„Arbeitsleistung: Osten und Westen gleichauf“, meldete kurz vor Weihnachten das Institut für Wirtschaftsforschung (IWH) in Halle. Eine Meldung, die so scheinbar völlig den üblichen Erhebungen zum Arbeitsvolumen widersprach. Denn weil gerade Teilzeitjobs im Osten stark vertreten sind, ist hier das Arbeitsvolumen auch in den Meldungen der Statistikämter immer deutlich geringer als im Westen. Aber Hans-Ulrich Brautzsch hat sich für einen ganz besonderen Effekt interessiert.

Einen, den man 27 Jahre nach der Wiedervereinigung so eigentlich nicht erwartet hätte. Er hat mit den vielen Pendlern zu tun, die noch immer täglich von Ost nach West zur Arbeit fahren.

Die statistische Ausgangslage: 75 Prozent der erwerbsfähigen Personen in Ostdeutschland hatten 2016 dort auch einen Arbeitsplatz. In Westdeutschland waren es 81 Prozent – also sechs Prozentpunkte mehr. Hans-Ulrich Brautzsch vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) zeigt aber jetzt: Wenn Pendlerströme und Arbeitszeiten eingerechnet werden, liegen Osten und Westen bei der Arbeitsleistung gleichauf – und das Gefälle entsteht erstaunlicherweise zwischen Nord- und Süddeutschland.

Oder schon mal etwas zugespitzt: Ein nennenswerter Teil des westdeutschen Reichtums wird immer noch von Ostdeutschen erwirtschaftet, die in Bayern, Hessen, Niedersachsen, Hamburg dafür sorgen, dass die Sorge um die Fachkräfte dort nicht zu groß wird.

„Wenn von der Beschäftigungslage in Ostdeutschland die Rede ist, fallen zumeist keine euphorischen Töne“, stellt Brautzsch fest. „Der Osten bleibe weiter hinter dem Westen zurück, so das allgemeine Credo. Eine neue IWH-Untersuchung bringt diesen scheinbar unumstößlichen Befund jetzt ins Wanken: Zwar kamen in Ostdeutschland 2016 nur 751 Erwerbstätige auf 1.000 Erwerbsfähige – was 93 % des westdeutschen Wertes entspricht.“

Und so erscheint es meist auch in den öffentlichen Statistiken. Es sieht so aus, als würden die anderen Ostdeutschen einfach faul auf der Matte liegen. Dabei tauchen sie einfach nicht auf, weil sie jeden Tag die Sonderwirtschaftszone Ost verlassen.

Brautzsch: „Doch wird die Beschäftigungslage um Pendlerströme und Arbeitszeit bereinigt, wandelt sich das Bild schnell: Deutlich mehr Ostdeutsche pendeln zur Arbeit nach Westdeutschland als umgekehrt. So übersteigt die Zahl der Auspendler aus Ostdeutschland im Jahr 2016 die Zahl der Einpendler um 210.000 Personen. Wird der Pendlerüberschuss in die Berechnung mit einbezogen, so kommen 771 Erwerbstätige mit Wohnsitz in Ostdeutschland auf 1.000 Erwerbsfähige. Diese Arbeitsplatzdichte entspricht damit 96 % des westdeutschen Wertes.“

Und nicht nur die Pendler werden gern falsch verbucht. Es sind nämlich keine Teilzeitjobber, die da pendeln, sondern Vollzeitkräfte aus hochproduktiven Branchen.

Hans-Ulrich Brautzsch berücksichtigte nämlich darüber hinaus noch die durchschnittliche Jahresarbeitszeit.

„Diese lag 2016 in Ostdeutschland um 4,8 % höher als im Westen“, so der Ökonom. „Wenn wir dann auch noch das Arbeitsvolumen der Pendler einbeziehen, ist die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden pro Erwerbsfähigem in Ostdeutschland genauso hoch wie in Westdeutschland.“

Erstaunliches Ergebnis: Unter diesem – rein rechnerischen – Blickwinkel ist die Beschäftigungslage der ostdeutschen Bevölkerung identisch mit der westdeutschen.

Was Brautzsch gerechterweise auch einschränkt: Allerdings erlauben diese Berechnungen keine Aussage darüber, ob die Beschäftigungslage auch unter qualitativen Gesichtspunkten (Verdienst, Arbeitsbedingungen) gleichwertig ist.

Außerdem bestehen hier auch große regionale Unterschiede: Während das Arbeitsvolumen je 1.000 Erwerbsfähige in Eisenach beispielsweise 147,8 % des gesamtdeutschen Wertes erreicht, sind es im Landkreis Märkisch-Oderland nur 70,8 %. Aber auch in Westdeutschland weichen die Werte auf Kreisebene stark voneinander ab. Hier reicht die Spannbreite beispielsweise von 254,1 % in Schweinfurt bis 46,4 % im Landkreis Südwestpfalz.

Und da wird dann eine andere Teilung in Deutschland sichtbar.

„Wenn wir uns die Daten deutschlandweit ansehen, dann zeigt sich schon Erstaunliches“, so Brautzsch. „Denn ein Gefälle finden wir eher zwischen Nord- und Süddeutschland statt wie zu erwarten zwischen Ost und West.“

Das Fazit ist aber klar: Im Osten werden keine Däumchen gedreht. Wer einen guten Job findet, fährt dafür auch hunderte Kilometer weit. Und zwar jahrein, jahraus.

Und völlig offen ist die Frage, ob die ostdeutschen Arbeitskräfte dann auch so gut bezahlt werden wie die westdeutschen. Das taucht nämlich bislang auch noch in keiner Statistik auf.

Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland seien weiterhin allgegenwärtig, betont Brautzsch deshalb. Quantitativ zeigen sie sich auch noch heute beim Vergleich der Arbeitsverdienste oder der Qualität der Arbeitsplätze.

„Ein genauerer Blick auf die Daten verrät aber auch, dass wir nicht pauschal vom Ost-West-Unterschied sprechen dürfen. Das ginge weit an der Realität vorbei“, so der Ökonom.

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