Paul M. Schröder vom Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ) kommentiert seine neueste Statistik zu Corona-Erkrankten in Deutschland nicht. Muss er auch nicht. Denn im Grunde ist ja alles gesagt. Denn die Zahl der Covid-19-Fälle korrespondiert ja unübersehbar mit einigen harten Rahmenbedingungen der Demografie. Je weniger Gelegenheiten es gibt, wo Menschen sich anstecken können, umso schneller ist ein Ausbruch unter Kontrolle.

Selbst die größten Schlachtfabriken stehen schon lange nicht mehr in Ostdeutschland, sodass selbst der Ausbruch von Covid-19 in Fleischfabriken auf die großen Konzernschlachtereien im Westen beschränkt blieb. Und: Der Osten feiert auch nicht so Karneval und Fastnacht wie im Westen und Süden. Gerade Bier- und Karnevalsveranstaltungen wurden ja zu Hotspots der frühen Corona-Ausbrüche in Deutschland.

Und selbst die Corona-Hotspots Ischgl und Sölden hatten ihre Folgen vor allem in westdeutschen Kommunen, als dort die partyfreudigen Winterurlauber aus den Bergen zurückkamen.

So gesehen war es ein Vorteil für den deutschen Osten, dass er mittlerweile so dünn besiedelt ist, sich nur wenige einen Winterurlaub in den Alpen leisten können und die Betriebe auch nicht tausende Werksarbeiter aus Südosteuropa beschäftigen, die dann auf engstem Raum zusammengepfercht sind.

Denn es waren immer wieder solche Hotspots, die die Infiziertenzahl in einigen westdeutschen (und teilweise auch Berliner) Kreisen und Stadtbezirken explodieren ließen. Im bayerischgen Tirschenreuth, das in den Fallzahlen pro Einwohner bis heute die Tabelle anführt, war es ein Starkbierfest, das im März die Tirschenreuther zusammenführte und zum auslösenden Ereignis wurde.

Leipzig findet man in der Liste sehr weit hinten, wenn auch noch deutlich vor Landkreisen wie Ostholstein, Rostock oder Wilhelmshaven oder der Uckermark, die lange Zeit der Landkreis mit den wenigsten Infizierten war. Inzwischen gibt es auch dort welche. Nach Aufhebung der meisten Allgemeinverfügungen sind die Deutschen auch innerhalb des Landes wieder mobiler geworden und nehmen logischerweise das Virus mit. Die meisten Superspeader ahnen nicht einmal, dass sie welche sind, weil sie keine oder kaum spürbare Symptome aufweisen.

In Großstädten liegen die Infektionsraten deutlich höher als in den Landkreisen. Hier hat das ja – wie Beispiele aus Göttingen oder Berlin zeigen – teils mit der sehr beengten Wohnsituation von einkommensschwachen Familien zu tun. Aber auch mit der deutlich höheren Mobilität der Großstädter, die das Virus dann von ihren Ausflügen oder Reisen mitbringen.

Aber auch hier profitiert der Osten, dass seine Bewohner deutlich weniger Geld für internationale Flugreisen und Kreuzfahrten übrig haben. Unter den Halbmillionenstädten rangieren Dresden und Leipzig am hintersten Ende, Dresden mit 113 registrierten Infizierten je 100.000 Einwohner noch vor Leipzig mit 107 Infizierten. In den beiden westdeutschen Metropolen München und Frankfurt liegen die Zahlen mit 449 und 221 deutlich höher.

Dazwischen liegen noch die großen Städte im Ruhrgebiet wie Duisburg (339) und Düsseldorf (317) und die beiden Stadtstaaten Hamburg (284) und Bremen (260), aber auch Berlin mit 263 Fällen. Der sächsische Durchschnitt liegt übrigens bei 135, der bayrische bei 382.

Da kann man dann anfangen zu streiten, wie wichtig die noch bestehenden Schutzmaßnahmen sind. Und es wird ja emsig diskutiert, ob etwa die Maskenpflicht in Geschäften aufgehoben werden soll. Aber dass die Vorsicht gar nicht groß genug sein kann, zeigen ja die immer neu auftauchenden Hotspots in den USA, gerade dort, wo die Menschen wieder zu Partys und in Bars gehen und neue Superspreader-Ereignisse dafür sorgen, dass die ganze Region wieder in den Shutdown muss.

Die niedrigsten Infektionsraten in Deutschland haben nun einmal vor allem Bundesländer mit sehr niedriger Bevölkerungszahl und entsprechend geringer Dichte der Bevölkerung – Mecklenburg-Vorpommern mit 50 Fällen je 100.000 Einwohner und Sachsen-Anhalt mit 88 Fällen. Was ganz und gar nicht erstaunlicherweise auch mit der wirtschaftlichen Prosperität des Bundeslandes einhergeht: Je besser ein Bundesland wirtschaftlich dasteht, umso höher sind auch die Infiziertenzahlen.

Paul M. Schröder macht dazu auch noch einen Bundesliga-Vergleich. Aber der erfasst das Problem nur bedingt, auch wenn gerade Bayern München exemplarisch für die Tatsache steht, dass viel Geld im Sack auch die Erfolge in der Bundesliga bestimmt.

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