Gleich zwei eilbedürftige Beschlüsse im Gesamtwert von rund 15,5 Millionen Euro rauschten heute durch den Leipziger Rat. So sollen binnen weniger Monate zwei kleine Siedlungen in Leipzig entstehen, welche bis zu 1.000 Asylsuchende aufnehmen können. Eine davon ist an der Prager Straße zur dauerhaften (Weiter)nutzung geplant, eine weitere in Kleinzschocher als Modulvariante. Die CDU wollte die Entscheidungen über das Bauvorhaben kurzfristig von der Tagesordnung streichen und verlangte eine normale Ausschreibung der Stadt statt der Eilvorlagen. Die Debatte wurde anschließend turbulent.

Das Audio vom 23. März 2016 aus dem Stadtrat zum Nachhören der Debatte

 

Zu Beginn der Ratsversammlung hatte die CDU beantragt, die Punkte von der Tagesordnung zu streichen. Eine Eilbedürftigkeit sei nicht gegeben. Dem widersprach die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Katharina Krefft: Weil unter anderem in den Unterkünften am Brühl und in Halle 17 der Alten Messe bald hunderte Plätze wegfallen würden, sei dringend Ersatz benötigt. Insgesamt sind es 1.400 Plätze, erklärte Baubürgermeisterin Dorothee Dubrau (parteilos) später. Der Stadtrat folgte dem Antrag der CDU mehrheitlich nicht – nur die vier AfD-Parlamentarier schlugen sich auf die Seite der Christdemokraten.

Dubrau versuchte in der eigentlichen Debatte, dem Anschein einer (teuren) Ad-Hoc-Aktion entgegenzutreten. 20 Anbieter seien 2015 angeschrieben worden, nun sollen die zwei besten bauen. Dass die Plätze benötigt werden, scheint klar. Die Unterbringungen im Brühlpelz laufen im April 2016 vertragsgemäß aus und auch die aktuellen Kapazitäten in Leipzig sind nach wie vor gut belegt.

Katharina Krefft (Grüne). Foto: Alexander Böhm
Katharina Krefft (Grüne). Foto: Alexander Böhm

„1.400 Plätze gehen in diesem Jahr vom Netz“, so Dubrau. 4.000 Flüchtlinge sollen 2016 neu nach Leipzig kommen (4.270 waren es 2015), so die vorsichtige Schätzung derzeit bei der Stadt Leipzig. Das Land Sachsen schätzt bereits über 6.900 in Leipzig in diesem Jahr. „Würde das eintreffen, müssen wir sogar wieder auf Zelte, Turnhallen und Baumärkte zurückgreifen“, betonte Dorothee Dubrau die Notwendigkeit der rund 1.000 neuen Unterbringungsplätze.

Michael Weickert aus der CDU-Fraktion erklärte: „Das Projekt in der Diezmannstraße kommt uns zu teuer vor.“ Er plädierte für eine normale Ausschreibung anstatt gezielter Anfragen, so wie es von der Stadt praktiziert wurde. Derzeit plant die Stadt das Gelände zu kaufen, wie auch die Module (Vorhabensbeschreibung am Ende) zu erwerben. Die Grünen-Stadträtin Katharina Krefft verlangte eine Garantie, dass die Unterbringung übergangsweise ist. AfD und Linke kritisierten den geplanten Kaufpreis von 700.000 Euro für das Grundstück in der Diezmannstraße. Die Linke beantragte, den Kaufpreis auf 450.000 Euro zu deckeln.

Andrea Niermann (CDU). Foto: Alexander Böhm
Andrea Niermann (CDU). Foto: Alexander Böhm

Während der Debatte schien es zunehmend in Richtung Ablehnung der Vorhaben zugunsten einer neuen und geordneten Ausschreibung der Leistungen zu kippen. Grund vor allem – die Kosten, insbesondere die des Projektes an der Diezmannstraße 12. Andrea Niermann (CDU) appellierte an die anderen Fraktionen, eben diesem Weg zuzustimmen – es ginge um eine Menge Geld und Zeit habe man eigentlich dafür. Angesichts der geringeren Zugänge von Flüchtlingen zum Beginn des Jahres ein Argument, welches bei manchen Stadträten verfing. Auch der Anstieg des Kaufpreises für das Gelände an der Diezmannstraße von 350.000 auf 700.000 Euro kam einigen eher spanisch vor.

Dieter Deissler (Fraktion die Grünen) betonte angesichts des Kaufpreises, dass hiervon Signale an den Immobilienmarkt ausgingen, die eine Spirale bei den Preisen in Gang setzen würden. Dies würde am Ende immer auch auf den Mietmarkt durchschlagen. Siegfried Schlegel (Die Linke) wies in seiner Rede auf den Anspruch hin, welchen man mit den Angeboten verbunden hatte, um eine menschenwürdige Unterbringung zu gewährleisten.

Uwe Rothkegel (CDU). Foto: Alexander Böhm
Uwe Rothkegel (CDU). Foto: Alexander Böhm

Uwe Rothkegel (CDU) ritt eine regelrechte Attacke gegen Baudezernentin Dubrau: „Wir müssen ihnen hier blind vertrauen, bei dem was Sie sich in Ihrem stillen Kämmerlein ausgedacht haben. Ich weiß nicht, was am Markt ist“, statt der 20 Angebote kenne er nur die zwei übriggebliebenen. „Sie hätten schon längst eine ordentliche Ausschreibung machen können.“ Erneut stellte Rothkegel in den Raum, dass es ein Angebot gäbe, welches vier Millionen preiswerter sei, als das vorgelegte. Welches Angebot dies genau sei, sagte er nicht.

Dorothee Dubrau (Parteilos), welche vor allem wegen des gewählten Verfahrens der Wahl der Anbieter attackiert worden war, betonte nochmals, dass gerade die Anforderungen an die nachhaltige Nutzbarkeit der Bauten und Module wichtig waren. Das Verfahren wurde deshalb gewählt, weil gerade der Bund als Gesetzgeber dieses besondere Verfahren zur Beschleunigung der Bauten für Flüchtlinge empfohlen habe. Normale Ausschreibungen dauerten bis zu einem dreiviertel Jahr. Und Zeit habe man immer noch nicht – immerhin stünde die Schätzung des Landes Sachsen mit 6.900 weiteren Flüchtlingen in 2016 im Raum. Platz habe man unter Bau der beiden Vorhaben erstmal nur für 4.000.

Noch heute wohnen Menschen in Zelten und Hallen, argumentierte Dubrau in Richtung CDU-Fraktion, das wolle doch niemand. Die Nutzung der Diezmannstraße als zukünftiges Wohngebiet schloss die Baudezernentin hingegen praktisch aus, es soll also Gewerbegebiet bleiben. Angesichts der Vorwürfe der CDU, es gäbe um bis zu 4 Millionen Euro preiswertere Angebote, wies Bürgermeister Uwe Albrecht entschieden zurück, dass Mitarbeiter der Verwaltung Vorschläge in den Stadtrat einbringen würden, welche zum Schaden der Stadt Leipzig wären.

Oberbürgermeister Jung. Foto: Alexander Böhm
Oberbürgermeister Jung. Foto: Alexander Böhm

Das Schlusswort blieb bei OBM Burkhard Jung, der einige Vorwürfe aus der Debatte versuchte geradezurücken. Kein anderes Verfahren sei möglich gewesen und die Zeit laufe einem entgegen der Annahmen einiger davon. Er fasste den Zeitdruck klar zusammen: Keine Turnhallen mehr, Zelte abbauen und die Messehallen leer bekommen, seien die Ziele.

Die Notlage räumte Jung ein: Mit den Worten, „ich habe Angebote für Container bekommen, da fallen sie um“, gewährte der OBM einen Einblick in den Preiswucher, welcher um die Zwischenlösungen bei Unterbringungen von Flüchtlingen entstanden ist. Auch der Bodenwert des Grundstückes mit 700.000 war sehr hoch für die Fläche. Er bat die Linksfraktion eine neue Deckelung auf 550.000 Euro mitzugehen. „Ansonsten, das weiß ich, kann in der Diezmannstraße nicht gebaut werden“, so Jung in Kenntnis der bisherigen Verhandlungen.

Sören Pellmann (Linke). Foto: Alexander Böhm
Sören Pellmann (Linke). Foto: Alexander Böhm

Was zu einer Beratungspause und einer Zustimmung durch Sören Pellmann (Die Linke) führte. Nicht jedoch ohne den Verkäufer des Geländes zu nennen, um moralischen Druck aufzubauen. „HochTief“ – demnach kein kleines Unternehmen – wurde somit aufgefordert nicht zu versuchen, aus der Lage der Asylbewerber und Flüchtlinge über Gebühr Kapital zu schlagen.

Eine nochmalige Ausschreibung der beiden Bauaufträge, wie sie die CDU beantragt hatte, wurde mehrheitlich abgelehnt. Die CDU-Fraktion blieb mit dieser Idee in der Abstimmung allein.

Den beiden Bauvorhaben wurde anschließend mehr oder minder knapp zugestimmt. Mit einer Mehrheit von 39 Ja-Stimmen wurden die Mittel für das Projekt „Prager Dreieck“ in voller Höhe ohne größere Einschränkungen freigegeben. Das weitaus umstrittenere Projekt Diezmannstraße erreichte knappe 32 Ja-Stimmen, was eine knappe Mehrheit darstellte. Zudem wurde der Deckel des Kaufpreises von 700.000 auf 550.000 Euro abgesenkt.

Innerhalb von drei Jahren wird die Stadt überdies nun auf Initiative von SPD-Rat Mathias Weber prüfen müssen, inwieweit auch nach dieser Frist das Wohnen in dem eigentlich als Gewerbeflächen ausgewiesenen Unterbringungen möglich sein wird.

Die beiden Unterbringungskonzepte

Nachhaltige Nutzung an der Prager Straße im „Prager Dreieck“

Bei dem Bauvorhaben im Geviert zwischen Phillip-Rosenthal-Straße, Karl-Sigismund-Straße und Prager Straße soll am Ende ein Ensemble von drei Gebäuden mit 86 Wohneinheiten für 345 Flüchtlinge entstehen. Im Notfall wäre die Unterkunft nach Angaben der Stadt durch Einsatz von Etagenbetten auf eine Personenanzahl von maximal sechs Menschen pro Apartment möglich, was bis zu 516 Unterbringungen ermöglichen soll.

Neben den Wohnungen sollen bei dem Modulneubau auch Büro- und Verwaltungsräume für die Betreuer, Gemeinschafts- und Kinderspielräume, Gebetsräume sowie zentrale Einrichtungen wie Lager, Wäscherei, Sozial- und Wachschutzstation entstehen. Was für Menschen, die gern „Alarm, Alarm“ rufen, wenn es um Kosten für Flüchtlinge geht, interessant sein könnte, ist hier ein weiterer Planungspunkt. „Eine Weiternutzung als Studentenwohnheim, betreutes und/oder soziales Wohnen ist ohne weitere Investition möglich“, da hier ein Gesamtkomplex mit variabler Nutzung für 6,72 Millionen Euro entstehen soll.

Offen ist jedoch, wie teuer eine Instandsetzung für eine Nachnutzung werden könnte, sollten in ferner Zukunft Senioren, Studenten oder Obdachlose hier Quartier finden.

Eine Modul-Siedlung in Kleinzschocher

Auf einem Freigelände an der Diezmannstraße 12 in Kleinzschocher unweit der Antonienstraße und vis á vis vom Starlight Bowling Leipzig entsteht eine weitere Modulnotunterkunft. Geplant ist hier fast schon so etwas wie eine kleine Siedlung, bestehend aus einem dreigeschossigen und einem zweigeschossigen Gebäude. Der Bau soll fünf Monate dauern, um Platz für 500 Menschen zu schaffen, und wird mit 8,27 Millionen Euro zu Buche schlagen. Dabei erwirbt die Stadt die Module und das Gelände.

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