Einige Bauherren und Architekten finden es immer wieder chic, ihre Gebäude mit großen Glasflächen zu versehen – mal als Fensterfront, mal als Lärmschutz, mal als Außenfahrstuhlverkleidung. Das wirkt hell, transparent, man kann hinausschauen. Aber genau das ist das Problem für sämtliche Stadtvögel: Beim Anflug sehen sie die Scheibe nicht. Fast täglich zählt die Wildvogelhilfe des NABU Leipzig neue Opfer. Nun greift die Linksfraktion im Stadtrat das Thema auf. Denn hier geht es um Bauordnung und die Frage, warum sich manche Bauherren nicht daran halten.

Denn das Töten von Wildvögeln ist naturschutzrechtlich untersagt. Und es ist nicht neu, dass Vögel an den großen Glasflächen moderner Gebäude sterben. Die Umweltverbände weisen seit Jahren darauf hin. Doch stattdessen kreist die Debatte in Deutschland meist nur um die durch Windräder getöteten Vögel – denn damit kann man ordentlich Wind machen.Gegen Windräder. Selbst dann, wenn die Zahlen eine ganz andere Dramatik erzählen, denn auf die (geschätzten) 100.000 bis 200.000 jährlich an Windrädern getöteten Vögel kommen ganz andere Dimension, die durch menschliche Gedankenlosigkeit beim Bauen ums Leben kommen.

„Mindestens 18 Millionen Vögel sterben in Deutschland jährlich durch Vogelschlag an Glas. Es ist mehr als befremdlich, dass die 100.000 bis 200.000 Opfer der Windenergie so intensiv diskutiert werden, die Hauptursachen des Vogelsterbens aber nicht“, thematisiert es zum Beispiel der BUND.

Seit Jahren macht der NABU in Leipzig auf das Thema aufmerksam. Manchmal verstehen die Gebäudeeigentümer, worum es geht, und versehen die Glasflächen mit aufgeklebten Mustern und Motiven. Aber selbst die Stadt tut sich schwer, die Anbringung großer Glasflächen ohne Vogelschutz zu verhindern. Denn das ließe sich schon in der Bauberatung zumindest ansprechen. Aber irgendwie fehlt noch das Bewusstsein für die Dimension des Problems, findet die Linksfraktion im Leipziger Stadtrat.

„Bauweisen mit besonders viel Glas, umgangssprachlich auch Glaskästen genannt, sind nicht nur deshalb bedenklich, weil sie dem Ziel einer ökologischen Durchgrünung der Stadt entgegenstehen, sondern sie entpuppen sich immer wieder als Todesfallen für Vögel“, stellt die Fraktion jetzt in einem Antrag fest, mit dem sie entsprechende Regelungen im Bauordnungsamt bewirken will.

„Obwohl alle europäischen Vogelarten nach dem EU-Recht geschützt sind und den besonderen Schutz des Bundesnaturschutzgesetzes genießen, bleiben unzählige durch Glasfronten verursachte Todesfälle ungeahndet und ebenso unbeachtet. Um zu verhindern, dass heutige Allerweltsarten durch Bebauung zu Raritäten werden und seltene Arten aus den städtischen Lebensräumen vollends verschwinden, müssen ‚Glaskästen‘ auf ihre Gefahr für Vögel überprüft und ggf. durch die Naturschutzbehörde beauflagt werden.“

Dass die Kompetenzen des Bauordnungsamtes beschränkt sind, ist den Antragstellern durchaus bewusst. Die Stadt kann nur Hinweise geben und beraten. Und an die Bauherren appellieren. Denn eigentlich ist der Naturschutz klar geregelt – aber er wirkt nicht ins Baurecht hinein. Was mal wieder typisch deutsch ist: Bauen und Natur sind durch eine Mauer im Kopf voneinander getrennt. Fliegende Vögel kommen in den geltenden Bauregeln nicht vor.

Und so geht es im ersten Antragspunkt vor allem um Beratung: „Der Oberbürgermeister wird beauftragt, Bauantragstellende, deren Vorhaben Glasflächen mit Einzelflächen von mehr als 5 m² beinhaltet, nachweislich unverzüglich nach Antragstellung auf die aus durchsichtigen Glasflächen drohenden Gefahren für wildlebende Vögel sowie das Tötungsverbot gemäß § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG hinzuweisen. Dabei ist den Antragstellenden mindestens ein Beratungsangebot für vogelschützendes Bauen nachzuweisen.“

Im zweiten Antragspunkt geht es dann freilich um die gesetzlichen Grundlagen, denn der Freistaat Sachsen könnte mit einer Regelung in der Bauordnung eine Menge bewirken. „Der Oberbürgermeister wird gebeten, durch geeignete Maßnahmen auf den Landesgesetzgeber dahingehend hinzuwirken, dass der Schutz wildlebender Vögel vor den aus durchsichtigen Glasflächen drohenden Gefahren effektiv – über den Regelungsinhalt des § 44 BNatSchG hinaus – zu einem im Baugenehmigungsverfahren präventiv zu berücksichtigendem öffentlichem Belang entwickelt wird.“

Die Bauordnungen sind allesamt in Zeiten entstanden, als auf Klimawandel und Artensterben im deutschen Baurecht nicht die kleinste Rücksicht genommen wurde. Wobei das eben bis in die Gegenwart fortwirkt. Auch das gehört zur Dramatik einer Politik, die die negativen Veränderungen in unserer Umwelt immer wieder ignoriert. Es wird zwar gern das arg missbraucht Wort „nachhaltig“ verwendet. Aber es wird nicht nachhaltig gebaut. Auch nicht, was den Schutz von wildlebenden Tieren in der Großstadt betrifft.

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