Die Besetzung der Ludwigstraße 71 endete zwar mit einer polizeilichen Räumung. Aber die Besetzer haben ein Ziel auf jeden Fall erreicht: Die Stadt beschäftigt sich endlich wieder mit den hunderten leerstehender Häuser in Leipzig, die dem Wohnungsmarkt einfach nicht zur Verfügung stehen. Ein Grünen-Antrag aus dem Oktober bringt Bewegung in die Sache.

Denn die hatten nach dem ganzen Ärger um die Ludwigstraße beantragt, die Stadt solle (endlich) „auf die Umsetzung des Modernisierungs- und Instandsetzungsgebots nach § 177 BauGB konsequent hin(..)wirken“. Da staunt der Bürger natürlich, dass das Baugesetz den Kommunen eigentlich Mittel in die Hand geben soll, der Spekulation mit Immobilien einen Riegel vorzuschieben. Aber warum werden sie nicht angewendet?

Aber auch den Grünen war bewusst, dass diese Umsetzung des eigentlich im Grundgesetz angelegten Grundsatzes „Eigentum verpflichtet“ ein zahnloser Tiger ist, ausgehöhlt durch ganze Berge von Gesetzen und Gerichtsurteilen, die den Besitzern von Grundstücken und Immobilien vor allem die volle Verfügung über ihr Eigentum garantieren und staatliche Eingriffe so erschweren, dass sie fast automatisch in neue Gerichtsprozesse münden müssen, bei denen wieder das Besitzrecht oberste Priorität hat.

Das Dezernat Stadtentwicklung und Bau hat sich dazu jetzt positioniert. Und sieht es eigentlich genauso. Schritt Nr. 1 habe man schon ausgelöst, teilt das Dezernat mit: „Eine entsprechende Vorlage ist bereits in Erarbeitung.“

Wann darf die Stadt überhaupt handeln?

Auch wenn man nach wie vor mit Zahlen arbeitet, die Leipzigs Wohnungsmarkt entspannter zeigen, als ihn viele Wohnungssuchende eigentlich wahrnehmen: „In Leipzig gibt es zum Stand 31.12.2019 einer Schätzung zufolge einen Gesamtwohnungsleerstand von 4,9 %. Der marktaktive Leerstand beträgt 2,2 %. In großen Städten ist eine stadtweite Erfassung nicht genutzter oder nicht nutzungsfähiger Immobilien nur dann sinnvoll, wenn dies mit bestimmten Intentionen verbunden ist und die beabsichtigten Maßnahmen innerhalb einer überschaubaren Zeit umgesetzt werden. Hintergrund ist vor allem der mit der Pflege der Daten verbundene ganz erhebliche Aufwand. In Leipzig sind solche Datenbestände insbesondere in ausgewählten Schwerpunkträumen der Stadterneuerung über lange Zeit gepflegt worden, namentlich dort, wo der Gebäudeleerstand auch aus städtebaulicher Sicht einen Entwicklungsfaktor darstellte.“

Eingegriffen hat man immer nur dann, wenn die leerstehenden Gebäude einzustürzen drohten. „Die Stadt ist verpflichtet einzugreifen, wenn von Gebäuden eine Gefahr für Sicherheit und Ordnung ausgeht. Diese Pflicht reicht bis zur Ersatzvornahme.“

Was ja heißt: Wenn Gefahr im Verzug ist, dürfen die Kommunen handeln. Ansonsten ist das Baugesetz in dieser Hinsicht ein zahnloser Tiger.

Oder mit den Worten des Baudezernats: „Das Modernisierungs- und Instandsetzungsgebot ist dagegen eine ,Kann‘-Regelung. Sie wird in Leipzig bislang nur indirekt angewandt, indem für Kosten, die Eigentümer/-innen durch Maßnahmen entstehen, die im Zuge eines Modernisierungs- und Instandsetzungsgebotes hätten angeordnet werden können, eine besondere Bescheinigung durch die Stadt erstellt wird, um diese Kosten in besonderer Weise steuerlich abzusetzen (§ 7h EStG).“

Ansonsten gebe es in der Verwaltung seit 2014 sogar die Arbeitsgruppe „Verwahrloste Immobilien“, die sich mit einem Teil der leerstehenden und im Fortbestand gefährdeten Objekte befasst.

„Auch wenn in dieser Zeit ein großer Teil der Gebäude saniert und gesichert werden konnte oder Eigentümerwechsel stattfanden, bleibt ein Teil derzeit nicht lösbarer Fälle. Die Problemlage ist dabei unterschiedlich. Neben Objekten mit immer noch ungeklärten Eigentumsverhältnissen gibt es Objekte mit Eigentümern im Ausland, die nicht oder nur schwer zu erreichen sind, aber auch Eigentümer, die nicht in notwendigem Umfang mitwirken. Hier besteht der Verdacht, dass statt einer zweckgemäßen Bestimmung der Gebäude die Spekulation mit der Wertsteigerung im unsanierten Zustand in den Vordergrund getreten ist. Für einzelne dieser Objekte beabsichtigt die Stadtverwaltung zukünftig Modernisierungs- und Instandsetzungsgebote nach § 177 BauGB anzuwenden.“

Die Tatsache, dass eine Wohnung oder ein Haus leersteht, stelle für sich genommen keinen Mangel im Sinne des § 177 BauGB dar, betont das Baudezernat. „Stehen Wohnungen oder Häuser über einen längeren Zeitraum leer, dann liegt die Vermutung nahe, dass sich Mängel oder Missstände einstellen.“

Die heilige Kuh Privatbesitz

Aber genau um diese Häuser geht es. Und es sind nachweislich einige hundert im ganzen Stadtgebiet, die seit Jahren leerstehen.

Aber die Instandsetzungs- und Modernisierungsgebote gemäß § 177 BauGB eignen sich aus Sicht des Baudezernats „nicht für einen flächendeckenden Einsatz. Zunächst ist das Gebot immer im Einzelfall zu begründen. Für die unrentierlichen Kosten der angeordneten Maßnahmen, für die gemäß § 177 Abs. 4 Satz 2 mit großer Wahrscheinlichkeit die Stadt Leipzig einzustehen hätte, sind städtische Mittel einzuplanen. Diese Mittel stehen bislang im Haushalt nicht zur Verfügung.“

Womit wir wieder am Anfang wären. Die Kosten landen bei der Allgemeinheit. Die Verpflichtung des Eigentümers ist nur mit enorm hohen Hürden einforderbar. Was dann eigentlich die Forderung von Stefan Rettich und Sabine Tastel in ihrem Buch „Die Bodenfrage“ plausibel macht: Boden gehört eigentlich nicht in Privatbesitz. Er ist ein begrenztes Gut, muss aber u. a. eine wichtige Versorgung sichern – eben auch das Wohnen.

Aber die Bundesgesetzgebung hat jahrzehntelang die Immobilienbesitzer gestärkt. Und der § 177 ist ein stumpfes Werkzeug, mit dem sich die beschäftigten Ämter der Kommunen aufreiben können, ohne wirklich Erfolge zu erzielen.

Was bleibt als Alternative?

„Um Leerstand zu begegnen, ist das Zweckentfremdungsverbot das richtige Mittel. Entsprechende Regelungen gibt es in verschiedenen Bundesländern (z. B. Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Berlin, Niedersachsen)“, bestätigt das Baudezernat den zweiten Vorschlag der Grünen.

Dumm nur, dass die sächsische Regierung sich bei diesem Thema nicht bewegen lässt. Und das, obwohl der Stadtrat das Thema 2018 schon zur Chefsache gemacht hat: „Der Oberbürgermeister hat gemäß Ratsbeschluss VI-A-05427 bereits mit Schreiben vom 07.08.2018 einen Antrag auf Schaffung der rechtlichen Grundlagen für ein Zweckentfremdungsverbot beim Freistaat eingereicht. Mit Schreiben des Dezernates Stadtentwicklung und Bau vom 29.05.2020 wurden dem zuständigen Sächsischen Staatsministerium für Regionalentwicklung die Ergebnisse der Untersuchung der Zweckentfremdung von Wohnraum in Leipzig (vgl. VII-Ifo-00312) übergeben. Gemäß der Antwort vom September 2020 steht die Willensbildung innerhalb der Staatsregierung zur Einführung eines Zweckentfremdungsverbotsgesetzes aber noch aus.“

2018 war es die SPD-Fraktion gewesen, die vor allem durch die Zweckentfremdung knappen Wohnraums durch ihre Vermittlung als Ferienwohnung alarmiert war. Aber zwei Jahre lang sah sich das zuständige Ministerium (seit 2019 das für Regionalentwicklung) nicht einmal bemüßigt, sich dazu einen Willen zu bilden.

Es bleibt also vorerst weiter nur das ziemlich stumpfe Schwert der Modernisierungs- und Instandsetzungsgebote § 177 BauGB, aus dem Leipzig jetzt irgendwie ein handhabbares Werkzeug machen muss. Wobei man das Seufzen schön heraushört aus diesen Sätzen, weil man weiß, wie schwach die Position einer Kommune ist, wenn Immobilienbesitzer sich aufs Kräftemessen einlassen: „Wie dargestellt, muss die Kommune ggf. den unrentierlichen Anteil der angeordneten Maßnahmen übernehmen. Bußgelder sind in diesem Verfahren nicht vorgesehen, ebenso sind Enteignungen und Vorkaufsrechte keine Verfahren im Rahmen der Modernisierungs- und Instandsetzungsgebote. Mitunter einigen sich die Eigentümer nach den Anhörungen im Gebotserlassverfahren mit den Kommunen über einen Verkauf der Immobilien.“

Nur auf dieses „mitunter“ kann man setzen. Wenn es um raren Wohnraum geht, sitzen Kommunen am kürzesten aller Hebel.

Aber damit will sich jetzt die Linksfraktion nicht zufriedengeben und hat gleich mal aufgeschrieben, was sie in der kommenden Vorlage aus dem Baudezernat alles erwartet, worin dann auch Punkte auftauchen wie die „Erarbeitung einer Richtlinie zum Umgang mit Eigentümern nicht genutzter oder nicht nutzungsfähiger Immobilien, in der Kriterien, Fristen, Bußgelder und Verfahren zur Durchsetzung des Modernisierungs- und Instandsetzungsgebots geregelt werden“ oder die „Einrichtung eines Leerstandsmanagements, durch das Eigentümer nicht genutzter oder nicht nutzungsfähiger Immobilien gezielt kontaktiert, beraten und begleitet werden, um eine Umsetzung des Modernisierungs- und Instandsetzungsgebots sicherzustellen.“

Und OBM Burkhard Jung solle sich „auch als Präsident des Deutschen Städtetages dafür einzusetzen, dass im Bund die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Durchsetzung des Modernisierungs- und Instandsetzungsgebots, z. B. durch höhere Bußgelder und die Sanktionierungsmöglichkeit mittels Enteignungen und Vorkaufsrechten, erweitert werden“ und auch dafür, dass „der Freistaat umgehend die Rechtsgrundlagen für die Einführung einer Zweckentfremdungssatzung schafft und die Problematik leerstehender Immobilien bei der Grundsteuernovellierung berücksichtigt.“

Der Termin für die Befassung in der Ratsversammlung steht noch nicht fest.

Möglicherweise ein Leerstandsmanagement für leerstehende Wohnhäuser in Leipzig

Möglicherweise ein Leerstandsmanagement für leerstehende Wohnhäuser in Leipzig

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