schon geschrieben. So kommt der Freistaat nicht aus dem Matsch.

„Der Zugang an freien Stellen ist höher als vor einem Jahr. Das ist ein positives Zeichen für breites Wachstum und auch für ein weiter gestiegenes Vertrauen in unsere Dienstleistung“, meint Steffen Leonhardi, Vorsitzender der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Leipzig.

So kann man sich ein Wiegenlied singen und die Probleme einfach wegreden.

Anstieg der gemeldeten freien Stellen in Leipzig. Grafik: Arbeitsagentur Leipzig
Anstieg der gemeldeten freien Stellen in Leipzig. Grafik: Arbeitsagentur Leipzig

Die schlichte Wahrheit für den Oktober 2017 heißt: Leipzigs Arbeitsagentur kann immer mehr Stellen nicht mit geeigneten Bewerbern besetzen. Und einige Branchen (und auch die Verwaltung) werden immer größere Probleme bekommen, ihre freien Stellen überhaupt noch irgendwie an Mann oder Frau zu bringen.

Und zu den Problemen Sachsens gehört eben auch, dass die Arbeitsagentur ein denkbar schlechter Problemanzeiger ist. Statt deutliche Warnungen an die Herren Tillich und Kretschmer zu senden und die Probleme zu benennen (die allesamt sächsisch-hausgemacht sind), streut man Konfetti: „Der Trend ist stabil. Wir gehen davon aus, dass das Weihnachtsgeschäft im November und Dezember positive Effekte mit sich bringt und damit die Zahl der arbeitslosen Menschen in den nächsten Wochen noch weiter zurückgeht“, meint Leonhardi.

Als wenn es in Leipzig noch darum ginge, eine Massenarbeitslosigkeit mit ein paar Saisonjobs zu kaschieren.

Die Probleme sind längst andere und von struktureller Natur.

Die Arbeitsagentur versucht zumindest noch so eine Art Top 10 der Ausbildungsberufe, also der noch freien Ausbildungsstellen. Hier sind sie:

1) Kauffrau/mann Büromanagement (181 Ausbildungsstellen)
2) Kauffrau/mann im Einzelhandel (154 Ausbildungsstellen)
3) Verkäufer/in (145)
4) Fachkraft Lagerlogistik (119)
5) Fachkraft zahnmedizinische Fachangestellte (103)
6) Fachlagerist (90)
7) Fachkraft Koch/Köchin (73)
8) Fachkraft Mechatronik – PKW-Technik (56)
9) Mechatroniker/in (55)
10) Restaurantfachfrau/mann (54).

Die neue LZ Nr. 48 ist da: Zwischen Weiterso, Mut zum Wolf und der Frage nach der Zukunft der Demokratie

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