Wahlauswertungen, wie sie das Sächsische Landesamt für Statistik jetzt am 7. April für die Bundestagswahl am 23. Februar vorgelegt hat, verraten zwar, was die Wählerinnen und Wähler am Ende gewählt haben. Aber sie verraten nicht, warum sie es getan haben, welche Motive hinter ihrer Wahlentscheidung standen, ob sie einfach nur ihren Frust loswerden wollten, „denen da oben“ einen Denkzettel verpassen oder einfach ihren Bauch entscheiden ließen. Oder ob sie Wahlen als eine Art Fußball-Match betrachten, bei dem man einfach Vereinsfarben wählt und dann die Mannschaft zu Sieg brüllt.
Vieles deutet darauf hin, dass solche oder ähnliche Motive eine Rolle spielen und am 23. Februar sogar besonders spielten. Denn dass es am Ende zu einer schwierigen Regierungsbildung mit CDU/CSU und SPD kam, hat ja auch damit zu tun, dass die AfD im Bundestag ihr Ergebnis verdoppeln konnte. Obwohl sie – auch laut Wahlprogramm – eine knallharte Politik für Reiche und Superreiche machen würde, wenn sie an die Macht käme. Also eine Politik, die 90 Prozent der Sachsen überhaupt nicht zugutekäme.
Die Wahlbeteiligung
„Am 23. Februar waren rund 1,5 Millionen Bürger sowie gut 1,6 Millionen Bürgerinnen in Sachsen aufgerufen, einen neuen Bundestag zu wählen. Von dem Recht, vor Ort in einem Wahllokal die Stimme abzugeben, machten rund 58 Prozent der Männer und reichlich 53 Prozent der Frauen Gebrauch“, fasst das Statistische Landesamt zusammen.
„Insgesamt lag die Wahlbeteiligung (ohne Berücksichtigung der Briefwahl) bei fast 56 Prozent. Dies entsprach einem Anstieg im Vergleich zur Wahl 2021 von 5 Prozentpunkten, teilt das Statistische Landesamt mit. Besonders deutlich nahm sie mit fast 11 Prozentpunkten in der Altersgruppe der 21- bis 25-Jährigen zu, gefolgt von den Wahlberechtigten im Alter von 60 bis 70 Jahre (7,8 Prozentpunkte).
Im Vergleich zur Landtagswahl 2024 erhöhte sich die Wahlbeteiligung (ohne Briefwahl) mit jeweils über 10 Prozentpunkten am stärksten in den drei Altersgruppen unter 30 Jahren. Einzig Männer und Frauen zwischen 45 und 50 Jahren legten ihren Fokus eher auf die Landespolitik (-0,3 Prozentpunkte).“
Wobei das sächsische Wahlergebnis zur Bundestagswahl in Teilen auch die Entwicklungen im Bund spiegelt – mit massiven Verlusten für alle drei „Ampel“-Parteien. Wobei sich die Landesstatistiker nicht einmal mehr die Mühe gemacht haben, die FDP aus den „Sonstigen“ herauszurechnen. Aber schon diese Entwicklung zeigt, wie stark die am Ende aufgeheizte mediale Berichterstattung über Erfolg oder Misserfolg der „Ampel“ auch in Sachsen die Wahlergebnisse beeinflusst hat.
Die Zweitstimmen-Ergebnisse in Sachsen
Beim Zweitstimmen-Ergebnis hat davon eindeutig die AfD profitiert.
Das Statistische Landesamt dazu: „43 Prozent der Männer und 32 Prozent der Frauen wählten AfD. Im Vergleich zur Bundestagswahl 2021 entsprach dies über alle Altersgruppen hinweg einem Anstieg von durchschnittlich 13 Prozentpunkten. Bei den unter 25-Jährigen betrug er sogar über 19 Prozentpunkte.
Einen ähnlich hohen Zuspruch erfuhr Die Linke (+15,7 Prozentpunkte) von dieser Altersgruppe, während die GRÜNEN ihr Wahlergebnis von 2021 bei den ‘Jungwählerinnen und Jungwählern’ um gut 12 Prozentpunkte unterschritten. Die SPD verlor verstärkt Stimmen bei den älteren Wählerinnen und Wählern (60- bis 70-Jährige: -14,0 Prozentpunkte, über 70-Jährige: -17,0 Prozentpunkte). Die CDU konnte ihr Ergebnis von 2021 über alle Altersgruppen nur minimal, d.h. im Schnitt um 2,5 Prozentpunkte, verbessern.“

Populismus und die Rolle von „Social Media“
Ein Punkt, an dem man das Stichwort Populismus verwenden muss, bei dem es – wie auch Wikipedia betont – um „Ausnutzung und Verstärkung vorhandener Stimmungslagen“ geht. Also nicht um wirklichn belastbare Lösungsvorschläge. Dazu kommt, wie Wikipedia ebenfalls anführt: „In der politischen Debatte wird mit dem Begriff Populismus dem politischen Gegner auch eine unredliche Haltung unterstellt. Ein populistischer Aktivist stellt sich in dem konstruierten Gegensatz von ‚Volk‘ und ‚Elite‘ auf die Seite des ‚kleinen Manns‘ und behauptet von sich selbst, die Stimme und den Willen des Volkes zu repräsentieren.“
Ein Topos, der bei Wahlen in Sachsen augenscheinlich gut funktioniert. Die traditionelle Parteienbindung ist in ganz Ostdeutschland sowieso schon deutlich geringer als im Westen. Was „neuen“ Parteien, die das Bauchgefühl der Wähler ansprechen, immer wieder Chancen verschafft, bei Wahlen Stimmen einzusammeln. Wenn dann im großen politischen Gezänk auch nicht darüber gesprochen wird, was in der politischen Praxis der vergangenen vier Jahre tatsächlich funktioniert hat – und was nicht, dann öffnet das den Weg natürlich vor allem für Parteien, die noch nie beweisen mussten, ob sie in der Praxis überhaupt etwas drauf haben. Die aber vollmundig gegen „die da oben“ poltern.
Wie kann man da gegenhalten? Mit eigenen populistischen „Lösungsvorschlägen“, wie es gerade die CDU in Bezug auf das Lieblingsthema der AfD, die Migration, getan hat in der Hoffnung, damit die AfD kleinzuhalten? Oder muss sich das Werben der Parteien um Wähler/-innen gründlich ändern, weil die heutigen Plattformen, auf denen die Wähler/-innen zum größten Teil noch erreicht werden können, die „Social Media“ sind? Also Wahlkampf nicht mehr als klassische Bierzelttour durchs Land, sondern als Influencer-Feuerwek in den „Social Media“?
Denn die Verluste für SPD und Grüne zeigen deutlich, dass diesen zwei Parteien die Berichterstattung über die „Ampel“ gar nicht bekommen ist. Eine Berichterstattung, zu der auch ein anschwellendes Grünen-Bashing von Seiten von CDU und CSU gehörte. So stark, dass man am Ende nur noch den Eindruck hatte, die Grünen seien an allem Schuld – an der miserablen Haushaltslage, an den hohen Energiepreisen, am Ukraine-Krieg und der wirtschaftlichen Flaute. Auch Wähler/-innen hören gern das Lied vom Sündenbock.
Nur hat es der Union so gut wie nichts genutzt, denn profitiert haben davon vor allem zwei Parteien: AfD und BSW, auch wenn das BSW am Ende mit 4,9 Prozent der Zweitstimmen den Sprung in den Bundestag verpasste.
Beide Parteien plakatierten auch ausufernd mit „Frieden“-Plakaten, ohne zu erklären, wie ein Frieden in der Ukraine bewerkstelligt werden soll. Aber darin ähnelt ihr Verhalten dem erratischen Auftreten eines Donald Trump, der das zwar auch nicht weiß, aber im Wahlkampf einen Frieden binnen 24 Stunden nach seiner Amtseinführung versprach.
Nichts davon ist gekommen.
Neue Wege zu den Wählern?
Ein Schritt, den die Linkspartei schon im Landtagswahlkampf gegangen ist, den sie zur Bundestagswahl ab November 2024 aber verstärkt hat. Mit dem Ergebnis, dass sie am Ende ihr Ergebnis gegenüber der Bundestagswahl von 2021 sogar deutlich verbessern konnte. Und dabei erreichte sie – die Grafiken zeigen es deutlich – vor allem jüngere Wähler/-innen, ganz ähnlich wie die AfD. Während die Grünen gerade bei den jüngsten Wähler/-innen, bei denen sie 2021 noch triumphieren konnten, massiv einbüßte.
Nur zur Erinnerung: Anders als 2025 stand 2021 die Klimakrise im Zentrum des Wahlkampfes und viele heute enttäuschte Wähler erwarteten von der „Ampel“-Regierung tatsächlich, dass sie zu einer wirklichen Klima-Koalition werden würde. Was der Koalitionspartner FDP dann aber zu verhindern wusste.
Es stecken also so einige Lehren in diesem sächsischen Wahlergebnis. Und eine davon hat nun einmal mit Bauchgefühl zu tun: Wie erreicht man Wähler/-innen in einer Zeit, wo sich die Wahlentscheidungen immer mehr in die „Social Media“ mit ihren auf Emotionen ausgerichteten Algorithmen verlagern? Eine Frage, auf die Parteien eine Antwort finden sollten, die bei künftigen Wahlen die Wählerinnen und Wähler überhaupt noch erreichen wollen.
Korrekturhinweis: Die Kritik einiger Leser an der Darstellung der Wahlbeteiligung war berechtigt. Es handelt sich tatsächlich nur um die Stimmabgabe in den Wahlbüros. Wir haben die entsprechende Passage im Text entfernt.
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Es gibt 4 Kommentare
Unglaublich, wie Medien bei der Darstellung so einfacher Fakten wie der Wahlbeteiligung versagen. Hier und auch im Leipziger Straßenbahnfernsehen ist momentan von 56% die Rede. Krass, das Menschen, die in den letzten Monaten nicht hinter dem Mond lebten – noch dazu JournalistÏnnen, die ja Fakten checken sollten, – so einen offensichtlichen Blödsinn wiedergeben.
“Denn während bei der Landtagswahl im vergangenen Jahr 74,4 Prozent der Wahlberechtigten auch von ihrem Wahlrecht Gebrauch machten, waren es bei der Bundestagswahl im Februar nur 56 Prozent. 44 Prozent der wahlberechtigten Sachsen hatten also ganz unübersehbar kein Interesse, auf das Bundestagswahlergebnis irgendeinen Einfluss zu nehmen..”
Die Wahlbeteiligung lag in Sachsen bei über 80%. Das Problem ist hier eher die Darstellung des Landesamtes für Statistik und Wahlen. Die 56% bezieht sich nur auf diejenigen, die am Sonntag im Wahllokal gewählt haben. Ca. 30% haben allerdings Briefwahl gemacht und waren entsprechend nicht am Sonntag im Wahllokal und wurden daher auch nicht befragt. Es war die Wahl mit der höchsten Wahlbeteiligung seit der Wiedervereinigung.
“44 Prozent der wahlberechtigten Sachsen hatten also ganz unübersehbar kein Interesse, auf das Bundestagswahlergebnis irgendeinen Einfluss zu nehmen.”
Könnte vielleicht auch daran gelegen haben, dass entgegen der gängigen Praxis die Wahl genau in die Ferien in Sachsen gelegt wurden und wir alle wissen das man Reisen möglichst früh buchen sollte. Bundestagswahl ist leider kein zugelassener Grund für einen Reiserücktritt. Dazu kommt das die Briefwahl auch nicht gerade richtig funktioniert hat. Viele haben ihre Briefwahlunterlagen erst ein paar Tage vor der Wahl bekommen. Mich würde mal interessieren wie viele Briefwahlunterlagen nicht zurück kamen.
Die Verluste für SPD und Grüne (also den Headlinern der Fortschrittskoalition) an der Berichterstattung festzumachen ist schon gewagt. Wenn die Wirtschaft den Bach runter geht, Emissionen ansteigen und im Auswärtigen Amt weniger bis gar keine Diplomatie gewagt wird, ist das wirklich Grünen Bashing, oder auch das Resultat der Grünen Politik? Das BSW “plakatierte auch ausufernd mit „Frieden“-Plakaten, ohne zu erklären, wie ein Frieden in der Ukraine bewerkstelligt werden soll.” Fakenews? Einfach mal nach BSW und Friedensplan suchen, oder klemmt die Friedenstaste? Nur weil der naive Vorschlag nicht gefällt, bleibt es doch einer. TINA out.