In der Auswertung zur Bürgerumfrage 2017 beschäftigen sich Leipzigs Statistiker aus gutem Grund auch mit dem Thema Armut. Denn jetzt gehen nach und nach auch tausende Leipziger in Rente, die aufgrund ihrer mehrfach unterbrochenen Berufskarrieren und langer Arbeitslosigkeit direkt in die Armut hineinspazieren. Altersarmut wird ein wichtiges Thema. Lösungen: keine in Sicht.

Aber wie berechnet man Armut? Eigentlich kann man es nicht. Denn natürlich haben gerade junge Menschen oft noch ein sehr niedriges Einkommen, weil sie noch in Ausbildung und Studium stecken. Sie sind also nicht wirklich arm, fühlen sich auch nicht so. Die Zeit, in der man mit seiner eigenen Hände Arbeit genug Geld für Wohnung und Familie und die ganzen Sozialabgaben des Staates verdienen muss, die geht für viele erst so Mitte der 20er los.

Auch wenn die Bürgerumfrage außerdem etwas zeigt, was Stadtverwaltung und Politik nicht wirklich bekannt zu sein scheint: Die meisten jungen Leipziger schaffen es erst zwischen 25 und 30 Jahren in eine auskömmlich bezahlte Arbeitsstelle. Erst mit 34 Jahren haben es 90 Prozent geschafft, aus der statistischen Armutsgefährdung herauszukommen.

Die wird berechnet, indem vom mittelsten aller ermittelten Einkommen 60 Prozent berechnet werden. Wer drunter liegt, gilt als armutsgefährdet.

Nur zur Erinnerung: Die meisten Leipzigerinnen bekommen mit 29 ihr erstes Kind, schieben also die Familienplanung sowieso schon um 10 Jahre hinaus. Und die abgefragten Einkommen zeigen, dass mit 29 Jahren immer noch 30 Prozent der jungen Leute verzweifelt nach einer ordentlich bezahlten Arbeit suchen.

Etwas, was die üblichen Arbeitsmarktzahlen eben nicht zeigen. Die haben kein Sensorium für all diese Kurzzeitjobs, Jobbefristungen und anderen Zumutungen, mit denen jungen Leuten ein früher Einstieg ins Berufsleben und eine auskömmliche Bezahlung verwehrt wird.

Peinlich genug, dass praktisch über alle Altersgruppen mindestens 10 Prozent der Befragten ein Einkommen unterhalb der Armutsgefährdungsschwelle angeben. Das heißt: Auch lang nach Beginn des Wirtschaftsaufschwungs stecken mindestens 10 Prozent der Leipziger in jeder Alterskohorte in Armut fest.

Am heftigsten getroffen hat es ab 1990 natürlich die heute 62- bis 74-Jährigen. Sie haben heute noch Einkommen, die mit 20 Prozent zur Armutsklasse gehören. Das heißt: Die jüngeren Ruheständler sind in jedem fünften Fall klassische Armutsrentner. Die Altersarmut in Leipzig wächst.

Aber was gilt in Leipzig als armutsgefährdet?

Das rechnen die Statistiker diesmal anhand des Leipziger Einkommens-Medians und am Bundesmedian vor.

Zum einen gibt es ja die gute Nachricht, dass der Median der Leipziger Einkommen seit 2008 spürbar gewachsen ist. Einige Leipziger haben ja den Geldsegen tatsächlich in ihren Portemonnaies gespürt. Lag der Median damals noch bei mickrigen 1.093 Euro pro Nase und damit 218 Euro unter dem Bundesmedian, so stieg der Einkommensmedian bis 2017 auf 1.439 Euro.

Da der Bundesmedian für 2017 noch nicht vorliegt, hier der Vergleich für 2016: 1.370 Euro in Leipzig standen bundesweit 1.615 Euro gegenüber, also 245 Euro mehr. Die 1.439 sind natürlich ein durchaus spürbarer Anstieg, der auch davon erzählt, dass es mittlerweile mehr Jobangebote oberhalb des Mindestlohns gibt.

Auch die Einkommen der unteren 20 Prozent sind gestiegen – von 725 auf 923 Euro.

Aber jetzt kommen wir zur berühmten deutschen Rechenkunst. Denn dieser Anstieg macht nur 27 Prozent aus, während die Einkommen der oberen 20 Prozent von 1.578 Euro auf 2.111 Euro im Median stiegen, also um 33 Prozent. Die höheren Einkommen haben also auch in Leipzig noch stärker zugelegt. Unter anderem auch deshalb, weil viele Arbeitnehmer über 50 ihren Job behalten haben. Das darf man nicht ausblenden.

Noch vor zehn Jahren haben sich viele Firmen einen Sport daraus gemacht, ältere Arbeitnehmer über 50 zu kündigen. Was ja jüngst ein SPD-Politiker als „Jugendwahn“ kritisierte. Die Leipziger Wirtschaft jedenfalls kann es sich nicht mehr leisten, ältere Arbeitnehmer zu verlieren. Mit dem Ergebnis, dass die Beschäftigungsquote der 50- bis 65-Jährigen deutlich angestiegen ist. Und da sie ihre erworbenen Verdienstansprüche behalten, steigen natürlich auch die höheren Einkommensgruppen zahlenmäßig an.

Aber was gilt in Leipzig nun als arm?

Nach Leipziger Maßstab läge diese Schwelle bei 863 Euro für einen Ein-Personen-Haushalt. Hier macht sich das deutlich niedrigere Gesamteinkommensniveau bemerkbar. Nach Bundesmaßstab würden 969 Euro als Grenze gelten. Die Statistiker bringen hier die scheinbar immer noch niedrigeren Lebenserhaltungskosten ins Spiel.

Aber mit 863 Euro kann man auch bei niedrigeren Lebenserhaltungskosten nicht über die Runden kommen. Bei diesem Wert würden übrigens 16,8 Prozent der Leipziger als armutsgefährdet gelten. Aber der Bundesmedian beschreibt die Geldknappheit da unten wohl besser. Danach sind 21,5 Prozent der Leipziger armutsgefährdet.

Und damit liegt Leipzig weiterhin in der Schlusslichtgruppe der deutschen Großstädte. Weit entfernt von München, wo diese Armutsquote bei 9,6 Prozent liegt. Auch deutlich hinter Dresden, wo die Quote nach Bundesmedian bei 17 Prozent liegt, womit Dresden unter den Großstädten sogar Rang 4 belegt – hinter Hamburg und Stuttgart.

Leipzig lag ja mal ganz hinten, hat aber zumindest bei der Armutsgefährdung mittlerweile Städte wie Essen, Bremen oder Dortmund hinter sich gelassen. Schlusslicht ist mittlerweile Nürnberg mit 24,5 Prozent Armutsgefährdung. Was zumindest zeigt, dass auch in Bayern nicht alles so rosig ist, wie es der dortige Ministerpräsident gern darstellt.

Die ganze Republik verändert sich. Und eine Stadt, die auch mal hinter Leipzig lag, holt beharrlich auf und liegt mittlerweile mit 19,2 Prozent auf Rang 7. Das ist das so gern beleidigte Berlin, der größte Wirtschaftsmotor im Osten.

Am armutsgefährdetsten sind logischerweise Arbeitslose, erst recht dann, wenn sie im SGB II landen. 77 Prozent von ihnen gelten als armutsgefährdet. Unter denen, die Arbeit haben, gelten 6 Prozent als arm.

Und die Umfrage zeigt auch, was Arbeitslosigkeit im Erwerbsleben anrichtet. Denn jeder Monat Arbeitslosigkeit sorgt dafür, dass auch das spätere Arbeitseinkommen geringer ausfällt. Der Einkommensmedien fällt dann rapide. Von 1.676 Euro bei Menschen, die nie arbeitslos waren, auf 1.277 bei denen, die zwischen 12 und 24 Monaten arbeitslos waren, und 922 bei denen, die noch länger arbeitslos waren.

Das heißt: Nicht nur durch die Zeit der Arbeitslosigkeit haben diese Menschen Einkommen und Rentenansprüche eingebüßt, mit den Jobs, die sie dann bekommen, bleiben die meisten (81 Prozent) dann auch noch unter der Einkommensgrenze von 1.000 Euro – also arm.

Selten hat eine Bürgerumfrage sichtbar gemacht, welche Folgen die deutsche Niedriglohnpolitik für die Betroffenen hat. Die Armut in Leipzig ist politisch gewollt. Darauf haben alle Arbeitsmarktreformen bis 2005 abgezielt. Das Ergebnis ist für die Betroffenen verheerend. Kein Wunder, dass 18 Prozent der Leipziger Armut als Problem sehen. Trotz aller Loblieder auf den Aufschwung.  Denn eindeutig betrifft sie jeden fünften Einwohner der Stadt. Trotz gesunkener Arbeitslosigkeit.

Und man ahnt, wie an so einer Stelle der Mietpreisanstieg in vielen Leipziger Ortsteilen wirkt. Er haut ins Eingemachte. Und er trifft all jene besonders stark, die immer noch kein festes und belastbares Einkommen haben.

Also geht’s mit Wohnkosten weiter: Mietsteigerungen treffen die Wenigverdiener in Leipzig wieder am heftigsten

Leipziger Zeitung Nr. 60: Wer etwas erreichen will, braucht Geduld und den Atem eines Marathonläufers

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