LEIPZIGER ZEITUNG/Auszug Ausg. 63Die Mieten in Leipzig steigen. Darüber wird – endlich – immer mehr diskutiert. Doch oft ist die Debatte noch von Halbwahrheiten und Missverständnissen geprägt. Diese Artikelreihe soll dabei helfen, Wohnungsmarkt und Wohnungspolitik besser zu verstehen und auf gewisse Mythen nicht mehr reinfallen zu müssen. Teil 9 und Fazit der Reihe "Wohnungspolitik".

Ein so komplexes politisches Thema wie die Wohnungsfrage lässt sich in einer Reihe von Zeitungsartikeln selbstverständlich nicht erschöpfend behandeln. Es wäre also auch müßig, diese endlos weiterführen zu wollen. Nachdem die letzte Folge sowohl räumlich als auch thematisch bereits über das Wohnen in der Stadt hinausgegriffen und damit einen möglichen Endpunkt gesetzt hat, soll das „Einmaleins“ diesmal zwar einige aktuelle Entwicklungen beleuchten, dabei jedoch auch auf zusammenfassende Weise zu einem Abschluss gebracht werden.

Ein zentrales Anliegen dieser Reihe ist es gewesen, die Besonderheit von Wohnraum als Wirtschaftsgut herauszuarbeiten. Die Herstellung und Instandhaltung von Wohnraum – inklusive des dafür gegebenenfalls notwendigen Grundstückserwerbs – verursacht reale Kosten, weshalb man in der Diskussion um bezahlbare Mieten an einem Verständnis für einige betriebswirtschaftliche Grundmechanismen nicht vorbeikommt.

Wie in den Folgen 3 bis 5 geschildert: Wenn sich Wohnraum nur zu einem Preis bereitstellen lässt, der zu Mieten führt, die sich Normalverdienende nicht leisten können, dann muss die öffentliche Hand in der einen oder anderen Weise die Differenz ausgleichen. (Was die Vor- und Nachteile der unterschiedlichen dafür nutzbaren Instrumente sind, war ebenfalls Thema).

Die Besonderheit des Immobilen

Doch Wohnraum ist eben kein Gut wie jedes andere: Wenn es einen Produktionsstau bei Achterbahnen gibt, schränkt das niemanden in seinem Alltag allzu sehr ein, wenn Weizen knapp würde, könnte man seinen Kohlenhydratbedarf durch Kartoffeln decken, und dass in Deutschland eher wenig Baumwolle wächst, ist für die Bekleidungsbranche und uns als ihre Kunden kein absolutes, sondern eine Transportfrage.

Für Wohnraum gilt all das nicht: Wohnen müssen alle, alle müssen wohnen, und Wohnraum kann aufgrund der natürlichen Knappheit des Bodens, seiner Immobilität und dem mit seiner Herstellung verbundenen Aufwand weder an einem Ort beliebig vermehrt noch herbeigeschafft oder bei Mangel rasch nachproduziert werden.

Die Versorgung mit Wohnraum ist also einerseits eine Notwendigkeit, und so gesehen ein Grundrecht, andererseits im real existierenden Kapitalismus stets eingebunden in Produktions- und Allokationsprozesse, die von ökonomischen Erwartungen und Entscheidungen geprägt sind. Die Spannung, die sich daraus ergibt, prägt die gesamte wohnungspolitische Debatte – wobei die Vertreter unterschiedlicher Interessen naheliegenderweise jeweils stärker zur einen oder zur anderen Perspektive neigen.

Das eine oder andere „Mieten-runter!“-Pamphlet kommt, das darf man ruhig einmal sagen, ökonomisch ziemlich unterkomplex daher (und gerade an dieser Stelle können die Texte dieser Reihe im besten Fall „Nachhilfe“ bieten). Auf der anderen Seite verweigern sich die Immobilienlobby und ihre politischen Unterstützter demonstrativ der simplen Einsicht, dass die Herstellung und Verteilung des essentiellen Gutes Wohnraum keineswegs notwendigerweise Marktmechanismen folgen muss – und das, verwirft man nicht jede Gerechtigkeitsidee, auch nicht uneingeschränkt sollte.

Diese Auseinandersetzung wird in Leipzig zurzeit noch etwas zurückhaltend und oft auch mit gewissen Unschärfen geführt. Es lohnt sich deshalb aktuell, nach Berlin zu blicken, wo die entsprechende Debatte bereits von einer Heftigkeit ist, die auch die Vorstände großer Wohnungskonzerne wie Vonovia und Deutsche Wohnen nicht mehr kaltlässt. Das liegt zum einen am beständigen Druck, den die breite Mieterbewegung in der Hauptstadt seit Jahren ausübt.

Mehr als 3.000 Wohnungen in Berlin, Enteignungen und Vorbild Wien

Zurzeit etwa durch die Vorbereitung eines Volksentscheides, der auf Basis der entsprechenden Bestimmungen des Grundgesetztes die Enteignung aller privaten Eigentümer von mehr als je 3.000 Wohnungen in Berlin in die Wege leiten soll. In bescheidenerem Umfang stellen zumindest auch einzelne Exponenten der in Berlin regierenden rot-rot-grünen Koalition den Besitzstand der kommerziellen Vermieter infrage.

Bekannt geworden ist vor allem die Nutzung des Instruments der sozialen Erhaltungssatzung („Milieuschutzgebiet“) und der damit verbundenen Vorkaufsrechte, namentlich durch die Bezirke Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln bzw. die dortigen Baustadträte.

Im Unterschied zu anderen Instrumenten greift die Politik mit Vorkäufen direkt in die Eigentumsverhältnisse ein: Die öffentliche Hand bremst auf Mietsteigerungen spekulierende Kaufinteressenten aus. An ihrer Stelle kommen in Berlin zumeist landeseigene Wohnungsbaugesellschaften zum Zuge, in Einzelfällen jedoch auch genossenschaftliche Zusammenschlüsse der betroffenen Mieterinnen und Mieter.

Wie sähe die Welt ohne Mietprofite für wenige aus - gerade die Großvermieter stehen seit Jahren in der Kritik. Foto: Michael Freitag
Wie sähe die Welt ohne Mietprofite für wenige aus – gerade die Großvermieter stehen seit Jahren in der Kritik. Foto: Michael Freitag

Immobilienlobby und (neo-)liberale Ökonomen kritisieren, dass durch Vorkäufe keine einzige neue Wohnung entstehe – was so wahr wie trivial ist. Doch natürlich macht es für die Bewohner eines zum Verkauf stehenden Mietshauses einen Unterschied, ob dessen zukünftige Eigentümerin auf Profitmaximierung aus ist oder in öffentlichem (oder Mitglieder-) Auftrag prinzipiell maximal kostendeckend agieren muss. Das gilt auch auf der Ebene einer ganzen Stadt: Je mehr Wohnraum in den Händen gemeinwohlorientierter Anbieter ist, desto günstiger dürfte das durchschnittliche Mietniveau langfristig sein.

Während diejenigen, die in Berlin ihre Mietenprofitfelle davonschwimmen sehen, die interventionsfreudige rot-rot-grüne Wohnungspolitik mittlerweile polemisch mit der DDR vergleichen, ist deren Vorbild erklärtermaßen vielmehr Wien – das nie dem in deutschen Städten in den 1990er- und 2000er-Jahren grassierenden Privatisierungswahn verfiel und deshalb über einen großen, zu weiten Teilen de facto entschuldeten kommunalen Wohnungsbestand verfügt (vgl. dazu Folge 5 dieser Reihe).

In einem Punkt erscheint die Kritik am Plan „Wir kaufen uns die Stadt zurück“ jedoch potentiell gerechtfertigt: Solange die kommunalen Vorkäufe sich an den auf einem überhitzten Grundstücksmarkt tatsächlich gebotenen Preisen orientieren müssen, sind sie ein ökonomisch nicht sehr effizientes Instrument.

Zwar sind zu ebendieser Frage derzeit verschiedene Gerichtsverfahren anhängig, doch geht es bei diesen nur darum, inwiefern noch über das gewöhnliche Marktgeschehen hinausschießende Preise jeweils von oben an den gültigen „Verkehrswert“ angenähert werden dürfen. Dass dieser, der im Baugesetzbuch explizit als Marktwert definiert ist, in der gegenwärtigen Rechtslage das Maß der Dinge ist, steht dabei nicht zur Disposition.

Kommunales Vorkaufsrecht auf Ertragswertregeln

Der einfachste Weg, das Vorkaufsrecht zu einem schärferen Instrument zu machen, wären folglich Gesetzesänderungen auf Bundesebene. Könnten Vorkäufe zum auf den jeweiligen Bestandsmieten basierenden Ertragswert durchgeführt werden, wären sie für die Kommunen ökonomisch aufwands- und risikoarm. Dies würde insbesondere auch für eine Stadt wie Leipzig gelten, die nicht die Mittel hat, die mit dem Reichtum von München oder dem Bundesland-Status von Berlin einhergehen. Bei der gegenwärtigen Gesetzes- und Finanzlage ist hingegen alles andere als gesichert, dass die in Leipzig voraussichtlich dieses Jahr – besser spät als nie – in Kraft tretenden Milieuschutzsatzungen eine spürbare Wirkung entfalten werden.

Wie ist ein guter Zustand für alle erreichbar, wenn es um Wohnen und Mieten geht. Foto: Michael Freitag
Wie ist ein guter Zustand für alle erreichbar, wenn es um Wohnen und Mieten geht. Foto: Michael Freitag

Auf eine Bundesregierung, die eine solche Ertragswertregelung auf den Weg bringt, wird man jedoch (obschon sich inzwischen zumindest auch die Berliner SPD dafür ausspricht), noch eine Weile warten müssen. In Berlin werden deshalb zurzeit Vorschläge diskutiert, die auch den „gewöhnlichen Geschäftsverkehr“, auf dem Verkehrswerte beruhen, eindämmen würden: Durch direkte Festsetzung zulässiger Mietpreise mittels entsprechender neuer Gesetzgebung auf Landesebene. Diese juristischen Überlegungen beruhen auf einer Verknüpfung verschiedener Rechtsgrundlagen, von der noch kaum abgeschätzt werden kann, ob sie vor Gerichten Bestand hätte.

Obwohl solche allgemeinen Mietpreisbindungen aufgrund der Wohnungsnot der Nachkriegszeit auch in der Bundesrepublik bis um 1970 weit verbreitet waren, wittern die Immobilienlobby und ihre Verbündeten naheliegenderweise auch hier wieder die unmittelbare Auferstehung des Staatssozialismus.

Diese Abwehrreaktion scheint nach innen eine Art Burgfrieden zu schaffen. Jedenfalls scheuen die deutschen Wohnungsanbieter – inklusive jener Verbände, deren Mitglieder überwiegend kommunale und genossenschaftliche Unternehmen sind – vor allem eines wie der Teufel das Weihwasser: Eine offene Debatte darüber, welche Arten von Wohnungswirtschaft gesellschaftlich wünschenswert sind – und welche nicht.

Darüber, ob der Zorn der Mieter (also der Kunden), den große Teile der Branche in den Großstädten mittlerweile regelmäßig auf sich ziehen, wirklich nur mit einzelnen „schwarzen Schafen“ und „Übertreibungen“ zu tun hat, oder ob es nicht doch grundsätzlich eine schlechte Idee ist, die Aktionäre börsennotierter Konzerne und die Anteilseigner undurchsichtiger Briefkastenfirmen mit dem menschlichen Grundbedürfnis nach einem Dach über dem Kopf leistungslose Profite machen zu lassen (worüber sich in Folge 6 dieser Reihe etwas mehr nachlesen lässt).

In einer Zeit, in der oft die Politikverdrossenheit großer Teile der Bevölkerung und der Zulauf zu reaktionären Kräften beklagt werden, ist es jedoch wichtig, solche Diskussionen ohne Zurückhaltung zu führen.

Die offensive Nutzung von Vorkaufsrechten in Berlin hat die Gewichte zwischen einer profit- und einer gemeinwohlorientierten Wohnungswirtschaft bisher real nur minimal verschoben. Bedeutsam ist sie vor allem, weil die handelnden Akteure sich nicht scheuen, in ihrer öffentlichen Rhetorik ebendiese Trennlinien zu ziehen.

Was wäre daraus – und allgemein aus den in dieser Artikelreihe angestellten Überlegungen – für das anstehende intensive Wahljahr im Leipziger Kontext abzuleiten? Man könnte es so auf den Punkt bringen: Die Kandidierenden sollten an ihrer Bereitschaft gemessen werden, wohnungspolitische Vorstellungen zu formulieren, die nicht das alte Lied vom armen Osten singen, der um jede Investition froh sein muss. Nicht wenig, was im Vermietungsgeschäft in dieser Stadt mittlerweile passiert, ist ausbeuterischer Mist – und sollte auch so benannt werden.

Zur Reihe: Die Mieten in Leipzig steigen. Darüber wird – endlich – immer mehr diskutiert. Doch oft ist die Debatte noch von Halbwahrheiten und Missverständnissen geprägt. Diese Artikelreihe soll dabei helfen, Wohnungsmarkt und Wohnungspolitik besser zu verstehen und auf gewisse Mythen nicht mehr reinfallen zu müssen. Alle bislang erschienenen Teile können Sie unter dem Tag l-iz.de/tag/mieten nachlesen.

Wo endet die Stadt?

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