„Die Zahl der Straftaten im Freistaat Sachsen ist im Jahr 2019 erneut gesunken“, meldete das Sächsische Innenministerium am 26. März und staunte geradezu, wie in fast allen Deliktbereichen die Zahlen geschrumpft waren, ohne dass Innenminister Roland Wöller erklären konnte, warum das so war. Aber ein Themenfeld fand er dann doch noch irgendwie bemerkenswert: die „politisch motivierte Kriminalität“.

„Die politisch motivierten Straftaten sind im Jahr 2019 gegenüber dem Jahr zuvor angestiegen und haben mit 4.350 Fällen (2018: 3.461) einen neuen Höchststand erreicht“, behauptete das Innenministerium bei der Vorstellung der Kriminalitätsstatistik für 2019 einfach, „davon entfallen 2.256 Straftaten auf den Phänomenbereich ,rechts‘ und 1.385 auf den Phänomenbereich ,links‘. Ein Drittel aller erfassten Fälle (1.337) steht in Zusammenhang mit den zurückliegenden Wahlen im Freistaat. Dabei handelt es sich vor allem um Sachbeschädigungen an Wahlplakaten (1.083 Fälle).“

Die Präsentation des Innenministeriums zeigte dann geradezu eine explosive Zunahme der Delikte im PMK-Bereich „links“ – von 701 auf 1.385 binnen eines Jahres. Ohne dass ausdifferenziert wurde, was wirklich dahintersteckt. Wer freilich die regelmäßigen Anfragen der Linksfraktion zu den konkreten Straftaten liest, merkt, wie emsig Sachsens Polizei dort alles sammelt, was aus Sicht der Beamten auch nur irgendwie „links“ aussieht.

Allein in den ersten drei Quartalen 2019 zählte die Polizei 337 Anzeigen zum § 303 des Strafgesetzbuches: Sachbeschädigung. Das waren fast alles Graffiti. Wenn jedes Graffiti einzeln gezählt wird, kann man die Straftatenzahl der Linken natürlich gewaltig aufblasen. Genauso, wie es 2019 augenscheinlich passiert ist.

Entwicklung der Gewaltdelikte in der sächsischen Polizeistatistik. Grafik: SMI
Entwicklung der Gewaltdelikte in der sächsischen Polizeistatistik. Grafik: SMI

Was dann im Ergebnis dazu führt, dass die Kriminalität der Rechtsextremen in Sachsen nicht mehr in ihrer wahren Dimension gesehen wird. Das geht bei den Gewaltdelikten weiter. Dazu gehören eben nicht nur Mord und Totschlag oder (schwere) Körperverletzung. Reihenweise tauchen in dieser Statistik die Paragraphen 223 und 224 des Strafgesetzbuches auf, die eben nicht nur „Körperverletzung“ und „schwere Körperverletzung“ umfassen, sondern auch den Versuch dazu. Es muss also gar nicht zu Gewalt kommen, um ein Gewaltdelikt zu ergeben.

Das muss nichts entschuldigen. Aber es zeigt zumindest wie unsauber die sächsische Polizeistatistik ist.

Und dass auch die Zuordnung „links“ / „rechts“ oft fragwürdig ist. Das wird deutlicher, wenn man zum Beispiel die Anfragen aus der AfD-Fraktion zu den „Juristischen Folgen von Straftaten im Phänomenbereich ,Politisch motivierte Kriminalität -links-‘“ anschaut, hier zu Beispiel die zum 1. Halbjahr 2019.

Hier steht nämlich, was aus den ganzen Anzeigen der Polizei tatsächlich geworden ist. Beim so gern verwendeten § 303 steht da ziemlich regelmäßig: Täter unbekannt, Verfahren eingestellt. Wenn man aber die Täter nicht kennt, ist auch eine Einordnung nach politischer Orientierung ziemlich fragwürdig. Ganz zu schweigen davon, dass viele solcher Sachbeschädigungen oft auf nur wenige Täter zurückgehen.

Allein diese Antwort des damaligen Justizministers Sebastian Gemkow zeigt, wie fragwürdig die ganze Polizeistatistik ist, dass hier vor allem mit großen Zahlen operiert wird, die eigentlich gefährlichen Tendenzen aber regelrecht zugetüncht werden.

Verurteilt wurden 2019 auch einige „Linke“ – vor allem für Straftaten im Jahr 2018. Darunter viele Demonstrationsdelikte – wie die Teilnahme an Sitzblockaden, Vermummung oder „Widersetzen einer polizeilich angeordneten Massenidentitätsfeststellung im Rahmen einer Gegendemonstration gegen eine Versammlung der ,AfD‘ und ,Pro Chemnitz‘.“

Sachsens Polizei kriegt es mit dieser Art der Statistik also fertig, selbst das, was im Bereich links motivierter Kriminalität möglicherweise tatsächlich gefährlich ist, einfach zuzumüllen. Und ganz vorneweg ist natürlich Leipzigs Polizei, die augenscheinlich jedes einzelne Graffiti zur Anzeige bringt. Damit kann man Polizeibeamte natürlich auch beschäftigen. Und dann wundert es auch nicht, wenn die Aufklärungsquote rechnerisch in den Keller rauscht.

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