Wir bemühen uns ja wirklich mit rauchenden Hacken, bei möglichst vielen Terminen dabei zu sein, bei denen es um Leipzigs Zukunft geht. Um wichtige Entscheidungen wie die, ob und wann Leipzig aus der Braunkohle aussteigt. Dazu gibt es einen Stadtratsauftrag. Und am 5. Dezember hat Oberbürgermeister Burkhard Jung bekanntgegeben, dass Leipzigs Stadtwerke dafür jetzt die Grundlage legen. Und dann liest man diese eine Zeitung und fragt sich: Wie kann man Nachrichten nur so verdrehen?

Natürlich kann man Geschichten weiterdrehen und der ersten Geschichte zu dieser Meldung noch eine weitere folgen lassen, bei der man noch ein paar andere Leute fragt. Das hat man im Hause LVZ getan und am 21. Dezember dann unter der knackigen Überschrift „Coup im Kraftwerksstreit: Bleibt alles in Lippendorf?“ veröffentlicht. Gleich auf der Titelseite.

Sechs Seiten weiter kam dann noch eins dieser für diese Zeitung so typischen „Pro & Contra“, indem die Statements von LEAG-Kraftwerke-Vorstand Hubertus Altmann und des energiepolitischen Sprechers der Grünen-Fraktion im Landtag, Gerd Lippold, nebeneinandergestellt wurden.

Was man halt so unter „Pro & Contra“ versteht. Die LEAG deshalb, weil ihr der eine Kraftwerksblock in Lippendorf gehört, aus dem Böhlen und Leipzig derzeit noch mit Fernwärme versorgt werden. Und Lippold, weil die Grünen nun seit Jahren mit einer Menge sachlicher Gründe das Ende der Kohleverstromung in Sachsen fordern.

Kann man machen. Ist aber so erhellend wie ein Fußballspiel.

Eher verdunkelnd, denn mit dieser seltsamen Masche tut die Zeitung so, als würde nun ausgerechnet die LEAG entscheiden, wann und wie Leipzig aus der Kohle-Fernwärme aussteigt. Aber im Aufmacher stand ja das Wörtchen „Coup“. Und ganz ähnlich ließ die LVZ auch das Fahrgast-TV in den Leipziger Straßenbahnen beflimmern, sodass die Leser den Eindruck gewinnen mussten, als hätte die LEAG die Stadt Leipzig jetzt tatsächlich überraschend dazu gebracht, das von den Stadtwerken geplante Gaskraftwerk in Lippendorf zu bauen.

Wer die Geschichte noch weiter in den Nonsens drehen will, fragt dann auch noch OBM und LVV-Spitze, was die dazu meinen. Es ist ein exemplarische Beispiel dafür, wie sich eine Zeitung zum Sprachrohr eines Konzerns macht und dann so tut, als wäre das, was Burkhard Jung am 5. Dezember vorgestellt hat, jetzt schon wieder infrage gestellt.

Ist es aber nicht.

Was für ein Fernwärme-Streit?

Was mit der Fähigkeit der LVZ zu tun hat, sich von alten Denkmustern zu lösen und zu akzeptieren, was Burkhard Jung und die Geschäftsführer von LVV und SWL am 5. Dezember tatsächlich verkündet haben.

In der LVZ am 21. Dezember liest sich das so: „Überraschender Vorstoß im Fernwärme-Streit: Weil Leipzig ab 2023 keine Heizenergie mehr aus dem Braunkohlekraftwerk Lippendorf abnehmen will, bietet sich der dortige Betreiber LEAG jetzt selbst als Standort für das geplante Gasheizkraftwerk an.“

Also erst einmal: kein Coup. Nur Hubertus Altmann hat etwas gesagt und vorgeschlagen. Mit einigen schrägen Argumenten, die dann in seinem „Pro” kommen. Nichts ist passiert. Und es ist auch nicht zu erwarten, dass die L-Gruppe jetzt von den im Aufsichtsrat gefassten Beschlüssen abweicht.

Aber kommen wir zu den zwei Fehlern in den zwei Sätzen. Der erste ist die Erfindung eines „Fernwärme-Streits“. Es gibt keinen. Auch die Mehrheit des Leipziger Stadtrats ist einhellig der Überzeugung, dass Leipzigs Fernwärme künftig nicht mehr aus einem Kohlekraftwerk kommen soll. Der Aufsichtsrat der Stadtwerke hat beschlossen, ein neues Gaskraftwerk zu planen und zu bauen, um ab 2023 in der Lage zu sein, die komplette Fernwärmeversorgung in Leipzig mit eigenen Gasturbinen absichern zu können.

Das GuD-Kraftwerk der Stadtwerke Leipzig. Foto: L-IZ.de
Das GuD-Kraftwerk der Stadtwerke Leipzig. Foto: L-IZ.de

Burkhard Jung sprach sogar ganz dezidiert von Autonomie: Leipzig soll völlig autonom werden von Energielieferungen aus dem Kraftwerk Lippendorf. Ein Gaskraftwerk, das dann doch wieder in Lippendorf steht, hat mit Autonomie nichts zu tun. Mal ganz abgesehen davon, dass Altmann nicht mal erklärt, wer es eigentlich bauen und bezahlen soll.

Die Stadtwerke Leipzig werden sich ganz bestimmt nicht in Lippendorf engagieren. Deswegen planen sie das Kraftwerk auf eigenem Grund und Boden, den sie auch nicht kaufen müssen. Und die Leitungen von Lippendorf nach Leipzig brauchen sie auch nicht mehr, sie speisen ja direkt ins Leipziger Netz ein.

Man ahnt schon, mit was für einer windigen Idee der LEAG-Mann die LVZ da zum Hopsen gebracht hat.

Ein Komplettausstieg ist noch gar nicht beschlossen

Der zweite Fehler: „Weil Leipzig ab 2023 keine Heizenergie mehr aus dem Braunkohlekraftwerk Lippendorf abnehmen will …“ Genau das hat Stadtwerke-Geschäftsführer Karsten Rogall so nicht gesagt. Im Gegenteil: Man könne sich sogar vorstellen, den Liefervertrag mit der LEAG zu verlängern, wenn sich das finanziell als günstiger darstellen sollte. Darüber entscheidet vor allem die Wirtschaftlichkeit.

Vielleicht auch noch der Stadtrat. Aber auch der hat noch lange keinen Ausstieg aus den Fernwärmelieferverträgen ab 2023 beschlossen, sondern nur einen Prüfauftrag. Den hat OBM Burkhard Jung an die Stadtwerke weitergegeben. Und die haben nicht nur geprüft, sondern als Ergebnis des Prüfauftrages den Bau eines eigenen neuen Gaskraftwerks mit 150 MW Leistung vorgeschlagen. Genau die Leistung, mit der die Fernwärmelieferungen aus Lippendorf ab 2023 kompensiert werden können.

Das heißt: Technisch könnte Leipzig dann ab 2023 aus der Fernwärmelieferung aus Lippendorf aussteigen.

Die Sache mit der Übergangslösung

Altmann wird dann noch mit einer ganzen Reihe seltsamer Argumente zitiert. Etwa dies: „Von dem von Jung favorisierten Erdgas hält Altmann dagegen wenig. Das erzeuge ja auch CO2 und sei allenfalls eine Übergangslösung.“ Dass Erdgas nur eine Übergangslösung sei, hatte eigentlich Burkhard Jung gesagt. In 20 bis 25 Jahren, so hofft er, sind die Angebote alternativer Energieversorgung so weit, dass sie auch das Erdgas komplett ersetzen können.

Aber da kam ja schon während der Pressekonferenz am 5. Dezember so ein seltsames Argument auf: Wenn Leipzig nun ein weiteres Gaskraftwerk baut, erhöht sich ja der Kohlendioxidausstoß auch noch!

Altmann wiederholt es in seinem Statement: „Und für die Umwelt bringe es erst recht nichts. Die Fernwärme entsteht bei uns ja quasi als Abwärme im normalen Stromerzeugungsprozess. Wenn dafür nun – wie von Leipzig geplant – ein neues Gasheizkraftwerk gebaut werde, dann entstehen am Ende sogar mehr Abgase als bisher. Denn das neue Kraftwerk stoße zusätzlich CO2 aus – während Lippendorf für die Stromproduktion unverändert weiterlaufen müsse.“

Muss es das wirklich?

Man merkt schon, wie geschickt er die Argumente so im Kreis dreht, bis der Leser glaubt, das Kraftwerk Lippendorf würde tatsächlich – wie Altman behauptet – „bis weit in die 2040er-Jahre“ laufen.

Selbst die Sanierungsvereinbarungen mit dem Oberbergamt sehen nur eine Maximallaufzeit bis 2042 vor.

Aber stimmt die Behauptung, es würde mehr CO2 ausgestoßen?

Wahrscheinlich nicht. Denn bis 2023 passiert erst einmal gar nichts, als dass die SWL eine neue Gasturbine aufbauen. Ob sie diese schon 2023 in Betrieb nehmen, hängt davon ab, ob es neue Lieferverträge mit der LEAG gibt. Man verhandele noch, hat auch Karsten Rogall gesagt. Aber eine wirkliche Fortsetzung der Lieferungen wird erst 2020 spruchreif. Bis dahin wird der Stadtrat beurteilen, ob ein Ausstieg schon 2023 Sinn macht. Mit der neuen Gasturbine jedenfalls ist er dann technisch möglich.

Und die eigentliche Frage ist nicht, ob die neue Leipziger Gasturbine dann zusätzlich läuft zu den beiden Kraftwerksblöcken in Lippendorf, sondern ob die Leipziger Pläne dafür sorgen, dass sich der erste Kraftwerksblock in Lippendorf nicht mehr rechnet. Denn dass dann der rechnerische Wirkungsgrad im LEAG-Block sofort von 46 auf unter 43 Prozent fällt, hat Altmann ja zugegeben.

Die Gasturbine hat – im Vergleich – einen Wirkungsgrad von über 90 Prozent. Und im Gegensatz zu Kohlemeilern kann man Gasturbinen komplett herunterfahren – und zwar ziemlich schnell. Das ist nämlich genau die Flexibilität, die in einem Umfeld von Solar- und Windenergie gebraucht wird: Wenn die Netze mit Solar- und Windstrom geflutet werden, schaltet man die komplette Turbine aus – es wird kein Gas mehr verbrannt.

Das geht bei Kohlemeilern nicht. Im Gegenteil: Sie müssen sogar dann auf Niedriglast Kohle verfeuern, wenn der Strom gar nicht gebraucht wird.

„Doch wirklich gestoppt wurden die Kraftwerke nie: Weil dann auch keine Wärme erzeugt werden kann, gelten sie als systemrelevant und bleiben am Netz“, wird der Grünen-Abgeordnete Gerd Lippold zitiert. „Die Fernwärme dient als Begründung für den Weiterbetrieb trotz voller Stromnetze. Abgeschaltet wird dann lieber sauberer Strom aus Sonne und Wind.“

Was die LVZ völlig weglässt, ist die Tatsache, dass die Stadtwerke auch noch einen riesigen Wärmespeicher bauen wollen, um überschüssige Energie aus Solar- und Windstrom zu speichern, sich also noch besser den neuen Energiemärkten anzupassen und Leipzig noch unabhängiger zu machen.

Der LEAG-Auftritt in der LVZ ist also beim besten Willen kein Coup, durchgerechnet sowieso nicht. Eher ein Versuch so zu tun, als könnte man mit einem „Pro & Contra“ den Ausstieg aus der klimaschädlichen Kohleverbrennung noch einmal für 20 Jahre verhindern.

***

Die eigentliche Quelle für die LEAG-Positionen ist übrigens – Überraschung – eine Pressemiteilung der LEAG vom 20. Dezember: „Fernwärmeversorgung der Stadt Leipzig: Kraftwerk Lippendorf ist und bleibt ein zuverlässiger Partner“.

Und was steht da zu lesen?

Der geplante Ausstieg der Stadt Leipzig aus der Fernwärmeversorgung durch das Kraftwerk Lippendorf sei auch aus ökologischer Sicht weder nachhaltig noch sinnvoll, betont Altmann. „Er ist eher das Gegenteil, weil die bislang zur Versorgung der Stadt Leipzig genutzte Wärme aus dem Stromerzeugungsprozess nach 2023 ungenutzt bleibt, die Stromproduktion aber voraussichtlich auf gleichbleibend hohen Niveau bleiben wird, um eine jederzeit sichere Stromversorgung in Deutschland zu gewährleisten.“

Lippendorf, eines der jüngsten und effizientesten Braunkohlekraftwerke nicht nur Deutschlands, sondern der Welt, versorge die Menschen in Leipzig konkurrenzlos kostengünstig und subventionsfrei mit Fernwärme. Folglich werde die Entscheidung der Stadt Leipzig lediglich die CO2-Bilanz pro erzeugter Megawattstunde verschlechtern.

„Die Stadt mag sich daraus einen kurzfristigen Imagegewinn erhoffen, eine positive Wirkung für den Klimaschutz erzielt sie damit aber nicht.“

Hubertus Altmann betonte, dass auch mit der Beendigung der Fernwärmelieferung an die Stadt Leipzig nach 2023 die Wirtschaftlichkeit der von der LEAG betriebenen Anlagen in Lippendorf weiterhin gegeben sei. „Die Zahl der Beschäftigten im Kraftwerk Lippendorf wird davon nicht berührt, da das Kerngeschäft des Kraftwerks Lippendorf die Stromerzeugung ist und somit von der Leipziger Entscheidung nicht betroffen ist.“

Bis 2025 kann Leipzig komplett aus Fernwärme und Strom aus Braunkohle aussteigen

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Man darf nicht vergessen, dass es nicht nur um rein technologische Argumentation geht, welche nicht immer schlüssig erscheint.

Wichtig für Leipzig ist die Möglichkeit, selber Wärme und Strom zu erzeugen, und damit den Preis für Lippendorfer Fernwärme gut verhandeln zu können. Und das geht mit eigener Erzeugung besser als ohne.
So war es wohl auch beim Bau des GUD in der Eutritzscher Straße, welches jahrelang nur im Mindestmaß lief, weil die Fernwärme aus Lippendorf so zu guten Preisen bezogen werden konnte.
Somit erscheint die derzeitige Medienberichterstattung in einem weiteren Licht, welches der LEAG schon mal als Orientierung leuchten dürfte. Und zwar nicht nur im Advent, sondern weit darüber hinaus.

Und so ganz dumm ist die Idee mit dem Kraftwerk außerhalb von Leipzig gar nicht.
Ich würde ungern in unmittelbarer Nähe eines Kraftwerkes wohnen wollen. Das passt bestimmt in keinen normalen Bebauungsplan.
Jetzt, wo sich in Leipzig alles verdichtet, Baugrundstücke mit Kraftwerken zu besetzen, sollte wohlüberlegt sein.

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