Im Januar hatte die Linksfraktion im Leipziger Stadtrat angefragt, ob es Leipzig fertigbringt, noch im Jahr 2018 eine Städtepartnerschaft mit einer Stadt in Russland anzubahnen. Anlass war die XIV. Deutsch-Russische Städtepartnerschaftskonferenz in Krasnodar, wo die beiden Außenminister Deutschlands und Russlands im Juni 2017 das Jahr der kommunalen und regionalen Partnerschaften 2017/18 ausriefen. Und Burkhard Jung kann sich so eine Partnerschaft gut vorstellen, auch wenn der erste Wunschkandidat so ungefähr zehn Nummern zu groß ist.

Denn die russische Stadt, mit der Leipzig schon lange sehr intensiven Austausch betreibt und vor allem bei Messethemen kooperiert, ist nun ausgerechnet die russische Hauptstadt Moskau, mit 11,5 Millionen Einwohnern natürlich in einer ganz anderen Liga spielend als die 580.000-Einwohner-Stadt Leipzig.

Aber diese Kooperationen laufen auch ohne Städtepartnerschaft, betont der Oberbürgermeister in seiner Stellungnahme zum Linken-Antrag: „In den vergangenen Jahren hat die Stadt Leipzig die langjährigen, erfolgreichen Kontakte zur Stadt Moskau intensiv weiterentwickelt. So konnte im Jahr 2014 ein umfangreiches Kooperationsabkommen mit der Stadtregierung abgeschlossen werden, das den strategischen und gesamtgesellschaftlichen Zielsetzungen der Stadt Leipzig und ihrer Unternehmen, Wissenschaftseinrichtungen, Bildungsinstitutionen, den Kammern, der Kultureinrichtungen und der Bürgerschaft entspricht.

Im Mittelpunkt stehen u. a. Themen der Stadtentwicklung und des Verkehrs, die Beziehungen der Kammern und ihrer Unternehmen zu den Partnereinrichtungen – auch im Bereich der Berufsausbildung, die Zusammenarbeit im Bereich Denkmalpflege und Umnutzung von ehemaligen Industrieanlagen, gemeinsame Messeveranstaltungen in Moskau und Präsenz auf Leipziger Messen, intensive wissenschaftliche Kooperationen, gemeinsame Ausstellungsprojekte und nicht zuletzt die an gemeinsame historische Wurzeln erinnernden Denkmale wie z. B. die russische Kirche zu Leipzig und deren Vorläufer in Moskau-Kolomenskoje.

Neben den offiziellen Partnerstädten Moskaus in Deutschland zählt Leipzig zum wichtigsten deutschen Partner. Eine offizielle Städtepartnerschaft wird von beiden Seiten nicht in Erwägung gezogen, da die projektbasierte Kooperation überaus erfolgreich und vertrauensvoll verläuft. Dies unterstrich auch der Besuch des Oberbürgermeisters Moskaus in Leipzig 2016. Leipzigs Oberbürgermeister besucht ebenfalls regelmäßig die Stadt Moskau im Rahmen von Messen und anderen Großveranstaltungen. Leipzig ist Mitglied des deutsch-russischen Forums und hat dort mehrmals die erfolgreiche Kooperation gemeinsam mit den Moskauer Kollegen präsentiert, zuletzt in Karlsruhe 2016.“

Die Linke aber hatte nicht Moskau vorgeschlagen: „Der Antrag nimmt diese Initiative der beiden Regierungen zum Anlass, bis zum Ende dieses Partnerschaftsjahres die Bedingungen zu schaffen, mit einer Stadt in Russland eine neue Städtepartnerschaft einzugehen. Es wird die Stadt Saratow vorgeschlagen.“

Der Vorschlag stammte ursprünglich von der Leipziger Bürgerinitiative „Für gute Nachbarschaft mit Russland“.

„Die Initiative hat sich im Oktober 2016 aus Sorge über die ständig wachsenden Spannungen in Europa, besonders Russland gegenüber und der daraus erwachsenden Gefahr für den Frieden gegründet. Sie zählt zurzeit etwa 100 Mitglieder. Als einen wichtigen Schritt dazu sieht sie, im Sinne einer Graswurzelbewegung Entspannung von unten zu betreiben, sich durch eine Partnerschaft gegenseitig kennenzulernen und Beziehungen auf kulturellem Gebiet, aber auch in der Wirtschaft und persönlichem Erleben aufzubauen“, hatte die Linksfraktion formuliert.

„Vorschlag für eine Partnerstadt seitens dieser Bürgerinitiative wäre Saratow. Saratow ist eine alte Stadt, fast gleich groß wie Leipzig. Es hat eine Universität und ist ein industrielles und kulturelles Zentrum an der mittleren Wolga. Diesen Vorschlag gilt es seitens der Stadtverwaltung zu prüfen.“

Da ist nun die Frage, was besagt die Stellungnahme des OBM tatsächlich?

Tatsächlich lehnt er ja die Schaffung einer weiteren Städtepartnerschaft ab: „Das Engagement in Russland hat in den vergangenen 5 Jahren erheblich zugenommen. Der Ausbau der guten Beziehungen sollte nicht mit der Schaffung einer neuen Partnerschaft zu einer bisher im Beziehungsnetzwerk nicht gesetzten Stadt Ausdruck finden, sondern im Kontext der von den oben benannten Leipziger Akteuren gewünschten Bedarfsorientierung in Richtung Moskau und Kasan verstetigt und erweitert werden.“

Also lieber noch mehr Delegationen nach Moskau und Kasan, aber keine Städtepartnerschaft mit Saratow?

Das klingt sehr reisefreudig, hebt das Thema Städtebeziehungen aber reineweg wieder auf Verwaltungs-, Wirtschafts- und Regierungsebene.

Vielleicht denkt Burkhard Jung mittlerweile so.

Saratow ist – und deshalb gab es auch die von der Linksfraktion benannte Initiative – die „Heimat der Wolgadeutschen“. Von denen bekanntlich viele inzwischen nach Leipzig übergesiedelt sind. Aber die 800.000-Einwohner-Stadt ist zumindest Literaturliebhabern auch ein Begriff, denn sie war Heimat von Schriftstellern wie Tschernyschewski, Alexander Bek und Konstantin Fedin. Sie hat eine berühmte Oper (wie Leipzig), ein berühmtes Konservatorium (wie Leipzig), beherbergt die Tschernyschewski-Universität. Straßenbahnen hat sie auch und die Busse fahren hier schon aus Tradition mit Strom: als Trolleybusse.

Es gäbe also eine Menge Anknüpfungspunkte. Und einen Flughafen hat Saratow auch. Man kann also hinfliegen. Und wem das noch nicht genug ist: 1635 passierte auch die Expedition des Herzog Friedrich III. von Schleswig-Holstein-Gottorf Saratow, angeleitet von dem in Leipzig ausgebildeten Theologen Adam Olearius. Aber noch viel berühmter ist der mitreisende Dichter Paul Fleming aus Leipzig. Dessen Gedenktafel hängt ja in der Grimmaischen Straße.

Es wäre ja mal eine Gelegenheit, die Städtepartnerschaft nicht nur den üblichen Reisekadern der Verwaltung und Politik zu überlassen, sondern mal den Leipziger Dichter wiederzuentdecken.

Aber wem sagt man das. Das Leipziger Rathaus fliegt ja lieber nach Moskau.

Oder nach Tatarstan, wie der OBM noch anmerkt: „Insbesondere die Aktivitäten der sächsischen Landesregierung mit der Republik Tatarstan haben in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung für die internationale Arbeit der Stadt Leipzig gewonnen. Hier verbinden sich erhebliche wirtschaftliche Interessen mit einem guten Beziehungsnetzwerk und einer Vielfalt von Kontakten, die weit über die Wirtschaftskontakte auch in die Kultur und einen bürgerschaftlichen Austausch reichen.“

Tatarstan – das ist insbesondere die Hauptstadt Kasan. Da kam die Expedition von Olearius und Fleming natürlich auch vorbei.

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