Schon 2019 wagte das Leipziger Jugendparlament den Vorstoß, öffentliche Werbeflächen für Leipziger Künstler/-innen zugänglich zu machen. Den Antrag zog das Jugendparlament dann zurück, nachdem das Kulturdezernat eine ablehnende Stellungnahme geschrieben hatte. Jetzt wagen die Jugendparlamentartier einen neuen kecken Vorschlag.

2019 hatten sie beantragt: „Die Stadtverwaltung wird beauftragt ab dem 1. Quartal 2020 ihre Kontingente bei öffentlichen Leipziger Werbeflächen für vier Kunstwerke über je zwei Wochen freizuhalten. Der Leipziger Kulturrat wird damit beauftragt, rechtzeitig Kunstwerke zu empfehlen, welche ausgestellt werden sollen.“Worauf das Kulturdezernat dann darauf verwies, dass auch andere in dieser Stadt bedürftig sind und das städtische Kontingent auf den großen Werbedisplays dringend brauchen, um ihre Veranstaltungen zu bewerben: „Das Freikontingent an Werbeflächen der Stadt Leipzig ist zur Bewerbung herausragender Kulturveranstaltungen vorgesehen. Als herausragend gelten touristisch relevante (Groß)Ereignisse wie Festivals, Feste oder Premieren.“

Aber das Corona-Jahr hat die jungen Leute nun auf eine neue Idee gebracht. Denn nicht nur auf den Werbedisplays zog ja ziemliche Langeweile ein, weil es praktisch kaum noch etwas zu bewerben gab, zu dem man Käufer oder Publikum brauchte. Auch die großflächig beklebten Straßenbahnen mit der Werbung der immergleichen Firmen hat man sich irgendwann übergeguckt. Selbst die Sonderbeklebungen, mit denen die Stadt in der Vergangenheit große Ereignisse und Jubiläen bewarb, fielen ja komplett ins Wasser.

Und wenn junge Köpfe da erst einmal ins Grübeln kommen, kommen sie auch auf Ideen.

Und so beantragt das Jugendparlament jetzt Folgendes: „Die Stadtverwaltung wird in Zusammenarbeit mit der L-Gruppe beauftragt, die Beklebeflächen von Straßenbahnen Leipziger Künstler/-innen als Kunst-, Projektions- und Darstellungsfläche zur Verfügung zu stellen. Regionale Künstler/-innen sollen die Möglichkeit haben, sich auf derartige Flächen zu bewerben. Die finale Entscheidung über die Vergabe der Flächen wird von einem Gremium getroffen, welches mindestens folgende Mitglieder umfasst: eine/-n Vertreter/-in der L-Gruppe, die Bürgermeisterin für Kultur der Stadt Leipzig, eine/-n Vertreter/-in des Leipzig + Kultur e. V., […]. Bei der Entscheidung sollen junge Künstler/-innen und Kollektivprojekte von jungen Menschen bevorzugt berücksichtigt werden.“

„Der Zeitraum für die Bereitstellung der Flächen beträgt je Kunstprojekt ein halbes Jahr, wobei die unterschiedlichen Vergaben nicht synchron ablaufen müssen. In einem Pilotprojekt bis Ende des IV. Quartals 2021 sollen bereits drei Straßenbahnen der L-Gruppe entsprechend gestaltet werden. Bis zum IV. Quartal 2022 soll die Stadtverwaltung in Zusammenarbeit mit der L-Gruppe ein ausführliches Konzept zur dauerhaften Umsetzung auf mindestens sieben Straßenbahnen leipzigweit dem Stadtrat sowie dem Jugendparlament vorlegen. Dieses Konzept ist in enger Abstimmung mit dem oben genannten zu errichtenden Gremium und dem Leipziger Kulturrat zu erstellen.“

Im Grunde wetterleuchtet in diesem Antrag so mancher Vorstoß des Jugendparlaments aus der jüngeren Vergangenheit, mit dem die jungen Leute ihrem Unmut Ausdruck gaben, dass der öffentliche Raum in Leipzig überall mit langweiligen und aufdringlichen Werbebotschaften zugepflastert ist. Von einer besonderen Ästhetik kann da meist keine Rede sein.

„Egal, ob Zeitung oder Tagesschau, egal, ob Internet oder Radio, egal, ob zu Hause oder in den Straßen – Werbung ist überall und begleitet uns. Über 60 Prozent der Deutschen haben in 2020 mindestens mehrfach wöchentlich, die Mehrheit dabei täglich, Werbung konsumiert und wahrgenommen“, schreibt das Jugendparlament in der Begründung zu seinem Antrag.

„Dass diese Menge an auf uns einprasselnden Marken und Werbebotschaften nicht gesund ist, verraten einem nicht nur der gesunde Menschenverstand, sondern auch statistische Erhebungen und psychologische Analysen. Wobei jede (wissenschaftliche) Erhebung dabei ihre Schwierigkeiten hat: Was ist Werbung? Wo beginnt Werbung? In welchem Ausmaß ist sie präsent? Und inmitten dieser bereits bis zum Anschlag mit Werbung übersäten ,Vielfalt‘ fahren nun auch noch die Straßenbahnen der Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) in ihrer seltsamen Doppelfunktion von Markenträgern und grundlegenden Mobilitätsanbietern durch die Stadt. Dabei scheint Leipzig besonders emsig die Bahnen mit weiterer Werbung zuzukleben, immerhin hat der Anbieter STRÖER die Straßenbahnen der LVB so oft wie die Verkehrsmittel keiner anderen Stadt als positive Imagebilder auf der Webseite abgebildet.“

Besonders gern werden dabei auch die Fenster der Busse und Bahnen zugeklebt. Das ärgert, wie man sieht, nicht nur die älteren Nutzer/-innen des ÖPNV.

„So oder so: Das Leipziger Straßenbild braucht Erholung von kommerzieller Überreizung“, finden die jungen Parlamentarier. „Vergangene Beispiele zeigen, dass ein Abweichen von den immer gleichen Werbebotschaften an den Straßenbahnen positiv wahrgenommen wird. Leipzig als selbst verstandene Kulturstadt kann diese Chance nutzen lokale Künstler/-innen hervorzuheben und das gebeutelte Auge der Anwohner/-innen mit aktuellen Werken zu erfrischen. Unbenommen dem immensen (zu erwartenden) positiven Imagegewinn, kann die Stadt sich so auch zu einer Vorreiterin der Kunstförderung machen.“

„An dieser Stelle könnten wir auf die Corona-Pandemie eingehen, die besonders auch Kunstschaffende schwer getroffen hat, oder auf grundlegende Vorteile lokale Künstler/-innen zu unterstützen und so auch mehr Künstler/-innen nachhaltig an die Region zu binden, aber wir sparen uns das in dem guten Wissen, dass diese Argumente bekannt sind und logisch. Es gibt unzählige Gründe, die Kunst zu fördern und wir können uns weiter nur theoretisch damit auseinandersetzen oder einen Schritt nach vorne machen, für die Kunst und für jene, die sie erschaffen.“

Stimmt natürlich. Und das würde sogar in die 2019 vom Kulturdezernat vorgebrachte Werbung für touristische (Groß-)Ereignisse passen. Nur dass dann eben nicht nur Festivals und Feste beworben werden, sondern auch einmal Galerien und Ausstellungen. Denn das ließe sich gut verbinden, auch wenn dann die Bahnen jeweils nur von einer Künstlerin oder einem Künstler gestaltet würden.

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