Ein bizarrer Streit entfaltete sich, nachdem die Linksfraktion am 18. Juni die von ihr beauftragte Studie „Langfristige Anmietung und kommunaler Eigenbau von Kitas in Leipzig im Vergleich“ der Presse vorgestellt hatte. Am Wochenanfang schwirrte ein Dementi durch den Raum, „Gegendarstellung“ hatte der Geschäftsführer des KOMKIS, Dr. Oliver Rottmann, drübergeschrieben. Da kam nicht nur Die Linke ins Grübeln.

Denn Fakt war, anders als Rottmann nun behauptete, dass die Studie sehr wohl von den beiden Leipziger Linke-Stadträten Steffen Wehmann und Sören Pellmann bestellt worden war. Oder angefragt. Egal, wie man es nennt. Wehmann beschäftigt sich seit über vier Jahren mit der unbeantworteten Frage, was denn nun teurer für die Stadt ist: Wenn sie ihre Kitas selber baut? Oder wenn sie diese anmietet?

Das Mietmodell hat einen wichtigen Vorteil, der in Leipzig natürlich voll zum Tragen kommt: Die Stadt bekommt die Kita schneller. Investoren verfügen oft über Grundstücke, auf die die Stadt keinen Zugriff hat. Sie machen Planung und Bau selbstständig. Und abfinanziert wird das Ganze dann über einen Mietvertrag – in der Regel über 25 Jahre.

Das ist die normale Mietzeit. Dann rentiert es sich für den Investor. Nur fand es Wehmann einfach seltsam, dass die Leipziger Stadtverwaltung die ganze Zeit seine beharrlichen Nachfragen, was diese Art der Kita-Anmietung insgesamt gegenüber dem Eigenbau zusätzlich kosten wird, nie beantworten konnte.

Eigentlich müsste man von einer Stadtverwaltung und ihrem Finanzbürgermeister erwarten können, dass sie auch die Folgekosten solcher Mietmodelle beziffern kann. Auf Heller und Pfennig.

Deswegen holten sich Wehmann und Pellmann die Kompetenz des Kompetenzzentrums für kommunale Infrastruktur (KOMKIS) an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Uni Leipzig, das ja extra dazu gegründet wurde, um kommunalwirtschaftliche Fragen lösen zu helfen. Denn immer wieder stehen Kommunen vor der Frage: Ist die finanzielle Entscheidung jetzt gut für den Haushalt oder gibt es unabsehbare Langzeitfolgen?

Und dass die massive Anmietung von Kitas Langzeitwirkungen hat, bestätigt die von Niklas Günther vom KOMKIS erstellte Studie. Grundlage sind die Auskünfte der Verwaltung zu vier Anfragen von Steffen Wehmann.

Und die Größenordnung beeindruckt. Auch wenn es immer Unwägbarkeiten gibt. Aber nach spätestens 19 Jahren erweist sich das Mietmodel als das teurere. Während Modelle wie Kauf oder Eigenbau nach 19 Jahren in der Regel abfinanziert sind, laufen die Mietverträge, auf die sich der Investor zu Recht verlässt, natürlich weiter.

Nicht nur Steffen Wehmann war verblüfft, als Oliver Rottmann nun argumentierte: „So wurde in der Studie dargestellt, dass sich unter den getroffenen Annahmen ein Mietmodell lohnt, wenn die Laufzeit unterhalb von 20 Jahren liegt, und im konkreten Fall weniger rechnet, sollte die Laufzeit darüber liegen.“

Schön wär’s. Aber dann würde wohl kein Investor so einen Vertrag unterzeichnen. Dann zahlt er ja drauf. Denn mit dem Mietmodell kauft die Stadt ja auch alle seine Planungsleistungen und Kreditraten mit ein. Das sind Faktoren, die die Stadt nicht hat, wenn sie Kitas in der sowieso schon existierenden eigenen Planung hat und gar mit Eigenmitteln finanziert, die sie ja nicht erst leihen muss.

Denn dass die Stadt das Mietmodell wählte, hat ja auch mit dem völlig irren Neuverschuldungsverbot im Freistaat Sachsen zu tun: Nicht einmal für solche dringenden Investitionen wie Kitas und Schulen darf eine Kommune wie Leipzig neue Schulden aufnehmen.

Aber Rottmann deutete zumindest an, wo sein eigentliches Problem liegen könnte: „Das KOMKIS ist ein politisch neutrales Zentrum, welches vom Freistaat an der Universität Leipzig eingesetzt wurde, um Kommunen und ihren politischen Organen kostenfrei als Informationsplattform zur kommunalen Infrastrukturentwicklung zur Verfügung zu stehen.“

Da hat es augenscheinlich eine gewisse Verärgerung auf der politischen Ebene gegeben, denn Geld ist in Sachsen Politik. Und wenn politische Entscheider Kommunen dazu zwingen, solche deutlich teureren Mietmodelle zu wählen, um eine vom Bund aufgesetzte Pflichtaufgabe zu erfüllen, dann haben eben diese politischen Entscheider – egal, ob im Bund oder Land – versagt.

Wehmann hatte zumindest seine eigene Verärgerung darüber ausgedrückt, dass der Bund zwar die Kommunen dazu verpflichtete, ab 2013 jedem Kind ab dem vollendeten ersten Lebensjahr einen Kita-Platz anzubieten, ihnen aber nicht das Geld dafür gab, die benötigten Kitas auch zu bauen.

Da habe man den simplen Grundsatz „Wer bestellt, der auch bezahlt“ einfach mal wieder ignoriert, kritisierte Wehmann.

Und dieser Druck sorgte erst dafür, dass Leipzig sich wie betrunken in die Anmietung von Kitas stürzte. Die Stadt hatte gar keine andere Wahl. Das Selberbauen dauerte mit den knappen Ressourcen einfach zu lange.

Logisch, dass Wehmann und Pellmann einen geharnischten Offenen Brief an Oliver Rottmann schreiben, in dem sie seine Argumente allesamt auseinandernehmen. Bis hin zu Rottmanns Behauptung, Wehmann hätte die Ergebnisse der Studie verzerrt oder verkürzt dargestellt oder gar gefordert, die Stadt solle auf das Mietmodell verzichten.

Und dass Wehmanns Besorgnis nicht auf das Anmieten von Schulgebäuden anwendbar sei, dem widersprechen Wehmann und Pellmann natürlich. Denn wenn das Modell genau so funktioniert, dann kommen mit angemieteten Schulgebäuden in den nächsten Jahrzehnten weitere Belastungen auf den Leipziger Haushalt zu, die man vermeiden kann, wenn man selber baut.

Die „Gegendarstellung“ von Oliver Rottmann.

Der „Offene Brief“ von Sören Pellmann und Steffen Wehmann.

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